Flüchtlinge - Hinter ihnen Krieg, vor ihnen Elend
2. Oktober 2009Es ist nicht einfach, Maratane zu erreichen: Circa 30 Minuten Fahrt mit dem Geländewagen – über Sandpisten in schwer zugängiger Savannenlandschaft - trennen das Flüchtlingslager von Nampula, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Nordosten Mosambiks.
Wir kommen in Begleitung einer Beamtin des mosambikanischen Außenministeriums, die uns darauf aufmerksam macht, dass Fotografieren streng verboten sei. Maratane, so erzählt Orlanda Esmeralda, ist 2001 eröffnet worden, und ist das einzige Flüchtlingslager in Mosambik: "Die Meisten hier kommen aus der Region der Großen Seen: Ruanda, Burundi, Kongo… aber hier gibt es auch Menschen aus dem Sudan, aus Eritrea, aus Sierra Leone oder aus Somalia. Der überwiegende Teil aber kommt aus der Region der Großen Seen."
Ein Meer aus Hütten und Zelten
Das Lager: Ein Meer aus Holzhütten und Zelten. Dazwischen: improvisierte Obst- und Gemüsestände, hier eine Kirche, dort eine Moschee, dort wiederum eine notdürftig eingerichtete Krankenstation. Die erste Bewohnerin, die wir ansprechen ist Gina, Mutter von sechs Kindern. Gina ist vor sechs Jahren aus dem Kongo geflüchtet, zunächst nach Tansania. Irgendwann landete sie mit ihren Kindern in Maratane. „Seit fünf Jahren lebe ich nun hier. Mein Leben besteht aus Leid. Ich leide unaufhörlich. In meine Heimat kann und will ich nicht zurückkehren. Dort haben sie meinen Mann sowie zwei meiner Kinder ermordet. Und nun bin ich hier, als allein stehende Frau, mit den Kindern, die mir bleiben…"
Trotz der äußerst schwierigen Bedingungen verläuft das Zusammenleben der Flüchtlinge äußerst friedlich. Für Ruhe und Ordnung sorgen allerdings über Hundert mosambikanische Polizisten, die in Maratane täglich ihren Dienst tun. Orlanda Esmeralda vom mosambikanischen Außenministerium:"Wir wollen keine Trennung nach Nationalität. Wir wollen, dass alle zusammenleben seien sie aus dem Kongo, aus Ruanda oder aus Burundi. Wir wollen hier keine 'Apartheid', wenn ich es so ausdrücken darf. Hier müssen alle zusammenhalten, denn schließlich sind sie vor Konflikten in ihren Heimatländern geflüchtet. Diese Konflikte sollen hier nicht fortgesetzt werden."
Kinder werden im Lager geboren
5.000 Flüchtlinge. Einige wohnen schon seit der Eröffnung des Flüchtlingslagers im Jahre 2001 hier. Viele der jüngeren Bewohner sind bereits hier geboren. 5.000 Flüchtlinge. 5.000 Einzelschicksale: "Sie haben viel mitgemacht. Sie flüchten vor dem Krieg. Viele der Frauen sind vergewaltigt worden, viele Männer sind ermordet worden. Viele haben alles verloren. Es gibt Frauen, die ihre Ehemänner verloren haben und Männer, die ihre ganze Familie verloren haben."
Kabura Nickson, 33 Jahre alt, flüchtete 2001 mit seiner Familie aus Burundi. Inzwischen hat er einen Aushilfsjob in der Verwaltung des Flüchtlingscamps und bekommt dafür circa 20 Euro im Monat. Kabura Nickson geht es damit vergleichsweise gut. Er versucht seit Jahren auf die Probleme in Maratane aufmerksam zu machen und gilt inoffiziell als Sprecher der Flüchtlinge:„Die Lage der Flüchtlinge hier im Lager ist schlecht. Es mangelt an ausreichender Ernährung, aber auch an gesundheitlicher Versorgung. Uns fehlt auch Wasser, denn es ist sehr heiß hier, die Sonne brennt sehr… Außerdem fehlt es unseren Kindern an Schulen und Lehrern. Immer wenn wir diese Probleme ansprechen, sagt uns die Lagerverwaltung, dass sie sich bemühen werde, die Probleme zu lösen…"
Schlechte Organisation erschwert das Leben
Aber nichts passiert. Im Gegenteil, betont Kabura, es ist alles immer schlimmer geworden, angefangen, bei der Verteilung der Nahrungsmittelrationen des UNHCR (UN High Commissioner for Refugees), des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, die beinahe jeder Flüchtling in Maratane erhält. "Die monatlichen Lebensmittelrationen reichen bei weitem nicht aus. Pro Monat bekommt jeder nur fünf Kilogramm Mehl. Ein halbes Kilogramm Bohnen sowie 300 Milliliter Pflanzenöl. Das reicht natürlich nicht aus, einen ganzen Monat das Überleben zu sichern. Das Ziel ist es allerdings, dass die Leute hier ihre Ernährung selbst in die Hand nehmen."
Die Mittel des UNHCR sind begrenzt. Die Verwaltung der Flüchtlingszentrums betont, das Ziel sei, den Flüchtlingen zur Eigenständigkeit zu verhelfen. Durch Arbeit in der Landwirtschaft könnten die Flüchtlinge eigenes Einkommen erwirtschaften.
Wer möchte kann sich um eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis überall in Mosambik bewerben, mit Ausnahme der 2300 Kilometer entfernten Hauptstadt Maputo. Durch Aus- und Weiterbildungen sollen die Flüchtlinge auch außerhalb des Camps Arbeit finden können, erzählt Orlanda Esmeralda. Besonders positiv sei es, betont sie, dass es unter den Flüchtlingen durchaus auch wirtschaftlich erfolgreiche und gut ausgebildete Menschen gebe, die die mosambikanische Gesellschaft bereicherten: "Wir haben hier unter den Flüchtlingen sogar Ärzte oder Krankenpfleger. Wir haben Lehrer, sogar einige Unternehmer, einige besitzen Lastwagen, große Autos. Einige von Ihnen sind inzwischen sogar in die Stadt gezogen und haben sich dort selbständig gemacht. Diese Leute können sich natürlich selbst versorgen und sind auf die Lebensmittelhilfe der UNHCR nicht angewiesen. "
Verzweiflung macht sich breit
Kabura Nicksons Optimismus hält sich – allerdings - in Grenzen: "Die Leute hier sind verzweifelt. Es ist sehr kompliziert. Es ist praktisch unmöglich geworden, hier zu überleben. Ich appelliere an die UNO, dass sie sich diesen Menschen hier zuwenden. Sie brauchen humanitäre Hilfe."
Während die Flüchtlinge darauf warten in Zukunft wieder in Land zurückkehren, lernen ihre Kinder in der mosambikanischen Schule im Lager. Sie werden wie alle anderen Schüler des Landes, so singen sie beispielsweise die Nationalhymne.
Mosambik hat tausende Flüchtlinge aufgenommen. Doch werden sie auch wirklich eine Chance haben, wieder ein normales Leben zu führen? Nach dem Tag im Lager Malatane fahren wir wieder zurück nach Nampula, die nächste größere Stadt. Doch die die Bilder und die Schicksale des Lagers und seiner Bewohner werden uns so schnell nicht verlassen.
Autor: António Cascais
Redaktion: Dirk Bathe