Fouls auf hoher See
12. Mai 2014Es geht ruppig zu vor Chinas Küste und die ist weit gesteckt. Da ist der Streit im Ostchinesischen Meer zwischen China und Japan. Beide Länder erheben Anspruch auf eine Inselgruppe, unter der große Rohstoffvorkommen vermutet werden. Flugkontrollzonen wurden eingerichtet, schon mehrfach Kampfflugzeuge und Schiffe zur Abschreckung geschickt.
Einige hundert Seemeilen weiter südlich zanken China und Vietnam. Auch dort, im Südchinesischen Meer, geht es um die Frage, wo die Hoheitsgewässer der Chinesen enden und die der Vietnamesen beginnen. Vergangenen Mittwoch eskalierte der Streit: Chinesische Schlepper rammten die Schiffe der vietnamesischen Küstenwache und beschossen sie mit Wasserwerfen. Die vietnamesischen Einheiten wollten vorher verhindern, dass eine Bohrinsel der Chinesen auf hoher See verankert wird. Am gleichen Tag knallte es auch zwischen China und den Philippinen. Philippinische Behörden stoppten ein Fischerboot aus China und nahmen die elf Besatzungsmitglieder fest. An Bord sollen Schildkröten gefunden worden sein, die auf den Philippinen unter Artenschutz stehen. Die Chinesen stehen auf dem Standpunkt, sie fischen in eigenen Gewässern.
Ähnliche Geschichten ließen sich auch über Streitereien Chinas mit dem Sultanat Brunei, Malaysia und Taiwan erzählen. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass China nicht an einem neuen Zwischenfall auf hoher See beteiligt ist und mit einem seiner Nachbarn kabbelt. Es wird geschimpft, gerammt und verhaftet.
Das bedeutet aber noch lange nicht, dass in Asien bald das große Schiffeversenken beginnt. Das Südchinesische Meer ist kein Pulverfass des 21. Jahrhundert und schon gar kein Ort, wo sich durch eine Verkettung ungünstiger Ereignisse sogar ein neuer globaler Großkonflikt entladen könnte. Das hat sich wieder einmal am vergangenen Wochenende gezeigt als sich Vertreter der ASEAN-Staaten in Myanmar trafen. Eine Veranstaltung, bei der man China gemeinsam in die Schranken hätte weisen oder gar um amerikanischen Beistand hätte bitten können.
Doch stattdessen wurden die Amerikaner nicht erwähnt und die Chinesen nicht mit Namen. Im Abschluss-Kommuniqué wurde nur allgemein zur Besonnenheit aufgerufen.
So sehr es Chinas Nachbarn auch ärgert, dass sich da eine neue Großmacht vor ihren Küsten breitmacht. Genauso gut wissen sie auch, dass sie durch einen handfesten Konflikt mit dem Reich der Mitte mehr zu verlieren, als zu gewinnen haben.
Denn Territorialstreitigkeiten hin oder her, wirtschaftlich gibt es für keinen der beteiligten Staaten eine Alternative zu China. China ist für Länder wie Indonesien, die Philippinen, Vietnam und Japan längst der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Innenpolitisch bedeutet die Lage für Politiker einen Spagat. Denn immer wieder müssen sich Asiens demokratisch gewählte Politiker die wichtige Frage stellen: Was kommt bei den Wählern besser an: nationalistische Töne gegen den übermächtigen Nachbarn, der es auf das Meer vor der eigenen Haustür abgesehen hat, oder der Ausbau der wirtschaftlichen Kooperation? Die Tendenz der Wähler wird immer deutlicher. Meist haben sie sich in den letzten Jahren für wirtschaftliche Prosperität entschieden. Und daran wird sich wohl auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Denn natürlich spürt man den chinesischen Aufschwung im Geldbeutel. Gleichzeitig jedoch möchte man mutige, ja national stolze Politiker, die sich nicht einschüchtern lassen.
Harte Worte über China und Hitler, ein paar festgesetzte chinesische Seesleute, ein provozierender Besuch, bei einem Schrein in dem Kriegsverbrechen an China geehrt werden, stellen sicher, dass auch die Patrioten unter den Wählern das Kreuz an der richtigen Stelle machen. Auf eines können sie sich dabei verlassen. China wird schon nicht überreagieren, weil dort das Spiel ja genau so läuft. Auch wenn sie nicht gewählt werden muss, sucht die chinesische Regierung den Rückhalt in der Bevölkerung. Deshalb die zuweilen harschen Töne gegen Japan. Aber auch in Peking weiß man, dass mit einem Krieg niemandem geholfen ist und China am besten gedeiht, wenn die Handelsbeziehungen zu den Nachbarn intakt sind. Und wenn Peking dann noch dafür sorgt, dass auch die mächtigen Staatskonzerne des Landes unbehelligt vor der Küste Vietnams ihre Borinseln aufbauen können, muss die Regierung auch von ihnen keinen Ärger erwarten.
Die Drahtseile eigener nationaler Interessen und globaler Verstrickungen sind zwar gespannt wie noch nie in der Menschheitsgeschichte, ein großer Konflikt ist deshalb immer noch nicht zu erwarten, selbst wenn jemand die Nerven verlieren sollte. Zu einem Krieg gehören mindestens zwei. Wer soll denn da eigentlich gegen wen kämpfen? Die Chinesen gegen die Amerikaner? Warum sollte eine der beiden Seiten das riskieren? Nach einem Koreakrieg, der in den 50er Jahren ausging wie das Hornberger Schießen, einem verlorenen Vietnamkrieg, Irak I und Irak II, die fast nichts gebracht haben, und einem teuren Afghanistan-Abenteuer drängen sich die Amerikaner als aktive Schutzmacht nicht mehr auf. Umgekehrt sind die asiatischen Staaten vorsichtig, wenn es darum geht sich US-Truppen ins Land zu holen.
Als Barack Obama vor zwei Wochen durch Asien reiste, spürte er deutlich den Gegenwind. Bei seinem Stopp auf den Philippinen etwa, demonstrierten die Menschen gegen Pläne, wieder mehr US-Soldanten im Land zu stationieren. Und in Japan betonte der Präsident zwar, dass er dem Land zur Seite stehen will, falls es China tatsächlich wagen sollte die umstrittenen Inseln einzunehmen, aber wie ernst man es nehmen muss, wenn der US-Präsident so eine rote Linie zieht, hat sich ja bereits im Syrienkonflikt gezeigt. Wundern sollte man sich über die Zurückhaltung nicht. Denn auch Obama denkt natürlich zuerst an das, was seine Bürger zuhause wollen. Und die wollen keine neuen militärischen Abenteuer.
Die US-Weltpolizei wird deshalb vorerst nicht mehr ausrücken. Nicht nach Syrien, nicht in die Ukraine und schon gar nicht zum Muskelspiel im Südchinesischen Meer. Die Zeit der großen Kriege ist vorbei. Es ist das Zeitalter kleiner Gruppen von wendigen Terroristen, doch die spielen bei dem Territorialgezänk keine Rolle.
Unser Korrespondent Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.