Frankfurt/Oder: Links regiert, rechts gewählt
30. Mai 2019Brandenburg hat Blau gewählt, die Farbe der Alternative für Deutschland (AfD). Die Rechtspopulisten avancierten bei der Europawahl mit fast 21 Prozent der Stimmen zur Nummer eins, gefolgt von der Linken mit rund 18 Prozent. Das Bundesland, in dessen Mitte die deutsche Hauptstadt Berlin liegt, grenzt an Polen - genauso wie das südlich gelegene Sachsen, wo die AfD ebenfalls stärkste Partei wurde. Wirklich überrascht kann darüber niemand sein, denn die Ergebnisse zeichneten sich in Umfragen schon lange ab. Und im Osten, auf dem Gebiet der früheren DDR, ist die erst 2013 gegründete AfD seit jeher besonders stark.
Wenn es in Brandenburg eine Stadt gibt, die dem Trend hätte trotzen können, dann Frankfurt an der Oder. Auf der anderen Seite des Flusses liegt das polnische Słubice. Zwischen beiden Städten gibt es einen regen Austausch. Allein in Frankfurt/Oder gibt es sieben deutsch-polnische Kindergärten. Im März 2018 eroberte René Wilke das Rathaus der Stadt, in der Menschen aus mehr als 100 Ländern leben. Bei der entscheidenden Stichwahl gaben dem Linken fast zwei Drittel ihre Stimme. Bei seiner Amtseinführung hielt der damals 33-Jährige ein flammendes Plädoyer für mehr nationalen und internationalen Zusammenhalt: "In einer besorgniserregenden Zeit, einer sich verdunkelnden europäischen Perspektive, in dieser Zeit sind wir ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Europäische Union."
Ein Jahr später ist Wilke ernüchtert. Auch in seiner Geburtsstadt triumphierte bei der Europawahl die AfD. "Das ist kein gutes Signal", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Man müsse das Ergebnis aber auch relativieren. Zwar habe die AfD etwas über 20 Prozent, aber knapp 80 Prozent hätten eine "andere Auffassung von der Zukunft der Europäischen Union". Das freue ihn, aber er habe sich natürlich ein anderes Ergebnis gewünscht.
Der Ausländer-Anteil liegt bei zehn Prozent
Über die Gründe für den Erfolg der Rechten rätselt der junge Oberbürgermeister: "Ich suche genauso nach Erklärungen, wie andere Menschen auch." Scheinbar werde da ein Bedürfnis angesprochen, das andere Parteien so nicht ansprechen. "Ich würde einiges davon gerne in Erfahrung bringen." Aber er habe den Eindruck, dass viele Menschen unter sich blieben, "unter den Leuten, die die gleiche Auffassung haben." Trotzdem ist Wilke zuversichtlich - und will es bleiben: "Wir sind eine weltoffene, internationale Stadt. Das leben wir auch."
Das ist alles andere als eine Floskel. Wer mit offenen Augen und Ohren durch die Stadt geht, sieht und hört sie: die vielen Polen, englisch sprechende Studenten der Europa-Universität Viadrina, Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern. Von den 58.000 Einwohnern Frankfurts hat jeder zehnte keinen deutschen Pass - ein für Ostdeutschland außergewöhnlich hoher Wert. Der Mix erzeugt, wie überall, Reibung - positive und negative. Die AfD sieht allerdings nur die Schattenseiten. Vor allem, wenn es um die etwa 1400 Flüchtlinge geht.
Ein Linker, der Flüchtlinge abschieben lässt
"Hätten wir weniger Flüchtlinge aufgenommen, dann hätten wir auch die Probleme nicht", sagt der Frankfurter AfD-Chef Wilko Möller im Gespräch mit der Deutschen Welle. Der 52-jährige Bundespolizist findet, die Grenze sei erreicht. "Wir geben sehr viel für Flüchtlinge aus." Man müsse auch mal "nein" sagen, weil die Stadt nicht mitgenommen werde. "Deshalb haben wir auch dieses Wahlergebnis erzielen können." Die Leute wollten keine "große kulturelle Veränderung".
