Frankreich feiert sein Team - und sich selbst
16. Juli 2018Der Tag danach. Paris erwacht leiser als an einem normalen Montagmorgen. Weniger Verkehr, seltener Sirenen, auf den Bürgersteigen herrscht noch nicht das große Getümmel. Klar, es ist Ferienzeit in Frankreich, aber selbst dann ist eigentlich mehr los in dieser pulsierenden Metropole. Nur die Straßenreinigung ist im Großeinsatz: Bürgersteige werden abgespritzt, Müllberge eingesammelt und viel zerbrochenes Glas aufgekehrt. Die Spuren einer langen Party-Nacht. In den Straßen rund um die große Fanmeile am Eiffelturm ist jedoch noch mehr zu Bruch gegangen als ein paar Glasflaschen. Zerbeulte Motorhauben, eingeschlagene Scheiben von Geschäften und Autos. Patrice, ein Kellner in einem Straßencafé nahe der Fanmeile, zuckt mit den Achseln. "Das ist hier doch inzwischen fast schon normal. Bei uns wird ständig randaliert", seufzt er, "ich glaube, manche wissen nicht, wie man sich einfach nur ohne Krawall freuen kann."
Eine Metro-Station namens "Deschamps-Elysées"
Das galt leider tatsächlich für einige Franzosen. 845 Autos wurden nach Angaben des Innenministeriums landesweit in der Finalnacht in Brand gesteckt, 508 Menschen verhaftet. Die Randale sind dennoch nur eine Randnotiz in den Schlagzeilen des Morgens, schließlich feierte die überwältigende Mehrheit einfach nur ein rauschendes Fußball-Fest. Und für manche hörte das einfach gar nicht auf an diesem Montag. Schon mittags pilgerten die ersten Fans in Richtung Arc de Triomphe, um dort auf die Mannschaft zu warten. Mit umgehängten Tricolor-Fahnen, mit frischer Blau-weiß-roter Schminke im Gesicht strömten die Menschen ins Zentrum der Hauptstadt -und das meist zu Fuß. Denn schon früh wurden die Metro-Stationen rund um den Pracht-Boulevard Champs Elysées gesperrt. Eigentlich schade, denn die Verkehrsbetriebe von Paris haben sich ein paar schöne Umdeutungen der U-Bahn-Stationen überlegt:
Hunderttausende Menschen sollten nicht in schmalen unterirdischen Gängen stecken bleiben. Natürlich geht diese vom Terror gezeichnete Stadt insbesondere bei Großveranstaltungen nicht das kleinste Risiko ein. Das galt auch für den Weg der Mannschaft vom Flughafen Roissy ins Stadtzentrum. Eine große Polizeieskorte schirmte den blauen "Champions du monde"-Bus gegen mitfahrende Fans auf Motorrädern ab, während selbst auf Autobahnbrücken hunderte Menschen dem Team zujubelten.
Einig, gleich, erfolgreich
Als dann um 19:20, deutlich später als geplant, der Wagen mit der französischen Nationalmannschaft auf den breiten Boulevard biegt, sind die Champs Elysées bereits hermetisch abgesperrt. Hundertschaften der Polizei sichern den Weg der Weltmeister vom Arc de Triomphe in Richtung Place de la Concorde, Absperrgitter machen klar, dass dies kein Event mit Stars zum Anfassen werden kann. Dennoch singen sie hier immer und immer wieder: "Wir sind Franzosen und wir haben gewonnen!" Die Freude über den einerseits erwarteten und andererseits doch unverhofften WM-Titel in Russland bringt auch am Tag danach Hunderttausende Menschen zusammen. In dichten Reihen stehen sie entlang der Prachtmeile, harren seit Stunden aus, um einen kurzen Blick auf ihre Helden zu erhaschen. Sie kommen aus den teuren Stadtteilen im Zentrum und tragen schicke Pariser Mode. Und sie kommen aus den Banlieues im Norden der Stadt und tragen Sonnenbrillen und Sneaker. Die Krawalle der Finalnacht mögen einmal mehr die sozialen Spannungen und die Unzufriedenheit vieler Jugendlicher aus den Vorstädten gezeigt haben. Im Jubel steht Frankreich vereint Spalier.
"Dies ist ein Moment des Enthusiasmus, des Optimismus, der Begeisterung des gesamten Volkes", jubelt Laura. Sie ist Pariserin, trägt heute natürlich ihr Nationalmannschafts-Trikot und ist stolz auf ihr Team, das mehr erreicht habe, als bloß einen Pokal nach Frankreich zu holen. "Die Mannschaft hat es vorgelebt, sie war eine Einheit und zeigte echten Zusammenhalt. Und deshalb war ich mir auch sicher, dass wir gewinnen." Wie 1998 dient die Weltmeister-Mannschaft als Vorbild für die französische Gesellschaft. In der Euphorie des Augenblicks eine wunderbare, verständliche Vorstellung. Nach den Erfahrungen der letzten 20 Jahre muss man jedoch feststellen: Die Nationalelf ist wohl eher eine Projektionsfläche eines Frankreichs, wie es sein könnte: einig, gleich, erfolgreich.
Die Mannschaft grüßt und feiert derweil auf einem offenen Wagen, der sich langsam über den Boulevard bewegt. Wie üblich tragen einige der jubelnden Spieler Sonnenbrillen, denn dahinter verstecken sich müde Augen, gezeichnet von einer dem Vernehmen nach ebenfalls langen Party-Nacht. Mbappé, Pogba, Griezmann sind die meistgesehenen Trikots entlang der Siegesparade. Jungstar Benjamin Pavard (noch) vom VfB Stuttgart ist der meistbesungene Spieler. So unterschiedlich ihre Idole und deren Charaktere, so unterschiedlich sind auch die Fans, die hier begeistert applaudieren und skandieren. Sie feiern ihre Elf, aber irgendwie auch sich selbst und ihr Land. Es ist eine Parade der Sieger, auf und neben den Champs Elysées.