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Flüchtlingslager: Leben ohne Perspektive

Christina Ruta8. Oktober 2012

Flüchtlingslager müssen die Menschen schnell mit dem Nötigsten versorgen. Um das zu erreichen, werden die Lager nach einem einheitlichen Schema geplant. Das hat Folgen für den Alltag der Flüchtlinge.

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Choucha Flüchtlingslager in Tunesien (Foto: Getty Images)
Bild: Dominique Faget/AFP/Getty Images

Im größten jordanischen Lager für syrische Flüchtlinge Saatari spielten sich Anfang Oktober dramatische Szenen ab. Mit Tränengas ging die jordanische Polizei gegen hunderte Flüchtlinge vor, die wiederholt gegen die miserablen Lebensbedingungen protestierten. Rund 30.000 Menschen leben mittlerweile in dem Lager, das die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR zusammen mit anderen Hilfsorganisationen mitten in der Wüste nahe der Grenze zu Syrien errichtet hat. Die Bewohner haben dort Zuflucht vor dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland gefunden und wurden vom UNHCR mit dem Nötigsten ausgestattet: einem Schlafplatz, einem Eimer zum Wasserholen und Medikamenten. Das Leben der Flüchtlinge ist durch Entbehrung und Monotonie gekennzeichnet. Sie haben keine Privatsphäre. Um etwas zu essen zu bekommen, müssen sie an der zentralen Ausgabestation Schlange stehen - unter der heißen Wüstensonne. Zu tun gibt es nicht viel. Wie lange das Leben im Provisorium andauern wird, weiß niemand.

Ein ähnliches Schicksal teilen auch andere Flüchtlinge weltweit. Nach der jüngsten Statistik des UNHCR lebten Ende 2011 rund drei Millionen Menschen in Flüchtlingslagern. Die meisten Betroffenen befinden sich in Camps in der Sub-Sahara-Region und in Asien.

Flüchtlingslager Dadaab in Kenia (Foto: AP/dapd)
Flüchtlingslager Dadaab in KeniaBild: AP

Überleben statt Lebensqualität

Für Manuel Herz, Architekt und Autor des Buches "From Camp To City" sind die Probleme schon in der Planung der Lager selbst angelegt. "Wir haben auf der Welt einige hunderte Flüchtlingslager in allen möglichen Erdteilen und in allen möglichen Klimazonen - trotzdem wird immer dieselbe Anleitung angewandt, um die Lager zu bauen", kritisiert Herz. Auf spezifische Anforderungen des Ortes, wie etwa der Wüstenlage, werde nicht eingegangen. Die Grundlage, auf der das UNHCR die Flüchtlingslager errichtet, ist im "Handbuch für Notfälle" enthalten, erläutert der Autor. Das Handbuch legt genau fest, wie viel Wohnraum einem Haushalt zur Verfügung gestellt wird und wie die Zelte, Straßen und Verwaltungsgebäude angeordnet sein müssen, damit die Menschen nicht zu dicht beieinander leben und ausreichend mit Sanitäranlagen oder Krankenstationen versorgt sind.

Der Aufbau eines Lagers erfolgt modular: Man geht von der kleinsten Einheit, einem Vier-bis-sechs-Personen-Zelt auf 16 Quadratmetern Fläche aus. Idealerweise wird es von einer Familie bewohnt. Diese "Haushalte" werden zu einer Gemeinschaft zusammengefasst, 16 Gemeinschaften bilden schließlich einen Block; vier Blöcke einen Sektor. Pro Sektor steht eine Schule, ein Markt, eine Krankenstation zur Verfügung. Vier Sektoren bilden ein Camp, das möglichst nicht mehr als 20.000 Flüchtlinge beherbergt. Der Raum für Verwaltung ist strikt vom Wohnraum getrennt. "Die Planung ist sehr hierarchisch und auf Funktionalität abgestimmt, es geht stark um Hygiene und Sicherheit. Was außer Acht gelassen wird, sind die Alltäglichkeiten des Lebens, Fragen wie: wie vergnügt man sich eigentlich in einer Stadt oder Siedlung?", kritisiert der Autor Herz im Gespräch mit der DW. Dies werde vor allem dann zum Problem, wenn die Camps - wie es oft der Fall ist - dauerhaft bestehen, weil der Konflikt, der die Menschen zur Flucht veranlasst hat, noch anhält. Herz vermisst vor allem mehr Raum für Erziehung, Kultur, politische Beschäftigungen und Freizeitgestaltung. "Die rein technische Sichtweise von Flüchtlingslagern macht die Menschen häufig zu passiven Empfängern von Hilfsgütern, die nicht selbstbestimmt leben", sagt er. Auf kulturelle oder ethnische Besonderheiten, wie ein Leben in Großfamilien, werde nicht eingegangen. Stattdessen orientiere sich die Planung mit ihrem quadratischen Raster am westlichen Idealtyp einer Stadt.