Der Oberbürgermeister sieht das anders - was nicht heißt, dass er die Augen vor Missständen verschließt. Für Entsetzen sorgte im Sommer 2018 der Angriff gewalttätiger Flüchtlinge auf einen Party-Club. Laut Augenzeugenberichten sollen sie mit Messern und Eisenstangen auf die Gäste losgegangen sein und gerufen haben: "Wir sind Araber! Wir stechen euch alle ab!" Für Wilke war damit eine Grenze überschritten. Er will die Täter abschieben lassen. In einem Fall ist ihm das schon gelungen. Weitere Verfahren laufen noch.
Der Frankfurter AfD-Chef stammt aus dem Westen
In seiner eigenen Partei ist der Frankfurter Rathaus-Chef wegen seines konsequenten Umgangs mit Flüchtlingen für viele ein rotes Tuch. Denn die Linke lehnt Abschiebungen grundsätzlich ab. Wilke steht indes zu seiner Politik. Ab einem bestimmten Zeitpunkt müsse man auch sagen: "Bis hierher und nicht weiter!" Es seien einige wenige, die den Integrationsprozess von allen gefährdeten. "Weil sie dafür sorgen, dass Geflüchtete in Verruf geraten." Und das dürfe man nicht zulassen.
Abschiebungen müssten eigentlich ganz nach Wilko Möllers Geschmack sein. Anerkennende Worte sind vom ihm allerdings keine zu vernehmen. Wilke versuche nur die Probleme zu lösen, die er selber geschaffen habe. So erklärt sich der AfD-Mann auch den Erfolg seiner Partei bei der Europawahl. Der aus dem westdeutschen Hannover stammende Beamte, der mit einer Ostdeutschen zusammenlebt, verweist auf die DDR-Biografien der meisten Frankfurter. Den Westen hätten sie sich anders vorgestellt.
"Diese Globalisierung, diese unendliche Internationalisierung, ohne dass man gefragt wird." Die Menschen hätten in einer Diktatur gelebt - "zweifellos". Aber dann sei ihnen die Euro-Währung "übergestülpt" worden, die sie nicht gewollt hätten. In der Euro-Krise seien Milliarden ins Ausland transferiert und deutsche Steuergelder vernichtet worden. "Die Bürger sind hier viel sensibler bei staatlichen Eingriffen als im Westen", glaubt Möller.
Wenige Tage nach der für seine AfD so erfreulichen Europawahl könnte er seine Ansichten vor Publikum zum Besten geben. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke und sein Regierungsteam sind zu Besuch. "Kabinett vor Ort" lautet das Motto. Am Abend steht eine mehrstündige Diskussionsrunde auf dem Programm: "Zur Sache, Brandenburg!" Die Frankfurter können und sollen Klartext reden. Einige tun es auch. Klagen über zu viele Windräder rund um die Stadt, schlechte Bahnverbindungen oder fehlende Kultureinrichtungen.
In öffentlicher Runde schweigt die AfD lieber
Auch AfD-Mann Möller und ein paar Parteifreunde sitzen im Publikum. Sie verzichten aber darauf, sich an der offenen Aussprache zu beteiligen. Das Wort "Flüchtling" fällt kein einziges Mal. Kurz vor dem Ende der Veranstaltung will ein älterer Herr von Regierungschef Woidke wissen, ob man nach der Brandenburger Landtagswahl im September mit einem AfD-Ministerpräsidenten rechnen müsse? Der Amtsinhaber zögert einen kurzen Moment. Dann gibt er zu, vom Ergebnis der Europawahl "teilweise schockiert" gewesen zu sein. Von einem sei er aber fest überzeugt: Die Mehrheit der Menschen wisse, "dass unsere Zukunft in Gemeinsinn, Zusammenarbeit und Toleranz liegt".