Heimkehr eines Gestrandeten
24. April 2020Für Michail Nowosjolow sollte der 17. April eigentlich ein ganz besonderer Tag werden: Der Student aus der sibirischen Stadt Tomsk wollte ein Auslandssemester an der Humboldt-Universität in Berlin antreten. Doch alles kam ganz anders. Denn trotz der für die Einreise notwendigen Unterlagen, wie Visum und Immatrikulation für das Sommersemester 2020, durfte er nicht einreisen.
Laut der Einreiseverweigerung der Bundespolizei in Frankfurt am Main, die in Kopie der DW vorliegt, habe Nowosjolow kein "dringendes, notwendiges Einreiseinteresse" vorbringen können. Obwohl der Student beteuerte, dass die Botschaft der Bundesrepublik ihm versichert habe, dass eine Einreise zum jetzigen Zeitpunkt mit diesem Visum möglich sei, durfte er trotzdem nicht deutschen Boden betreten. "Ermessungsrelevante Gesichtspunkte wurden bei der Entscheidung gebührend berücksichtigt", heißt es lapidar in dem Vordruck, den die Grenzbeamten ihm aushändigten. Außerdem steht dort: "Ihr Aufenthalt im Bundesgebiet stellt eine gegenwärtige, schwerwiegende Gefährdung eines Grundinteresses dar oder würde die öffentliche Gesundheit gefährden."
Fakt ist, dass die Europäische Union bereits am 17. März ein EU-weites Einreiseverbot für alle "Drittstaatsangehörige ohne Aufenthaltsberechtigung" aufgrund der Pandemie-Gefahrenlage erlassen hatte. Student Nowosjolow hatte es kurz danach bereits einmal erfolglos versucht, nach Deutschland zu kommen. Trotzdem reiste er am 17. April erneut. Der junge Russe war also nicht ganz unschuldig, an dem Schlamassel, in dem er nach seiner Landung in Frankfurt steckte. Denn es gab keinen Weg zurück: Der Linienflugverkehr nach Russland war eingestellt.
Und so wurde gezwungenermaßen der Frankfurter Flughafen für fünf Tage sein neues Zuhause. Wie Hollywoodstar Tom Hanks im Film "Terminal", der in New York spielt, musste Nowosjolow fortan in der Transitzone von Deutschlands größtem Airport leben. Ausgang: ungewiss.
Rückkehr nach Russland
Immerhin besorgte ihm ein Lufthansa-Mitarbeiter ein Klappbett. Auch mit Lebensmitteln wurde der Russe von den Flughafen-Angestellten versorgt. Am Dienstag hatte er dann Glück: Obwohl zwischen Russland und Deutschland zurzeit keine Linienmaschinen verkehren, landete außerplanmäßig ein Jet der russischen Gesellschaft Aeroflot am 21. April in Frankfurt am Main, um deutsche Staatsbürger, sowie Russen mit Hauptwohnsitz Deutschland zurück in die Bundesrepublik zu bringen. Auf dem Rückflug war die Maschine also leer und ganz unbürokratisch nahm die Crew den Studenten mit nach Moskau.
"Der Flug ist sehr gut verlaufen. Aber meinen Pass habe ich erst in Russland zurückbekommen. Erst war der Pass bei der Polizei und dann hatte ihn die Flugzeug-Besatzung", sagte Michail Nowosjolow nach seiner Ankunft der Deutschen Welle. "Das war mir sehr unangenehm, denn ich habe ja nichts verbrochen, sondern wurde einfach wegen Corona nicht nach Deutschland gelassen." Zuvor hatte seine Geschichte bei der Veröffentlichung auf dw.com für Aufsehen gesorgt. Nowosjolow berichtet, dass einige Bundespolizisten mit ihm mitgefühlt hätten und von einer "echt doofen Situation" sprachen.
Jetzt ist Michail Nowosjolow also wieder zurück in Russland. Frei bewegen darf er sich aber immer noch nicht. Der Student sitzt für 14 Tage in Quarantäne. Obwohl er eigentlich gar nicht richtig in Deutschland war, ist er nach russischem Recht dazu verpflichtet, sich für zwei Wochen zu isolieren. Die russischen Behörden haben ihn direkt nach der Ankunft in ein Sanatorium in einem Vorort Moskaus geschickt. "Das Essen wird mir gebracht, es ist komfortabel - eigentlich ist alles gut", beschreibt Nowosjolow seine aktuelle Lage.
Wie ein Einreiseverbot ein Leben verändert
Aber das ganze Chaos habe auch etwas Gutes: Es habe seinen Charakter gestählt, sagt der junge Russe. Besonders bemerkt er, dass diese Geschichte ihn zu einer kleinen Berühmtheit gemacht hat. Nach seinem ersten Interview mit der DW haben auch amerikanische, deutsche und russische Journalisten Interesse an seiner Geschichte gezeigt und über ihn berichtet.
"Ich hätte gar nicht gedacht, dass mein Schicksal so viele Menschen überall auf der Welt berühren würde und dass ich von so vielen Menschen Unterstützung erfahren würde. Sie haben mich in den Sozialen Netzwerken gefunden und sich nach meinem Befinden erkundigt, haben sich Sorgen um mich gemacht", erinnert sich Michail.
Nach der Pandemie: Zurück nach Deutschland?
Michail Nowosjolow schließt aber nicht aus, dass ihn sein Weg nach Ende der Corona-Pandemie wieder nach Deutschland führen wird: "Ein Auslandssemester in Deutschland zu machen, möchte ich nicht verpassen. Denn so eine Möglichkeit bekommt man nicht jeden Tag". Aber eines will er das nächste Mal anders machen: Bevor er seine Reise antritt, wird Michail Nowosjolow genauestens prüfen, ob die deutschen Behörden ihn auch wirklich einreisen lassen.
Dieser Artikel wurde am 25.04.2020 um 15.00 Uhr korrigiert.