Flüchtlinge stoßen in Serbien auf Ablehnung
9. Dezember 2013Ende November schneite es in Serbien zum ersten Mal in diesem Jahr. Der Schnee brachte Freude für die Kinder, Stress für die Autofahrer und viel Arbeit für die Räumdienste. Für Asylsuchende, die immer noch keinen Platz in Heimen bekommen hatten, wurde der Schnee zum Horror. Hunderten blieb nichts anderes übrig, als unter freiem Himmel zu schlafen. "Wir sind in Sommerkleidung hier angekommen und mussten nun bei diesem kalten Wetter draußen im Wald bleiben", sagte der 17-jährige Kamran Ali aus Pakistan dem Belgrader Boulevardblatt Kurir. Damit hatte er nicht gerechnet - aber auch nicht damit, dass die Einheimischen in mehreren Gemeinden gegen die Einrichtung von Asylzentren in ihren Ortschaften protestieren. "Wir sind vor dem Krieg geflohen, aber auch hier wollen die Leute uns lynchen", schildert Ali. "Was haben wir falsch gemacht?"
Derzeit halten sich in Serbien etwa 500 Asylbewerber auf, die meisten stammen aus Syrien, Somalia, Eritrea, Afghanistan und Pakistan. Das serbische Kommissariat für Flüchtlinge schaffte es erst Anfang letzter Woche, alle in Asylheimen und Notunterkünften unterzubringen. "Die Regierung hat sich zu spät engagiert“, kritisiert Radoš Đurović vom Hilfszentrum für Asylsuchende, einer serbischen Nichtregierungsorganisation. Der Wintereinbruch dürfe einen Staat nicht überraschen, so Đurović gegenüber der DW. "Das Problem mit fehlenden Kapazitäten ist chronisch. Anders als in den Nachbarnländern hat Serbien keine zusätzlichen Asylheimen gebaut. Der Staat hätte angesichts der Krise in Syrien früher reagieren müssen", betont er.
Vorurteile leben auf
Die Belgrader Regierung zeigt sich hilflos im Umgang mit gewaltsamen Protesten, die sich gegen Asylwerber richten. Ende November wurde im Dorf Skela, in der Nähe von Belgrad, eine Notunterkunft für Flüchtlinge in Brand gesetzt, nachdem Demonstranten die Unterbringung von 70 Asylbewerbern mit Straßenbarrikaden verhinderten. "Es wäre keine gute Lösung gewesen, wenn eine Hundertschaft der Polizei die Proteste mit Gewalt beendet hätte", meint Jelena Marić vom Kommissariat für Flüchtlinge. "Eine Machtdemonstration könne an den Einstellungen der Bürger gegenüber den Asylsuchenden nichts ändern. Die Flüchtlinge würden dennoch Anfeindungen ausgesetzt sein", sagt Marić im DW-Gespräch. Seit Jahren versucht das Kommissariat eine verlassene Kaserne in der Nähe der Kleinstadt Mladenovac als Asylzentrum zu nutzen - wegen der Proteste ist das bisher nicht gelungen.
Aktivist Đurović kritisiert vor allem die lokalen Politiker in Ortschaften, wo Asylheime bestehen oder eingerichtet werden sollen. Mit billigem Populismus würden sie versuchen, politisch zu punkten, meint er. "Einige Bürgermeister erzählen, dass die Ausländer Epidemien verbreiten, Frauen vergewaltigen und die Serben demografisch überschwemmen werden. Diese Botschaften sind natürlich falsch und fremdenfeindlich. Und der Staat schweigt", empört sich Đurović und sieht den Nährboden für Vorurteile der serbischen Bevölkerung bereitet.
Unbegründete Ängste
Dabei ist in Serbien die Flüchtlingsproblematik alles andere als unbekannt. Nach dem Bürgerkrieg, der das damalige Jugoslawien spaltete, sind etwa 200.000 Serben aus Kroatien geflohen. Es sei zu bedauern, so Đurović, dass gerade viele ehemalige Flüchtlinge jetzt die Proteste gegen Asylsuchende befeuerten. "Die vertriebenen Serben waren damals in denselben Gebäuden wie heute die Syrer oder Afghanen untergebracht. Ich habe vor Ort einige Demonstranten gefragt, warum sie so heuchlerisch seien? Keine Antwort. Die Wirtschaftslage in Serbien ist so schrecklich, dass die Bürger Menschlichkeit und Solidarität vergessen haben."
Die Demonstranten rechtfertigen ihre Proteste mit der Angst vor Kriminalität: sie seien nur "besorgte Bürger" und keine Rassisten, die Ausländer seien grundsätzlich willkommen - nur nicht in der eigenen Nachbarschaft. Die Gesprächspartner der DW hingegen betonen, dass es gegen Asylsuchende in Serbien insgesamt nicht mehr als zehn Anzeigen gebe, meistens wegen Diebstahls. Auf der anderen Seite verfolge die Poliei Hunderte serbischer Bürger wegen Übergriffen auf Asylwerber. "Die Flüchtlinge werden überfallen und zusammengeschlagen", sagt Jelena Marić. "Es gibt sogar organisierte Gruppen, die Ausländer ausrauben. Sie wissen ganz genau, dass die Asylbewerber Geld von Verwandten überwiesen bekommen, um ihre Reise nach Westeuropa fortsetzen zu können."
In der Tat setzen viele Asylsuchenden ihre Reise Richtung Westen schon nach ein paar Tagen oder Wochen fort. Zwar haben allein in diesem Jahr schon über 4000 Menschen einen Antrag auf Asyl in Serbien gestellt, doch die meisten sind schon wieder weitergezogen - ohne eine Entscheidung abzuwarten. In Serbien haben sie absolute Bewegungsfreiheit, und sie wird genutzt um zunächst nach Ungarn zu reisen, und danach weiter nach Deutschland oder Skandinavien. In Serbien bleiben will keiner der Flüchtlinge.