Moroccan Filmfestival in Berlin: Filme von und über Frauen
3. Mai 2017Kurz vor dem Start des fünftägigen Moroccan Film Festival im Berliner Babylon Kino (2. bis 5. Mai 2017) hat die Deutsche Welle den Direktor des Moroccan Cinema Center (CCM), Sarim Fassi-Fihrim, getroffen. Er ist für das Programm verantwortlich. Schwerpunkt des Festivals sind "Frauen im marokkanischen Film". Keiner der Filmemacher ist bei dem Event anwesend.
DW: Nach welchen Kriterien haben Sie die Filme, die bei diesem Festival laufen, ausgewählt?
Sarim Fassi-Fihrim: Wir hatten zwei einfache Kriterien: Erstens haben wir Filme ausgewählt, die von Frauen gedreht wurden, was bei vier der 16 Filme der Fall ist. Das war also leicht. Zweitens haben wir Filme ausgewählt, die sich mit Frauenthemen befassen. Das war noch leichter, weil die Auswahl groß war: Es gibt nämlich auch viele Männer, die Filme über Frauen drehen.
Welche der ausgewählten Filme gefallen Ihnen am besten, und was sagen sie über die Situation von Frauen in Marokko aus?
Wenn ich Filme für ein Programm wie dieses auswähle, bin ich an der Vielfalt interessiert, die sie darstellen. Ich bin mir nicht sicher, ob alle diese Filme staatlich subventioniert wurden, aber ich weiß mit Sicherheit, dass das auf mindestens ein Dutzend von ihnen zutrifft. Wenn man weiß, dass diese Filme mit öffentlichen Geldern gemacht wurden, und dann das große Spektrum der Themen sieht - das finde ich am Interessantesten. Jeder Regisseur, jede Regisseurin hat die Freiheit, das Thema auszuwählen, das er oder sie machen möchte. Das ist das Wichtigste.
Ich habe den Eindruck, eines der wiederkehrenden Themen in vielen dieser Filme ist die Frau, die versucht, ihre beruflichen und privaten Ziele gegen den Druck der traditionellen Werte zu verfolgen. Liege ich da richtig?
Das kommt vor, ja. Marokkanische Frauen versuchen zu wachsen und ihren Weg zu finden, genau wie in anderen Gesellschaften auch. Ich würde fast sagen, dass das ein Thema für Frauen weltweit ist; sie versuchen, die gesellschaftlichen Hürden zu überwinden. Nehmen Sie zum Beispiel die unterschiedlichen Gehälter für Frauen und Männer bei gleicher Qualifikation in Frankreich. Das bleibt auf unterschiedlichen Ebenen ein universelles Problem.
Die Regisseurin Laïla Marrakch, die nach der Veröffentlichung ihres Films "Marock" im Jahr 2005 von militanten Islamisten boykottiert wurde, sagte kürzlich in einem Interview, dass die Radikalisierung in Marokko fortschreite und die Religion innerhalb der Gesellschaft immer mehr Raum einnehme. Auch der Film "Verhüllte Liebe" von Regisseur Aziz Salmy hat eine Kontroverse in der islamistischen Regierungspartei ausgelöst. Schränkt das Erstarken des religiösen Fundamentalismus die künstlerische Freiheit ein?
Nein, ich würde sagen, dass es gerade im Film eine Gegenbewegung gab. Damit meine ich, dass im Jahr 2012, als die Islamisten die Regierung gebildet haben, die meisten Filmemacher dachten, sie müssten sich verteidigen, noch bevor sie überhaupt angegriffen wurden. Anders gesagt: Mit der Ankunft der Islamisten erwarteten sie, zensiert zu werden und dachten, sie sollten gewisse Themen lieber meiden oder anders mit ihnen umgehen. Deshalb haben sich die Filmemacher von Anfang an energisch verteidigt, aber tatsächlich gab es keine wirkliche Konfrontation zwischen Islamisten und Filmemachern.
Können die Filme deshalb Themen behandeln, die ansonsten in Marokko gemieden werden?
