Frankfurter Schirn zeigt Jean-Michel Basquiat
15. Februar 2018Basquiat, der schwarze Superstar. Einwandererkind einer puerto-ricanischen Mutter und eines haitianischen Vaters, Angehöriger der Mittelschicht und zwischenzeitlich Obdachloser. Jazzfan und Hip-Hopper. Liebling der weißen Kunstszene, aber keineswegs der rohe, wilde schwarze Mann, den sie in ihm sehen will, sondern belesen und polyglott. Ein Träger von Designeranzügen, der Schwierigkeiten hatte, auf der Straße ein Taxi zu bekommen.
Als er mit 27 Jahren an einer Überdosis Heroin stirbt, hinterlässt er ein Œuvre von rund 1000 Gemälden und etwa doppelt so vielen Zeichnungen - und wird endgültig zum Mythos.
Natürlich erzielen Basquiat-Gemälde heute Rekordpreise, welcher bekannte Künstler tut das nicht. Für 110 Millionen Dollar ging ein unbetiteltes Werk in den Besitz eines japanischen Sammlers über. Kein Einzelfall, wenn es um Basquiat geht: Auffallend viele seiner Werke sind in privaten Sammlungen verschwunden, nur wenige haben es in die Bestände der großen Museen geschafft. Was also ist sein Wert jenseits des Geldes?
Der Kunsthistoriker und Basquiat-Kurator Dieter Buchhart schlägt den ganz großen Bogen: "Basquiat steht in einer Reihe mit Persönlichkeiten wie Martin Luther King und Michael Jackson, die den ersten afroamerikanischen Präsidenten in den USA, Barack Obama, ermöglicht haben." Weil er eben diese weiße Sichtweise ironisch entblößte, weil er mit seiner Kunst gegen Rassismus und Unterdrückung aufbegehrte und deshalb, zwanzig Jahre nach seinem Tod, Vorbild vieler junger Afroamerikaner ist, die sich in der "Black Lives Matter"-Bewegung engagieren.
Pionier des Copy-und-Paste-Zeitalters
Basquiats kunsthistorischen Wert können deutsche Kunstfans jetzt selbst ergründen: in der ersten großen Einzelausstellung über den US-amerikanischen Künstler in Deutschland seit 32 Jahren. Etwa 100 seiner Gemälde, dazu zahlreiche Zeichnungen, Notizen und Fotografien, zeigt die Frankfurter Schirn in der Ausstellung "Boom for Real", die zuvor schon im Londoner Barbican Centre zu sehen war.
Dabei wird klar: Basquiat war nie aktueller als heute. Als einer, der alles, was er sah, las oder hörte, zu Kunst verarbeitete, wirkt er im heutigen Copy-und-Paste-Zeitalter, in dem alles durch nur einen Klick miteinander verknüpft werden kann, wie ein Pionier aus der analogen Zeit.
Futter für beide Gehirnhälften
"Basquiat wird häufig dem Neo-Expressionismus zugeordnet, dabei war sein Werk eigentlich konzeptuell geprägt", erklärt Kurator Dieter Buchhart. Seine Werke sind übervoll mit Bezügen zu unterschiedlichsten Quellen - vom Anatomiebuch, das ihm seine Mutter schenkte, als er acht Jahre alt war, über Cartoons bis zu Standardwerken der Kunstgeschichte. Von Voodoo bis zur Bibel. Von der Karibik bis Afrika. Von William S. Borroughs bis zu David Lynch. Von Leonardo da Vinci bis zu Pablo Picasso. Dazu die afroamerikanischen Stars der Jazz- und Sportszene, die er verehrte und immer wieder malte. Alles schichtete er über- und nebeneinander, verknüpft mit Wörtern, die gleichberechtigt neben den Zeichnungen stehen, sie kommentieren und gleichzeitig neue Assoziationen auslösen. "Dadurch entsteht ein interessanter Leseprozess, der beide Gehirnhälften beim Betrachter aktiviert. Auch damit hat er Kunstgeschichte geschrieben", sagt Kurator Dieter Buchhart.
Fast unmöglich, das alles zu decodieren. Reizüberflutung droht. Doch dem setzt die Schirn einen engen Parcours entgegen, der die Besucher durch die Ausstellung führt. Los geht es, ganz chronologisch, mit Basquiats Anfängen, als er unter dem Pseudonym SAMO mit poetisch-hintergründige Graffitis in SoHo und der Lower East Side die gewünschte Aufmerksamkeit der dort ansässigen Kunstszene erregte. Dann das Ereignis, das den Newcomer über Nacht als Künstler bekannt machte: Die New Yorker Sammelausstellung "New York / New Wave" 1981. In der Schirn sind 15 von Basquiats dort gezeigten Malereien wieder vereint - samt der Hängung in zum Teil fast luftigen Höhen.
Freundschaft mit Keith Haring und Madonna
Anschließend nähert sich die Schau ihrem Star aus unterschiedlichen Blickwinkeln und zeigt die vielfältigen Einflüsse, die Basquiats Werk prägten. Da ist die blühende Clubszene im New York der Siebziger und Achtziger, in die Basquiat voll integriert war. Wie viele andere Künstler, mit denen er sich dort anfreundete, arbeitete er interdisziplinär: Für Themenparties schuf er Installationen, legte als DJ auf und übernahm von dort die Technik des Sampelns für seine Gemälde, indem er Bildideen häufig wiederverwendete. In den Clubs schloss er Freundschaften mit Stars wie Keith Haring und solchen, die es noch werden sollten, wie Madonna, mit der ihn auch eine kurze Affäre verband.
Ein weiterer Raum ist der Freundschaft mit Andy Warhol gewidmet. Der Galerist Bruno Bischofberger führte die beiden Künstler 1982 zusammen. Eine arrangierte Zusammenarbeit, aus der Freundschaft wurde. Davon zeugen auch die in der Ausstellung gezeigten humoristischen Porträts, die Basquiat von Warhol malte, und umgekehrt die Fotografien von Basquiat, die Warhol mit dem für ihn typischen Schnappschusscharakter knipste. Die Freundschaft beendet Basquiat 1985 allerdings abrupt, als eine gemeinsame Ausstellung bei den Kritikern durchfällt. Warhols Tod zwei Jahre später soll ihn erschüttert haben.
Basquiat in Dauerschleife
Höhepunkt der Ausstellung sind die zwei Räume, die sich Basquiats oft genutzten Quellen aus der Enzyklopädie und der Kunstgeschichte widmen. Hier hängen die Gemälde und Collagen dicht an dicht, jedes Werk allein ein Vergnügen für jeden, der kulturell beschlagen ist und gerne entschlüsselt. Gleichsam als Referenzen sind dazu einige der Bücher, die der Künstler in seiner umfangreichen Bibliothek stehen hatte, ausgestellt. Dahinter dann, in Dauerschleife, noch zwei Filme: Der eine zeigt Basquiat bei der Arbeit, der andere spielt einen Ausschnitt aus dem Spielfilm "Downtown 81". Mit Basquiat in der Hauptrolle - als aufstrebender Künstler. Ewig jung.
Die Ausstellung "Boom for Real" ist vom 16. Februar bis zum 27. Mai 2018 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen.