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PolitikMarokko

Frankreich und Marokko: Kooperation statt Dissens

26. Oktober 2024

Der bevorstehende Besuch des französischen Präsidenten Macron in Marokko soll einen Schlussstrich unter die jahrelange Missstimmung zwischen beiden Ländern ziehen. Politisch hat dies jedoch einen Preis.

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Blick auf die marokkanische Hauptstadt Rabat
Marokko ist wichtiger Partner FrankreichsBild: imagoDens/Zoonar/picture alliance

Rund sechs Jahre hatte er dem Königreich keinen Besuch mehr abgestattet. Nun, Anfang kommender Woche, reist der französische Präsident Emmanuel Macron wieder nach Marokko. Er folgt einer Einladung von König Mohammed VI. Diese spiegele "die Tiefe der bilateralen Beziehungen, die auf einer verwurzelten und soliden Partnerschaft ruhen", hieß es freundlich in einer Erklärung aus dem Amtssitz des Königs. 

Tatsächlich pflegen beide Länder grundsätzlich gute Beziehungen zueinander. Marokko war zwar ein knappes halbes Jahrhundert lang, von 1912 bis 1956, Teil des französischen Kolonialreiches, doch war die Fremdherrschaft nicht so gewaltgeprägt wie im benachbarten Algerien. Entsprechend sei das derzeitige Verhältnis grundsätzlich weniger konfliktreich, meint Driss el-Yazami, Ex-Präsident des nationalen Menschenrechtsrats in Marokko. "Die Frankophonie ist weiterhin Teil unserer Geschichte. Zudem herrschen zwischen Frankreich und Marokko keine miteinander konkurrierenden Erinnerungen, die anderswo bis heute das Verhältnis zwischen ehemaligen Kolonialmächten und ihren ehemaligen Kolonien prägen." 

Der marokkanische König Mohammed VI. (l) und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron. Im Bild zwei nebeneinander geschnittene Porträts der beiden.
Bald wieder miteinander im Gespräch: der marokkanische König Mohammed VI. (l.) und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron Bild: A. Boukallouch/DNphotography/ABACA/V. Mouchel/MAXPPP/dpa/picture alliance

Jahre der Missstimmung 

Dennoch hatte es zuletzt deutliche Verstimmung zwischen Frankreich und Marokko gegeben. Diese hatte sich etwa an dem Umstand entzündet, dass Frankreich im Jahr 2021 die Zahl der an marokkanische Staatsbürger ausgegebenen Visa stark reduziert hatte. Erst im Dezember des Folgejahres hob Paris die Zahl wieder an.

Vor allem aber war Marokko verärgert, weil Frankreich lange Zeit gezögert hatte, den Anspruch des Königreichs auf die zu großen Teilen von ihm besetzte Westsahara anzuerkennen. Seit dem Rückzug Spaniens im Jahr 1975 beansprucht eine politische Bewegung die Unabhängigkeit des Gebiets. Marokko hingegen beansprucht es für sich und will ihm seit 2007 nur einen Autonomiestatus gewähren. 

Erst im  Sommer hatte auch Macron Marokkos Position übernommen - wie zuvor bereits die USA noch in der Amtszeit von Donald Trump, aber abweichend von der offiziellen UN-Position, die weiter ein Referendum fordert, Marokkos einseitigen Herrschaftsanspruch nicht anerkennt und eine Teilung des Gebietes erwägt. 

Mit Frankreichs Zustimmung zum marokkanischen Westsahara-Plan gilt ein wesentlicher Teil der Differenzen beider Staaten als ausgeräumt. Allerdings setzt Frankreich mit der Anerkennung der marokkanischen Position sein ebenfalls nicht immer einfaches Verhältnis zu Algerien aufs Spiel. Denn Algerien spricht sich - wie viele afrikanische Staaten - für die Eigenständigkeit der Westsahara aus und unterstützt die sahraurische Unabhängigkeitsbewegung "Frente Polisario". Insbesondere seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist das rohstoffreiche Algerien für die EU ein wichtiger Partner bei der Energieversorgung.