In einem Land wie Marokko ist das Kino manchmal der leichteste Weg, um Dinge auszudrücken. Es ermöglicht mehr Freiheiten. Und es ist ein Medium, das durch das Fernsehen alle Haushalte und die meisten Menschen erreicht, weil Menschen mehr Filme sehen als Bücher lesen.
Die Dokumentation "Gesetzlose Frauen" porträtiert eine Frau am Rande der Gesellschaft, verbannt von ihrer Familie, nachdem sie als Teenager vergewaltigt und geschwängert wurde. Ist solch eine Situation alltäglich in Marokko, und was wird getan, um die Sichtweisen in Bezug auf traditionelle Ehrenkodizes und Zwangsheiraten zu ändern?
Es gibt keinen traditionellen Ehrenkodex wie im Mittleren Osten, wo Frauen nach einer Vergewaltigung getötet werden. Das gibt es nicht in Marokko. Es gibt, wie überall, Gesetze gegen Vergewaltigungen. Aber es gibt die Last der Gesellschaft, und die ist im traditionellen Umfeld manchmal schwer zu schultern. Diese Traditionen sind manchmal umso belastender.
Ich hatte die Vielfalt erwähnt. So ein Film wie "Gesetzlose Frauen" zeigt eine völlig andere Welt im Vergleich zum Beispiel zu dem Eröffnungsfilm "Rock the Casbah". Was die Filme gemeinsam haben, ist, dass beide Filme staatlich subventioniert wurden, und dass die Filmemacher die Freiheit hatten, sich auszudrücken und ihren Standpunkt klar zu machen. Wir haben eine Gesellschaft, die einerseits sehr traditionell und andererseits westlich-modern orientiert ist. Dazwischen muss man eine Balance finden.
Aus unserer Perspektive scheint es eine große Lücke zwischen diesen beiden Polen zu geben: zwischen dem Teil der Gesellschaft, die sehr modern ist, und den Teilen, die zurückgelassen werden...
Ja, zwischen einer marokkanischen Pilotin und einer Frau vom Lande, die noch immer stark von traditionellen Werten geprägt ist, bestehen sicherlich größere Unterschiede, als das in Deutschland der Fall ist. Die Dinge haben sich zwar enorm entwickelt, aber wir brauchen noch immer mehrere Jahrzehnte der Evolution. Aber diese Evolution ist schon zu spüren: Frauen haben zum Beispiel Zugang zu allen Berufen.
Ist das auch unter den Filmemachern spürbar?
Absolut, ich würde sagen, ein Viertel der Regisseure sind Frauen. Das sind stärkere Zahlen als in den meisten europäischen Ländern.
Was ist so wichtig daran, Filme zu bekannt zu machen, die unterschiedliche Lebensumstände zeigen, so wie es zum Beispiel durch dieses Festival geschieht?
Es ist wichtig, weil es eine Gesellschaft zeigt, die in Deutschland nicht allzu bekannt ist. Mir ist klar geworden, dass die Deutschen durch die Vorkommnisse der Kölner Silvesternacht ein Bild von Marokkanern bekommen haben, das zu Verallgemeinerungen führen kann. Das ist so, als würde man glauben, alle Amerikaner seien Mörder, nur weil einige wenige Amerikaner unschuldige Menschen getötet haben.
Ist es deshalb nach der Ankunft so vieler Flüchtlinge in Deutschland noch wichtiger geworden, Brücken zwischen den beiden Ländern zu bauen?
In jeder Gesellschaft gibt es gute und schlechte Menschen, und das gilt auch für die kleinere Gesellschaft der Flüchtlinge. Es gibt viele Gründe, warum die Menschen fliehen, nicht nur wirtschaftliche. Manche sind aus politischen Gründen gegangen, manche aus familiären Gründen - und die Mentalitäten dieser Menschen sind auch unterschiedlich. Nicht jeder ist ein Mörder, nicht jeder ist ein Vergewaltiger, und nicht jeder ist ein Arzt oder Ingenieur. Gut und Böse gibt es überall, und die Vielfalt der Filme, die wir in dieser Woche zeigen, zeigt das sehr gut.
Das Gespräch führte Elizabeth Grenier.