Fotos aus dem Superrechner
11. August 2014Kein Monitor. Keine Tastatur. Supercomputer sehen aus wie überdimensionierte Aktenschränke. Und sie machen Krach. Das kommt von der extremen Kühlung, die nötig ist, damit die Prozessoren nicht heiß laufen. In Jülich arbeiten normalerweise Physiker, Chemiker und Biologen mit diesem Rechner, etwa um komplizierte Wetterdaten oder chemische Experimente zu berechnen. Jülich ist eines von drei nationalen Forschungszentren, die Wissenschaftler bei ihren Recherchen mit aufwendigen Simulationsprogrammen unterstützen. Juropa heißt der Hochleistungsrechner, der in einer gigantischen Halle steht. Juropa kostet 40 Millionen Euro. Nun stand er erstmals im Dienste der Fotoforschung. Und das vier Monate lang.
Norbert Attig vom Jülicher Forschungszentrums gibt sich große Mühe, gegen den Lärm der Kühlung anzureden. "Die Idee von Thomas Ruff war es, große hochauflösende Bilder zu machen. Er hat erkannt, dass er auf seinen eigenen Rechnern für seine aktuellen Fotos ein Jahr dafür bräuchte. Deswegen war Wunsch und Frage, ob wir das auf den Supercomputern rechnen können."
Win-win-Situation
Der Künstler bekam den Zuschlag. Schließlich ist es auch für die Forscher in Jülich eine interessante Erfahrung, mit einem Künstler wie Thomas Ruff zusammenzuarbeiten. Ruff zählt zu den Foto-Stars, die einst bei dem berühmten Fotografen-Paar Bernd und Hilla Becher von der Kunstakademie Düsseldorf studiert haben. Seine Arbeiten hängen in internationalen Sammlungen und werden auf Auktionen hoch gehandelt.
Thomas Ruff geht aber schon längst eigene Wege, die mit traditioneller Fotografie nur noch wenig zu tun haben. Er arbeitet mit Weltraumaufnahmen der NASA oder mit Planetenbildern, aufgenommen von Teleskopen in den Anden, die er farbig koloriert. Der 56-jährige Ruff sucht nach neuen Wegen in der Fotokunst. Für sein neuestes Experiment geriet er allerdings an seine Grenzen.
Rechner am Rande des Zusammenbruchs
Thomas Ruffs Plan war es, Fotogramme ins digitale Zeitalter zu überführen. Fotogramme kennt man aus der Kunstgeschichte. Anfang des 20. Jahrhunderts haben Künstler wie Man Ray, Moholy Nagy oder Christian Schad damit herumexperimentiert: Ihr Ziel war es, Schwarz-Weiß-Fotos ohne Kamera zu machen. Sie arrangierten Gegenstände wie Gläser oder Kugeln auf lichtempfindlichem Papier und belichteten sie. Alles, was früher per Hand arrangiert wurde, baut Ruff nun am Computer nach: von der Lichtquelle über den Gegenstand bis hin zum Papier. Die Crux: Seine drei Macs und sechs PCs im Düsseldorfer Atelier streikten, weil die Berechnung ungeheuer aufwendig ist.
Fotogramme aus dem Supercomputer
Deshalb bat er die Forscher in Jülich, ihm zu helfen. Und hatte das Glück, dass Juropa ein Auslaufmodell ist und auf dem Prüfstand steht. Das Forschungszentrum Jülich versucht gerade herauszufinden, was der Nachfolger alles können muss.
Da kamen die Fotoexperimente von Ruff gerade zum richtigen Zeitpunkt, um die Grenzen des Rechners auszuloten. "Von den Bildern haben wir gar nichts gelernt. Aber von der Rechnung selber. Das sind hohe Anforderungen an Datenhaltung, Transferleistung und an die Rechenleistung. Die Prozessoren werden sehr stark beansprucht, sie werden sehr heiß, das lassen wir in Überlegungen in ein Nachfolgesystem einfließen", so der Jülicher Experte für Hochleistungscomputer, Wolfgang Frings.
Fotogramme des digitalen Zeitalters
Im Kunstzentrum S.M.A.K. im belgischen Gent präsentiert Thomas Ruff noch bis zum 24. August seine Super-Fotogramme aus dem Supercomputer. Der Reiz des Fotogramms liegt für ihn darin, dass das Auge nur den Schatten zu sehen bekommt und das Objekt nur erahnen kann. "Es ist ein bisschen wie in Platons Höhle, wo man nur nicht weiß, wie die Objekte in Wirklichkeit aussehen. Auf den Bildern ist nur die Lichtbrechung zu sehen. Mir geht es darum, wie wir wahrnehmen und wie viel Illusionismus in der Fotografie ist", sagt Ruff.
Sein Ehrgeiz war es, in der "virtuellen Dunkelkammer", wie er seine Arbeit am Computer selber nennt, nicht nur großformatige, sondern auch farbige Bilder herzustellen. Es entstehen abstrakte Farbspielereien. Von der Linie bis zur kristallinen Struktur oder zur Fläche: Die Bandbreite der Bilder ist enorm.
Mit einem Cinema-4-D-Programm arbeitet er an der Komposition. Technik ist dabei nur Mittel zum Zweck. "Wenn die Nasa zum Mond fliegt, was ist da wichtiger? Die Technologie, oder dass sie ankommt? Diese Bilder hätten ohne den Supercomputer nicht entstehen können."
Ausstellung in Gent
Die Ausstellung im Genter Smak schlägt einen weiten Bogen und zeigt die ersten Serien: die Innnenaufnahmen piefiger 50er Jahre Wohnungen seiner eigenen Verwandtschaft, die Sternenbilder der späten 80er Jahre, aufgenommen von einem Teleskop in den Anden, die Aufnahmen von Düsseldorf durch ein Nachtsichtgerät. Die Kamera scheint im Laufe der Zeit immer unbedeutender zu werden. Eine der eigentlichen Absichten des Künstlers kommt immer klarer zum Vorschein: Ruff geht auf Distanz zur Wirklichkeit, um den Formen ein Eigenleben zu geben. "Wenn Sie mich fragen: Herr Ruff, sind Sie Fotograf? Dann würde ich sagen, nein, ich bin Künstler", antwortet Ruff auf die Frage, was das noch mit Fotografie zu tun hat.
An der Fotogramm-Serie will Ruff weiter arbeiten. Die Kooperation mit Jülich ist allerdings vorerst vorbei. Das bereitet dem Künstler einiges an Kopfschmerzen. "Wie soll ich ohne Jülich weitermachen", fragt er sich.