Wirtschaftsinteressen und Sicherheit in der Sahel-Region

Für Marokko sei außenpolitisch stets "die Frage entscheidend, wie andere Länder zur Westsahara-Frage stehen", erläutert Steven Höfner, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rabat. Insofern hat sich Frankreich in der Westsahara-Frage zugunsten Marokkos - und gegen den Standpunkt Algeriens entschieden. Durch sein Einschwenken in dieser Frage sei Frankreich nun vor Ort zu einem sehr angesehenen Partner geworden. "Das ist nicht zuletzt für seine Wirtschaft von Bedeutung", so Höfner. 

Französische Unternehmen hätten erhebliches Interesse an Investitionen in Marokko und der Westsahara - so etwa im Energiesektor, bei Entsalzungstechnologien oder großen Infrastrukturprojekten wie dem Ausbau von Häfen und Flughäfen. So wurde dieser Tage bekannt, dass das im Eisenbahn- und Schienenbau tätige französische Unternehmen Alstom gute Chancen hat, den Zuschlag für die Lieferung neuer Züge für die geplante neue Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Marrakesch und Kenitra zu erhalten. 

Die Lok eines für Marokko bestimmten Hochgeschwindigkeitszuges auf einem Schwerlast-Anhänger
Der französische Eisenbahnhersteller Alstom macht auch in Marokko Geschäfte. Unser Bild zeigt die Anlieferung der Lok eines Hochgeschwindigkeitszuges im Jahr 2015 Bild: Getty Images/AFP

Die Partnerschaft sei für Frankreich auch darum wichtig, weil das Land durch seinen Rückzug aus der Sahel-Region im nördlichen Afrika politisch, aber auch wirtschaftlich geschwächt sei. "Und nun erweist sich Marokko eben auch für die französische Wirtschaft als verlässlicher Partner", so der Experte.

Herausforderung Migration

Doch noch ein weiteres Thema steht im Fokus: Frankreich hat - wie die meisten Mitgliedstaaten der EU - Interesse daran, die irreguläre Migration zu reduzieren. Auch dabei gilt Marokko als wichtiger Partner. So hatte das Königreich 2023 eigenen Angaben zufolge rund 87.000 Migranten aufgehalten - ein starker Anstieg im Vergleich zu rund 56.000 aufgehaltenen Menschen zwischen Januar und August 2022. Und klar erscheint: Frankreichs Einschwenken auf Rabats Westsahara-Kurs dürfte Marokkos Kooperationsbereitschaft in Fragen der irregulären Migration weiter erhöht haben.

Er selbst halte die Migrationspolitik der EU für widersprüchlich, sagt jedoch der marokkanische Experte Driss el-Yazami. So seien die EU-Mitgliedstaaten dringend auf Arbeitskräfte angewiesen und würden diese im globalen Süden auch gezielt anwerben. Zugleich aber gebe es in den EU-Staaten eine populistische Diskussion um Migranten. Als Kompromissmöglichkeit verweist er auf die internationale UN-Konferenz zur Migration von 2018 in Marrakesch und den dort verabschiedeten "Globalen Migrationspakt". Dieser sieht eine Ausweitung der regulären Migration vor, zugleich aber auch eine grenzübergreifende Bekämpfung von Schleuserbanden und Menschenhandel. "Auf dieser Basis sollten auch die anstehenden Gespräche laufen. Es geht darum, sich miteinander abzustimmen - und nicht darum, dass einem Staat von außen etwas aufgezwungen wird", erklärt el-Yazami aus einer marokkanischen Perspektive.

Ein UN-Hubschrauber landet bei Guerguerat, Westsahara, 2020
Für Marokko im Fokus vieler Gespräche: die Westsahara-Frage. Im Bild: ein UN-Hubschrauber nahe der Ortschaft Guerguerat, 2020Bild: Fadel Senna/AFP

Derzeit scheine Rabat jedoch fest entschlossen, die irreguläre Migration zu unterbinden, sagt Experte Höfner. "Marokko weist selbst darauf hin, dass es auch in diesem Jahr mehrere zehntausend Grenzübertritte verhindert hat. Es liegt auf der Hand, dass das Land in dieser Frage auf Kooperation mit der Europäischen Union setzt."

Allerdings: Auch bei dieser Kooperation lege Marokko Wert darauf, im Gegenzug Unterstützung in der Westsahara-Frage zu erhalten, sagt Höfner. Politische Beobachter wissen um das damit verbundene Druckpotential: Marokko kann irreguläre Migration bewusst eindämmen - aber auch bewusst zulassen.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika