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UHCR: Flüchtlingsdrama im Mittelmeer

Bernd Riegert10. Dezember 2014

Die Zahl der Bootsflüchtlinge steigt weltweit an, beklagen die UN. Die EU versucht gegenzusteuern, die richtigen Rezepte fehlen ihr aber noch. Die Verteilung von Flüchtlingen bleibt ein Zankapfel innerhalb der EU.

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Lampedusa Triton. Mahnmal für ertrunkene Flüchtlinge auf Lampedusa
Mahnmal für ertrunkene Flüchtlinge auf Lampedusa: EU muss mehr tunBild: DW/B. Riegert

In der Beurteilung der hohen Flüchtlingszahlen auf dem Mittelmeer im laufenden Jahr sind sich die Europäische Union und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) völlig einig. Angesichts der Rekordziffern von rund 207 000 Bootsflüchtlingen und geschätzten 3400 Menschen, die die Überfahrt nicht überlebt haben, spricht auch die EU ganz offen von einer Katastrophe. Bundesinnenminister Thomas de Maiziere sagte beim letzten Innenministertreffen der EU wie zahlreiche seiner Kollegen, das könne nicht so bleiben. "Wir wollen nicht, dass die Menschen unterwegs sterben, weder in der Wüste noch im Mittelmeer. Das geschieht aber zurzeit. Wir wollen nicht, dass mit diesen Fluchtbewegungen Verbrecher Geld verdienen." Vier bis fünf Milliarden Euro seien rund um das Mittelmeer allein in einem Jahr von Schleppern verdient worden. De Maiziere zieht aus der Katastrophe seine Schlüsse: "Letztlich ist wohl richtig, dass man auch legale Wege nach Europa schaffen muss und nicht nur illegale Wege irgendwie verhindern." Angestiegen sind die Flüchtlingszahlen vor allem durch den Bürgerkrieg in Syrien und durch den Zerfall des Staates Libyen.

Infografik Flüchtlingsströme Ankunftsländer im Mittelmeerraum

Mehr Kontingentflüchtlinge aus Syrien?

Die Analyse ist also klar. Was aber ist zu tun? Darum ringen die EU-Staaten bereits seit vielen Jahren. Im Kern geht es immer darum, wie die Migranten verteilt werden sollen. Es gilt mittlerweise die sogenannte Dublin-III-Regel, die vorschreibt, dass der EU-Staat die Menschen aufnimmt und durch ein geordnetes Verfahren schleust, in dem sie zuerst ankommen. Mittelmeer-Anrainer wie Italien und Griechenland sehen sich durch das System über Gebühr belastet. Fünf Staaten, darunter Deutschland, weisen darauf hin, dass sie absolut oder an der Bevölkerung gemessen, die meisten Flüchtlinge aufnehmen. Die EU unterscheidet bei den Migranten zwei Kategorien: Kontingentflüchtlinge, im Moment vor allem aus Syrien, die vom UNHCR ausgesucht in die EU geschickt werden und Asylbewerber, die auf legalem oder illegalem Weg nach Europa reisen. Die 28 Mitgliedsstaaten der EU wollen rund 30 000 Kontingentflüchtlinge aus Syrien vorübergehend aufnehmen. Die Verteilung auf die Staaten ist aber sehr unterschiedlich. Osteuropäische Mitgliedsstaaten nehmen fast niemanden auf. Auch südliche Staaten wie Portugal oder Spanien zögern. Bei der letzten Innenministerkonferenz der EU in der letzten Woche, hat "keiner laut 'hier' geschrien, als es um neue Zusagen ging", sagte ein EU-Diplomat. Zum Vergleich: Die Türkei hat rund eine Million Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien aufgenommen.

Infografik Mittelmeer tödlichste Flüchtlingsroute der Welt

EU will Kontingentflüchtlinge nach festem Schlüssel verteilen

Die EU-Kommission will deshalb versuchsweise einen festen Verteilungsschlüssel gestaffelt nach Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft des Mitgliedslandes für Flüchtlinge anwenden, kündigte der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos an: "Es kann nicht sein, dass die Staaten, die die meisten Kontingent-Flüchtlinge aufnehmen, gleichzeitig auch die meisten Asylbewerber bekommen. Wir legen zurzeit ein Pilotprojekt auf, das hoffentlich bald alle Mitgliedsstaaten umfasst. Es soll eine faire Verteilung der Kontingent-Flüchtlinge in der ganzen EU gewährleisten." Kontingentflüchtlinge stellen nur einen kleinen Teil der Migranten dar, die nach Europa einreisen. Die weitaus größte Zahl sind Asylbewerber oder Menschen, die sich illegal in Europa aufhalten. Die meisten Migranten kommen übrigens, entgegen den dramatischen Zahlen und Bildern von den Bootsflüchtlingen, auf dem Land- oder Luftweg. Sie kommen mit dem Flugzeug und überziehen das Visum für den Schengen-Raum der EU, stellen einen Asylantrag oder tauchen ab.

Steigert Seenot-Rettung die Zahl der Flüchtlinge noch?

