Frankreich und Italien: Der Streit eskaliert
24. Januar 2019"Die politischen Führer Frankreichs und Italiens haben sich gegenseitig nicht so schlecht behandelt, seit sie miteinander im Krieg standen", schrieb der Kommentator Aldo Cazzullo in der italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera" über das Verhältnis zwischen dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und der Regierung in Rom. Cazzullo zog diesen Schluss nicht erst nach den jüngsten Verbalattacken des rechtsextremen Chefs der Lega Nord und Innenministers Matteo Salvini gegen den französischen Staatschef, sondern schon im Juni 2018. Der Streit zwischen Frankreich und Italien, der in diesen Tagen wieder hochkocht, ist älter und geht tief.
Migration als Siedepunkt
Ausgangspunkt für die erstaunlich schlechten Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern und EU-Gründungsstaaten ist die Migrationspolitik. Der fremdenfeindliche Innenminister Salvini ließ im Sommer 2018 die italienischen Häfen für Schiffbrüchige und Migranten schließen. Macron nannte daraufhin, den Rechtspopulismus und die Fremdenfeindlichkeit ein "Lepra-Geschwür". Frankreich handele "heuchlerisch", schoss Salvini zurück, weil es selber keine Flüchtlinge aufnehme.
Emmanuel Macron ätzte wiederum, Italien habe kein Migrationsproblem, sondern eine "politische Krise". Das italienische Außenministerium lud den französischen Botschafter in Rom zum Rapport vor. Ein extrem seltener Vorgang zwischen befreundeten Regierungen in der EU. Nur wenige Tage nach dem Amtsantritt der Regierung in Rom war das Tischtuch mit dem EU-Fan Macron bereits zerschnitten. Zwar empfing Macron den eher gemäßigt auftretenden italienischen Premier Giuseppe Conte noch zum Antrittsbesuch in Paris, danach aber wurden Kontakte auf allen Ebenen zwischen Ministern und Beamten auf ein Minimum reduziert.
Offener Tabubruch
Seit dem Aufkommen der Proteste der Gelbwesten in Frankreich im Dezember setzen die populistischen Parteiführer Matteo Salvini und Luigi Di Maio von der 5 Sterne Bewegung zum Frontalangriff auf den französischen Präsidenten an. Salvini sagte in mehreren Interviews, er halte zu den Gelbwesten, Macron sei ein "schlechter" Präsident und müsse folglich abgelöst werden. Di Maio hieb in eine ähnliche Kerbe und warf Frankreich vor in Afrika "Kolonialpolitik" zu betreiben und Tausende von Migranten nach Italien zu zwingen. Im Wahlkampf für das Europäische Parlament werde Macron der wahre Gegner sein, sagte Salvini. Der rechtsradikale Innenminister unterstützt offen Macrons größte Gegnerin, die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen vom Rassemblement National, der ehemalige Front National.
Auf den Tabubruch der italienischen Populisten, den Rücktritt eines Staatschefs in einem eigentlich befreundeten Land zu fordern, reagierte das französische Außenministerium mit der Einbestellung der italienischen Botschafterin in Paris. Die französische Europaministerin erklärte, man werde sich nicht auf diesen "Wettbewerb der Dummheit" einlassen. Macron selbst hält sich mit öffentlichen Äußerungen zurück.
Die Stimmung ist jedenfalls im Keller. Die Italiener leiden unter einer Art Minderwertigkeitskomplex gegenüber den als arrogant empfundenen Franzosen. Die EU-Kommission bevorzuge Frankreich, behaupten italienische Minister gerne. Schließlich mache Paris ebenfalls zu hohe Schulden, werde aber - anders als Rom - nicht mit einem Defizitverfahren behelligt. "Die EU misst mit zweierlei Maß", klagen italienische Diplomaten in Brüssel. Das sei ja auch kein Wunder, schließlich ist der zuständige EU-Kommissar Pierre Moscovici Franzose.
Alter Streit in neuem Gewand
Schon der italienische Ministerpräsident Berlusconi und der französische Präsident Sarkozy warfen sich seinerzeit 2011 gegenseitig vor, Migranten über die Grenze bei Ventimiglia zu schieben. Die Grenze wurde zeitweise von den Franzosen geschlossen. Italien stellte den Migranten kurzerhand Schengen-Visa aus und ließ sie ziehen.
Unter den neuen Regierungen in Rom und Paris sind die Spannungen eher noch größer geworden. Kompromisse sind nicht in Sicht. Die Populisten in Rom ziehen die Schraube weiter an und wollen offenbar auch die engen wirtschaftlichen Beziehungen als Munition verwenden. Luigi Di Maio wirft Frankreich jetzt vor, eine Befriedung der ehemaligen italienischen Kolonie Libyen in Nordafrika zu verhindern, um seinen Zugriff auf Ölquellen zu sichern. Die beiden beteiligten Ölfirmen Total (Frankreich) und Eni (Italien) haben das allerdings zurückgewiesen. Es gebe keine Konflikte um Öl in Libyen, heißt es in Stellungnahmen der Unternehmen.
Das totale Gegenteil
"Der französische Präsident ist geradezu eine Hassfigur von Salvini und Di Maio geworden. Denn er verkörpert in vielem ihr Gegenteil", kommentiert der Züricher Tagesanzeiger aus der Schweiz. Emmanuel Macron will sein Land reformieren und sucht die Zusammenarbeit mit der EU und der deutschen Regierung. Salvini und Di Maio wollen Europa zugunsten der Nationalstaaten schwächen, meint die Schweizer Zeitung. Sie verteilten auf Pump Geld unter ihren Wählern. Auf eine Kurzformel gebracht: Ein liberaler Europäer steht gegen illiberale Nationalisten. Eine weitere Eskalation - mindestens bis zu den Europawahlen Ende Mai - ist vorprogrammiert.
Was hat Leonardo damit zu tun?
Und der Streit sucht sich immer neue Felder. Eines davon ist Leonardo Da Vinci. Dessen Todestag jährt sich im Mai zum 500. Mal. War das Universalgenie der Renaissance nun Italiener oder doch eher Franzose? Die italienische Kulturstaatssekretärin Lucia Borgonzoni von der rechten Lega will Zusagen über Leihgaben aus Da Vincis Werk für eine Ausstellung in Frankreich neu verhandeln. "Leonardo ist Italiener, in Frankreich ist er nur gestorben", sagte Borgonzoni in Rom. Allerdings hängt die Mona Lisa, Da Vincis wohl berühmtestes Gemälde, im Pariser Louvre. Für den 28. Februar haben die Kulturminister aus Frankreich und Italien ein Gipfeltreffen angesetzt, um den Streit um Leonardos Erbe zu besprechen.