Franzosen (ver)zweifeln an ihren Politikern
27. Januar 2017Der Entdeckung folgte das Geständnis: Während seiner Zeit als Senator, erklärte François Fillon am Donnerstagabend im französischen Sender TF 1, habe er seine beiden Söhne, beide von Beruf Anwalt, beschäftigt. Er verschwieg ein Detail, das die französischen Zeitungen danach publik machten: Zur fraglichen Zeit hatten die beiden Söhne noch gar keine Anwaltslizenz.
Damit warfen die Medien eine Frage auf, die bislang noch einer Antwort harrt: Worin genau bestanden die spezifischen Qualifikationen der Söhne? Ebenso nahm die französische Öffentlichkeit zur Kenntnis, dass Fillon auch seine Tochter anstellte: Sie las sein 2006 erschienenes Buch "La France peut supporter la vérité" (Frankreich kann die Wahrheit unterstützen) Korrektur.
Für den Kandidaten der Republikaner bei den in drei Monaten anstehenden Präsidentschaftswahlen wird es nun immer enger. "Die Polemik (um Fillon, Anm. d. Red.) beschmutzt das Image, das der Kandidat sich seit Beginn seiner Karriere 1981 aufgebaut hat", schreibt die Zeitung Le Monde: Das Image sei das eines integeren, verantwortlichen Politikers, dessen Rechtschaffenheit unanfechtbar sei.
"Das war für Fillon ein gewichtiges Plus angesichts der zunehmenden Abneigung gegenüber den führenden Politikern der Nation. Dieses Image hat er zu seinem Nutzen eingesetzt", schreibt Le Monde. Dieses öffentliche Bild sei nun beschädigt. Fillon sei "am Herzen" getroffen.
Ebenfalls am Pranger: Marine Le Pen
Inmitten dieser Affäre erregte eine andere heute bekannt gewordene Nachricht vergleichsweise wenig Aufregung: Marine Le Pen, die Chefin des rechtsextremen Front National (FN) und Präsidentschaftskandidatin der Partei, ist von der Verwaltung des Europaparlaments bereits mehrfach aufgefordert worden, knapp 300.000 Euro zurückzuzahlen. Die Summe, so schreibt es die Parlamentsverwaltung, sei für die Bezahlung "fiktiver" Parlamentsassistenten verwendet worden. Tatsächlich nämlich habe Le Pen die Gelder für die Arbeit von Angestellten des FN verwendet.
Die Debatte um die juristisch zwar legale, moralisch aber für viele Franzosen fragwürdige Beschäftigung von Familienmitgliedern Parlamentsabgeordneter, ist der bisherige Höhepunkt einer seit Jahren anhaltenden Entfremdung zwischen den französischen Wählern und den von ihnen gewählten Spitzenpolitikern.
Mittlerweile misstrauen viele Franzosen grundsätzlich den demokratischen Institutionen des Landes. Das habe Besorgnis erregende Folgen, meint der Politologe Thierry Pech: Fast 90 Prozent der Franzosen könnten sich laut einer Studie aus dem Frühjahr 2016 für die Idee einen "echten Führers" erwärmen, "der die Ordnung wieder herstellt".
Ideologischer Konturenschwund
Die Krise geht einher mit einer ideologischen Verwässerung einher, die die Programme der beiden großen Parteien betrifft. Die Entwicklung begann bereits unter dem sozialistischen François Mitterand, der das Land von 1981-1995 regierte.
"Er verwaltet in kleinen Schritten ein Land, in dem die Linken nicht mehr revolutionär und die Katholiken nicht mehr gegenrevolutionär sind", schrieb in den späten 1980er Jahren der Historiker François Furet über die ideologische Atmosphäre unter Mitterand.
Seitdem haben sich die weltanschaulichen Verbindungen weiter aufgelöst. Seit langem, schreibt Politologe Thierry Pech in seinem Buch "Insoumissions" (im Deutschen sinngemäß "Politischer Ungehorsam"), setzten die französischen Präsidenten im Wahlkampf bewusst auf radikale politische Programme, um sie anschließend wieder fallen zu lassen: "Auf der Linken flirten sie mit anti-liberalen und anti-kapitalistischen Passionen, um auf diese Weise die Stimmen auch der radikalsten Kriese einzufangen. Auf der Rechten befeuern sie die nationalen, ja fremdenfeindlichen Passionen, um sich so die Stimmen der Nationalisten oder der extremen Rechten zu sichern."
Angst vor dem Abstieg
Sowohl die ideologischen wie auch die sozialen Brüche tragen dazu bei, das Vertrauen der Franzosen in die etablierten politischen Strukturen und deren Repräsentanten zu erschüttern. Zunehmende soziale Ungleichheit und Abstiegsängste seien real, schreibt der Soziologe Louis Chauvel, der seit Jahren speziell die Risiken der Mittelschicht erforscht: "Verdienst und verfügbares Einkommen, Arbeitslosigkeit, Entwertung von Bildungstiteln sind problematische Phänomene, gegen die die mittleren Klassen der Gesellschaft nicht gut geschützt sind."
Diese Vertrauenskrise ist durch die Affäre Fillon zusätzlich bestärkt worden. Noch beschränkt sich die Aufmerksamkeit auf den Kandidaten selbst. "An seinem wundesten Punkt getroffen, spürt das Fillon-Lager, dass die Wunde tödlich sein könnte", schreibt die Zeitung Libération.
Affäre nutzt den Sozialisten
Offen ist, wie sich die beiden Affären auf die Erfolgsaussichten der Sozialisten auswirken werden. Ihnen hatten in den vergangenen Monaten nur die wenigsten ernsthafte Chancen beim kommenden Urnengang eingeräumt. Am Sonntag gehen die beiden Spitzenkandidaten der Sozialisten, der ehemalige Premier Manuel Valls, und der in dessen Kabinett ehemals als Bildungsminister tätige Benoît Hamon in die Stichwahl um die Präsidentschaftskandidatur. Danach dürften die Spekulationen um die Erfolgsaussichten des Spitzenkandidaten an Fahrt gewinnen. sicher aber scheint, dass ihnen die beiden Affären zuspielen werden.
Die Republikaner haben nun drei Monate Zeit, diese Wunden heilen zu lassen. Auch die Sozialisten leiden an Kräfteschwund, und spätestens seit heute, aufgrund der bekannt gewordenen Rückforderungen der Verwaltung des EU-Parlaments, auch der Front National. Das Vertrauen ist dahin - und die Kandidaten aller drei Parteien gehen zurück auf die Startposition.