Flüchtlingsarbeit belastet Polizei
23. September 2015Die Liste der Sorgen ist lang: Nicht wenige Polizisten versuchen ihre Arbeit trotz Kopf- und Magenschmerzen zu bewältigen, berichtet der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Bayerns, Peter Schall. Auch fehle es an Personal. Viele Beamte müssten deswegen bundesweit in zusätzlichen Schichten nachts und am Wochenende arbeiten. "Die Kolleginnen und Kollegen beklagen sich darüber, dass wenig Rücksicht auf ihre körperliche und psychische Belastung genommen wird", sagt Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Der Berliner Gewerkschaftsvertreter Detlef Herrmann beklagt, dass die Polizei inzwischen als "Ersatzspieler für die Ausländerbehörde" herhalten muss.
Ein hessisches Polizeipräsidium hat sich die Mühe gemacht, die vielen neuen Tätigkeiten aufzulisten: Flüchtlinge registrieren, Akten anlegen, Passrecherchen ergänzen, Ersatzpapiere ausstellen, Asylsuchende zu Generalkonsulaten und Botschaften bringen, Haftanträge stellen, Schleuser verhaften und verhören.
Neben allen erkennungsdienstlichen Maßnahmen muss die Polizei zudem Unterkünfte aussuchen und die Verteilung der Flüchtlinge betreuen. Auch muss sie Geld und Sachleistungen aushändigen. Im Fall von abgelehnten Asylanträgen muss sie Rückflüge vorbereiten, die Flugfähigkeit der Personen prüfen und ärztliche Reisebegleitungen organisieren.
Polizeiaufgaben bleiben liegen
"S.O.S." - diesen Notruf sendete die Gewerkschaft der Polizei in Bayern und wandte sich in einem offenen Brief an die bayerische Staatsregierung. Polizeibeamte berichten darin von "Leid, Elend, Wut, Ärger und Erschöpfung", die ihnen als "Fließbandarbeiter" bei der Erstaufnahme von Flüchtlingen entgegenschlagen.
In Schleswig-Holstein bleiben viele Polizeiaufgaben schlicht liegen, berichten andere Beamte. Da laufe vieles an Kriminalität an den Ermittlungsbehörden vorbei. Schnelle Eingriffsmöglichkeiten fehlten. Man könne aber nicht dauerhaft zusehen, wie zum Beispiel Drogentransporte ungehindert passieren. Die Gefahr bestehe aber, weil selbst von Flüchtlingsbelangen nicht betroffene Dienststellen rund um die Uhr Beamte abordnen müssen.
"Die Polizei wird ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen", sagt Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft. Er muss aber zugeben, dass man nicht überall alle Aufgaben erfüllen könne. "Gefälschte Papiere werden wir beispielsweise nicht immer entdecken können", sagt Wendt. Auf die Frage, was denn auf jeden Fall gewährleistet werden könne, antwortet der erfahrene Polizeibeamte: "Wir werden die Flüchtlingsheime schützen können, und die Konflikte innerhalb der Heime bewältigen wir, so gut wir können - aber die Ressourcen sind erschöpft."
Rentner sollen helfen
Abhilfe sollen jetzt Pensionäre, also ehemalige Polizeibeamte, schaffen. Außerdem sollen bald in Rente gehende Polizisten ihren Ruhestand verschieben. Das Polizeipräsidium Westhessen in Wiesbaden hat rund 200 ehemalige Beamte angeschrieben, von denen rund ein Drittel Interesse an einer Wiederaufnahme der Arbeit bekundet haben soll.
Auf bundesweiter Ebene war die Resonanz "eher bescheiden", bemerkt Rainer Wendt. Das liege an den spärlichen Gegenleistungen für die reaktivierten Polizeikräfte. "Die Hinzuverdienstmöglichkeiten eines Beamten sind viel zu gering", so Wendt. Alles, was die eigentlich pensionierten Polizisten jetzt für Flüchtlinge leisten würden, bekämen sie von ihrer Pension wieder abgezogen. Dennoch ist Wendt zuversichtlich. Immerhin handele es sich ja um ehemalige Staatsbedienstete, die ihre Beamtentugenden nicht mit der Pensionierung abgegeben hätten: "Wenn ihr Land sie braucht, werden sie auch ihrem Land wieder dienen."
Doch diese ungewöhnliche Maßnahme lindert die Lage nur minimal. Das ist allen Beteiligten klar. Deswegen bauen die Polizeibehörden jetzt verstärkt auf Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Sie hat Hilfe von der Bundeswehr angeboten. Vor allem in den Bereichen, die nicht unbedingt von Polizeibeamten bedient werden müssen. Dazu gehören vor allem logistische Fragen wie Zeltaufbau und Transport. Dort verfügt die Bundeswehr über viele Möglichkeiten. Weitergehend darf aber auch die Bundeswehr nicht eingreifen. Schleuser verhaften und Flüchtlinge betreuen bleiben Aufgaben der Polizei.