Flucht nach Südafrika
4. September 2015Auf engstem Raum zusammengepfercht wie Vieh reisen sie tausende Kilometer auf der Ladefläche eines Kleinlastwagens. Bei jedem Grenzposten, jedem Stopp steigt die Angst der jungen Männer. In den vergangenen Wochen häuften sich die Berichte über Schicksale von Flüchtlingen, die auf ihrem Weg in eine vermeintlich bessere Zukunft aufgegriffen wurden. Diese Szene spielte sich jedoch nicht auf einer der Flüchtlingsrouten nach Europa ab, sondern in der Zentralregion Sambias: Kein Einzelfall, doch eine Perspektive, die in den deutschen und internationalen Medien selten wahrgenommen wird. Regelmäßig werden illegale Migranten entlang der ostafrikanischen Flüchtlingsroute verhaftet. Oft haben sie das gleiche Ziel - den Wirtschaftsgiganten Südafrika.
Anfang vergangener Woche stießen sambische Beamte bei einer Straßenkontrolle auf einen verdächtigen Lastwagen: Mehr als 100 äthiopische Migranten hatten die sambischen Fahrer darin versteckt. Keiner der jungen Männer war im Besitz gültiger Papieren, weshalb in sambischen Medien nun von Menschenhandel die Rede ist. Richard Ots, Missionsleiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Südafrika, sieht diesen Begriff kritisch: "Es gibt sehr viele Äthiopier, die sich freiwillig Schmugglern anschließen, damit diese sie nach Südafrika schleusen", so Ots im DW-Gespräch. "Ob es sich dabei um Menschenhandel handelt und diese Personen mit Zwangsarbeit ausgebeutet werden, lässt sich häufig erst bei ihrer Ankunft sagen."
Südafrika als afrikanisches Migrationsmekka
Südafrika ist ein beliebtes Ziel für Wirtschaftsflüchtlinge und Asylsuchende aus ganz Afrika. Laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) leben zurzeit mehr als 300.000 von ihnen in dem Land, darunter 11.000 Äthiopier. "Die Dunkelziffer ist weitaus höher, weil die meisten von ihnen nicht registriert sind. Wir hören Schätzungen, die zwischen zwei und fünf Millionen liegen", sagt Ots. Die meisten Asylsuchenden fliehen vor den Konflikten in der Demokratischen Republik Kongo und Somalia, wie aus UNHCR-Berichten zu entnehmen ist. Aber auch immer mehr Menschen aus Burundi, Äthiopien, Ruanda und Simbabwe fliehen vor politischer Verfolgung und Armut nach Südafrika.
Entlang der ostafrikanischen Küste haben sich "Schlepperketten" gebildet, die sich darauf spezialisiert haben, Menschen vom Horn von Afrika über Kenia, Tansania, Sambia und Botswana nach Südafrika zu schleusen. Die Flucht ist kürzer, weniger gefährlich und vor allem billiger als die nach Europa. "Die Schlepper versprechen den Menschen das Blaue vom Himmel, damit sie mit ihnen kommen", sagt Tamru Abebe, Vorsitzender der äthiopischen Gemeinde in Südafrika.
Äthiopien: Die einen fliehen, die anderen suchen Zuflucht
Äthiopien zählt zu den ärmsten Staaten dieser Welt. Auf dem Index für menschliche Entwicklung der Vereinten Nationen belegt es Platz 173 von 187. Trotzdem nimmt das Land selbst jedes Jahr rund 200.000 Flüchtlinge aus den krisengebeutelten Nachbarstaaten Südsudan und Somalia auf, bietet ihnen humanitäre Hilfe und Schutz. Rund 650.000 Menschen leben in äthiopischen Flüchtlingscamps.
Die eigenen Bürger regiert das Regime jedoch mit harter Hand: Immer wieder berichten Human Rights Watch und Amnesty International über Verstöße gegen die Menschenrechte, Verfolgung und Inhaftierung von Regierungsgegnern, Oppositionellen und Journalisten. "Die Leute verkaufen ihr Vieh und ihren kompletten Besitz, um die Schlepper zu bezahlen", sagt Abebe. "Sie hoffen, hier in Südafrika ein besseres Leben zu haben. Aber wenn sie hier ankommen, sehen sie, dass die Realität eine ganz andere ist." Zwar gewähre Südafrika Flüchtlingen das Recht auf Arbeit und den Zugang zu sozialer Grundversorgung. Doch viele öffentliche Einrichtungen würden Flüchtlingsausweise nicht anerkennen, weshalb viele Migranten von diesen Rechten nicht profitieren könnten. "Außerdem ist es nicht einfach, hier einen Job zu finden, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen."
Südafrikanische Realität: Fremdenfeindlichkeit und Arbeitslosigkeit
Südafrikas Wirtschaft musste in den vergangenen Jahren starke Einbußen hinnehmen, die Arbeitslosenquote liegt bei 24 Prozent. Diese Entwicklung nimmt verschärft Einfluss auf das Zusammenleben zwischen Einheimischen und Einwanderern. "Die Südafrikaner haben Angst, dass wir das Sozialsystem ausnutzen und ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Viele beschweren sich, dass die Migranten schlecht integriert seien", so Abebe. Dies führe immer wieder zu Spannungen zwischen Südafrikanern und Einwanderern. Erst im Frühjahr dieses Jahres kam es zu heftigen Auseinandersetzungen: Häuser und Geschäfte von Ausländern brannten, sechs Menschen kamen bei gewaltsamen Übergriffen ums Leben. Tausende Migranten haben das Land verlassen, doch scheint es andere nicht von der Einreise abgeschreckt zu haben.
Deshalb sei es umso wichtiger, die Lage in Südafrika öffentlich zu machen und potenzielle Migranten noch vor ihrer Ausreise zu desillusionieren, sagt Richard Ots von der Internationalen Organisation für Migration. "Wie in Europa ist es auch in Südafrika schwer für Migranten, ein erfolgreiches Leben aufzubauen. Dessen sollten sich die Flüchtlinge bewusst sein, bevor sie ihr Land verlassen." Informationskampagnen, eine Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort und Möglichkeiten zur legalen Einreise seien zwingend erforderlich. "Auch müssen die Länder entlang der Flüchtlingsroute enger zusammenarbeiten. Nicht nur in Ostafrika, sondern weltweit. Herkunfts- und Transitländer müssen sich endlich ihrer Verantwortung stellen und gegen Menschenhändler und Schlepper vorgehen", fordert Ots.
Bisher haben sich afrikanische Politiker kaum zu den Flüchtlingsdramen geäußert. Äthiopien versucht nun erstmals, gegen Menschenhändler und Schlepper im eigenen Land vorzugehen. Ende Juni hat das Justizministerium einen Gesetzesentwurf im Parlament eingereicht. Vorgesehen sind drastische Strafen, von saftigen Geldstrafen für Schlepper bis hin zu lebenslanger Haft oder gar der Todesstrafe für Menschenhändler.
Mitarbeit: Jane Ayeko-Kümmeth