Architekt und Autor Manuel Herz (Foto: Manuel Herz Architekten.)
Architekt und Autor Manuel HerzBild: Manuel Herz Architekten

Es fehlt an Platz und Arbeit

Das UNHCR ist sich der Problematik der Flüchtlingslager bewusst, verweist aber darauf, dass die einheitlichen Standards bei der Planung die schnellstmögliche Vorsorgung der Flüchtlinge mit dem Nötigsten sicherstellen. "In den meisten Lagern gibt es auch nicht genügend Platz", erläutert Jane Wanjiru Muigai, regionale Kontaktperson des UNHCR in Nairobi. "Das Land stellt die Regierung des Gastlandes zur Verfügung. Wenn das nicht ausreicht, dann müssen wir viele Zelte auf kleinstem Raum zusammenstellen", so die UNHCR Mitarbeiterin. Um den Menschen auch bei längeren Aufenthalten eine Perspektive zu bieten, richte man Schulen für die Kinder ein und stelle den Menschen Sportplätze und religiöse Begegnungsstätten zur Verfügung. "Es gibt Einrichtungen für Frauen, in denen sie nähen oder gemeinsam kochen können", berichtet Jane Wanjiru Muigai. Zudem seien die Bewohner dazu angehalten, das Leben in den Camps aktiv zu gestalten.

Jordanische Zeltstadt Zaraari für Flüchtlinge aus Syrien (Foto: AP/dapd)
Jordanische Zeltstadt Zaraari für Flüchtlinge aus SyrienBild: AP

Allerdings sei es aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen und der begrenzten finanziellen Mittel, die die internationale Gemeinschaft zur Verfügung stellt, nicht immer möglich, auf alle Bedürfnisse einzugehen. "Eines der größten Probleme der Bewohner der Camps ist, dass sie keine Arbeit haben. Den ganzen Tag nichts zu tun, ist für viele sehr frustrierend", erklärt Jane Wanjiru Muigai. Viele Menschen seien durch die Flucht oder die Ereignisse im Heimatland zudem stark traumatisiert und litten auch darunter, sich nicht frei bewegen zu können: "Die Flüchtlinge können nicht einfach irgendwo hingehen. Um das Camp zu verlassen, brauchen sie die Erlaubnis der Regierung des Gastlandes."

Viele profitieren von den Lagern

Manuel Herz würde es begrüßen, wenn die Flüchtlinge stärker in die Planung ihrer neuen Heimat miteinbezogen würden und sich so langfristig eine sich selbst verwaltende Gesellschaft entwickeln kann. Die Hilfsorganisationen sollten sich eher etwas zurücknehmen. "Man darf auch nicht vergessen, dass viele Akteure von den Flüchtlingslagern profitieren", gibt Herz zu bedenken. Profiteure seien nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Hilfsorganisationen: "Sie bekommen mit jedem neuen Flüchtlingslager neue Spenden, können zusätzliches Personal einstellen und ihre Arbeit international darstellen", so der Architekt.

Trotz der Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge leben müssen, ist Selbstmord unter Bewohnern von Flüchtlingslagern aber kaum ein Thema, sagt Jane Wanjiru Muigai - und gibt auch einen Grund an: Die meisten Menschen sind voller Hoffnung, eines Tages doch in ihr Heimatland zurückkehren zu können.