Familienunternehmen: Kaum Frauen an der Spitze
10. Juni 2020Sie ist die eine der großen Ausnahmen: Nicola Leibinger-Kammüller (siehe Artikelbild) ist die Geschäftsführerin des Werkzeugzeugmaschinenbauers und Laserspezialisten Trumpf. Ansonsten sind Frauen in den Führungsgremien der 100 größten deutschen Familienunternehmen, von denen viele seit mehr als einem Jahrhundert bestehen, extrem unterrepräsentiert. Sie stellen nur knapp sieben Prozent der Mitglieder in den Geschäftsführungen. "Das Führungsverständnis erscheint zuweilen so alt wie die Unternehmen selbst", schreibt dazu die Allbright-Stiftung in ihrem aktuellen Frühjahrsbericht mit dem Titel: "Die deutschen Familienunternehmen: Traditionsreich und Frauenarm".
Die gemeinnützige deutsch-schwedische Organisation mit Sitz in Stockholm und Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, "mehr Frauen und Diversität in die Führungsetagen der Wirtschaft zu bringen". Bei den großen deutschen Familienunternehmen bleibt da noch viel zu tun, wie die Stiftung in ihrer Analyse feststellt.
Extrem homogene Führungsgremien
Die Familienunternehmen werden danach kaum noch von Mitgliedern ihrer Gründerdynastien geführt. Das operative Geschäft übernehmen meist angestellte Geschäftsführer. Oder Familienmitgliedern werden externe Manager zur Seite gestellt. Die Strukturen sind unterschiedlich, aber die Gruppe der Personen an der Spitze der Unternehmen ähnelt sich, sie ist homogen. Ihre Mitglieder sind überwiegend männlich, deutsch und älter. Mit Hilfe von persönlichen, teils exklusiven Netzwerken gelangen sie in ihre Positionen - Frauen sind traditionell kaum vertreten.
Daraus hat sich eine personelle Kontinuität im negativen Sinne entwickelt, die dazu geführt hat, dass nur knapp drei Prozent der Vorsitzenden der Geschäftsführung bei den 100 größten deutschen Familienunternehmen Frauen sind (Stand März 2020). Lediglich in zwei Fällen sind weibliche Familienmitglieder Vorsitzende der Geschäftsleitung: Anna Maria Braun beim hessischen Pharma- und Medizinbedarfshersteller B. Braun Melsungen und die schon erwähnte Nicola Leibinger-Kammüller.
Laut Allbright-Stiftung haben allerdings einige Unternehmen die Defizite erkannt, und versuchen gegenzusteuern, indem sie bei Neueinstellungen eher Frauen berücksichtigen.
Weibliche Familienmitglieder haben selten Macht
Bei Aktiengesellschaften liegt die Entscheidungsmacht bei den Mitgliedern von Vorstand und Aufsichtsrat. Die Entscheidungsstrukturen von Familienunternehmen sind meist komplexer. Meist gibt es ein zusätzliches Gesellschaftergremium. Die Familie übt darüber hinaus auf informeller Ebene Einfluss aus. Nur in 36 der Top 100 Familienunternehmen ist ein weibliches Mitglied in offizieller Funktion vertreten. Schlüsselpositionen besetzt die Familie meist mit Männern.
Dabei sind diese Wechselwirkungen zu beobachten: Wird mehr weiblichen Familienmitglieder Einfluss auf die Geschäftspolitik eines Unternehmens zugestanden, werden auch mehr Managerinnen auf der Führungsebene eingestellt. Wirken mehr Frauen aus der Familie aktiv in der Firma mit, besetzen auch andere Frauen wichtige Positionen des Unternehmens.
Höhere Innovationskraft - bessere Entscheidungen
"Zahlen und klare Fakten sagen mehr als 1000 Worte: Die Berichte der Allbright-Stiftung sprechen Bände", schreibt Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des einflussreichen Verbandes "Die Familienunternehmer" im Anhang der Studie. "Auf den Punkt gebracht: Auf weibliche Kompetenz in der Leitung von Firmen wird in Deutschland zu wenig Wert gelegt."
Dass diese Haltung Nachteile mit sich bringt - davon sind die Verfasserinnen und Verfasser der Studie überzeugt, denn, so schreiben sie: "Vielfältig zusammengesetzte Führungsteams haben eine höhere Innovationskraft und treffen am Ende die besseren Entscheidungen."