Seit rund zwölf Monaten rettet die italienische Marine in der Operation "Mare Nostrum" schiffbrüchige Migranten im Seegebiet zwischen Italien und Libyen. Etwa 100 000 bis 120 000 Menschen haben die Marineeinheiten unter dem Kommando von Admiral Filippo Maria Foffi aus dem Meer gefischt. 3400 Menschen starben laut Statistik. Aber die Dunkelziffer liege wahrscheinlich noch viel höher, vermutete Admiral Foffi vor kurzem bei einem Pressegespräch in Brüssel. Die Gewissheit, dass sie gerettet werden könnten, habe noch viel mehr Migranten zu der gefährlichen Überfahrt veranlasst. "Mare Nostrum" trage also zur Erhöhung der Zahlen bei, kritisiert zum Beispiel Bundesinnenminister Thomas de Maiziere. Den Schleppern, die für einen Platz in einem baufälligen Kahn bis zu 5000 US-Dollar kassierten, erleichtere die einigermaßen gewisse Rettung der Migranten das Geschäft. Deshalb ist die EU auch damit einverstanden, dass Italien die Operation auslaufen lässt.

Dimitris Avramopoulos PK mit Thomas de Maizière 02.12.2014 Berlin
Avramopoulos: Verteilung per SchlüsselBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Seit November ist eine neue Operation der europäischen Grenzschutz-Agentur "Frontex" vor den Küsten Italiens aktiv. Die kleinere Operation "Triton" soll allerdings nicht vorrangig retten, sondern die Grenzen bewachen. Natürlich rettet auch "Triton" Menschen aus akuter Seenot, betont die Sprecherin von Frontex Izabella Cooper. Allein in der ersten Woche hat "Triton" bereits mehr als 8000 Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer geholt.

"Schlimmer als Sklavenhandel"

Der bisherige Leiter der Seenotrettung "Mare Nostrum", Admiral Foffi glaubt, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge auch ohne die italienische Operation angestiegen wäre, weil die Krisen rund um Europa eben zunehmen. Das größte Problem sind für ihn die inzwischen international vernetzten Schlepperbanden, die hauptsächlich von Libyen aus ihr Geschäft betrieben. "Das was da passiert, ist eigentlich noch schlimmer als Sklavenhandel", sagte Foffi in Brüssel. Ein Sklavenhändler hätte Interesse daran, dass seine Sklaven, die Ware, den Empfänger gesund erreiche, damit sie Geld bringe. Bei Migranten sei das ganz anders. "Nach der Zahlung der letzten Rate bedeutet ihr Leben gar nichts mehr. Die Schlepper wollen sie einfach loswerden. Deshalb werden sie in alten und seeuntüchtigen Booten losgeschickt." Durch dieses brutale und rücksichtslose Vorgehen der Schlepper steige die Zahl der Toten an, nicht durch die mögliche Rettung durch "Mare Nostrum" oder "Triton".

Lager für Flüchtlinge außerhalb der EU?

Eine legale Einreise für alle Flüchtlinge oder Asylbewerber, wie sie unter anderem von Pro Asyl gefordert wird, kommt für die EU-Innenminister nicht in Frage. "Ich würde sie ja alle aufnehmen, aber das ist zuhause politisch nicht durchsetzbar", so ein hochrangiger EU-Diplomat. Schon jetzt haben viele EU-Staaten mit zunehmender Ausländerfeindlichkeit zu kämpfen. In Deutschland wäre ein Verdoppelung oder Verdreifachung der Flüchtlinge den Städten und Bundesländern, die dafür zuständig sind, nicht zuzumuten, meint Bundesinnenminister Thomas de Maiziere. Er schlägt, wie andere EU-Kollegen auch, die Einrichtung von "Flüchtlingszentren" in Transitländern in Nordafrika vor, um dort Migranten unterzubringen und eine Art Aufnahmeverfahren vorzuschalten. "Unser Ziel ist es, eine umfassende Lösung mit Staaten außerhalb der EU zu vereinbaren. Wir wollen alles Mögliche tun, um die Menschen bereits in Transitländern zu schützen", sagte auch der EU-Kommissar Dimitri Avramopoulos. Wie diese Idee umzusetzen wäre, ist aber noch unklar, räumt auch Innenminister de Maiziere ein. Die Lager, die von Hilfsorganisationen heftig kritisert werden, könnten ein Weg für mehr legale Einreisen nach Europa sein, glaubt Bundesinnenminister de Maiziere.

Thomas de Maziere 09.10.2014
De Maiziere: Über Lager in Transitstaaten nachdenkenBild: DW/Bernd Riegert

Die Diskussion mit Herkunftsländern und Transitländern wird noch viele Jahre dauern, bis es zu nennenswerten Ergebnissen kommt. Davon gehen die EU-Diplomaten in Brüssel aus. In der Zwischenzeit bleiben Appelle an die EU-Mitgliedsstaaten, wenigstens mehr Kontingent-Flüchtlinge aufzunehmen, um den Druck im Kessel etwas abzumildern. "Wenn wir wirklich etwas ändern wollen, dann müssen die guten Absichten in konkretes Handeln münden. Das heißt, das alle Mitgliedsstaaten eine angemessene Anzahl von Kontingent-Flüchtlingen aufnehmen. Das würde die Flüchtlinge davon abhalten, eine tödliche Reise nach Europa anzutreten", sagte der EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos.