Flittner: "Islamisten wollen keinen Frieden in Mali"
21. November 2015DW: Herr Flittner, Sie waren von 2008 bis 2012 für Deutschland als Botschafter in Mali. Welche politischen Verhältnisse herrschen vor Ort?
Karl Flittner: Mali hat eine international anerkannte Regierung und ein Parlament. Beide sind aus freien Wahlen hervorgegangen. 2012 entstand im Norden des Landes eine bewaffnete Sezessionsgruppe, die zunächst unter den Vorzeichen der Touareg-Unabhängigkeitsbewegung lief. Nach und nach wurde dieser aber ganz von Dschihadisten übernommen, die unter der Führung algerischer Salafisten stehen. Im Januar 2013 griffen französische Streitkräfte ein und befreiten dabei wichtige Städte wie Timbuktu und Gao. Nach wie vor gibt es dort aber Elemente von Al-Kaida und verbündeten Gruppen. Die haben sehr vom Krieg in Libyen profitiert und nutzen das Land als Rückzugsort.
Besonders der Norden Malis gilt als gefährlich und war häufiger Schauplatz schwerer Kämpfe. Wieso?
Dieses Gebiet wird seit vielen Jahren von niemandem richtig kontrolliert. Es ist fast eine Art Niemandsland. Islamistische Gruppen wie die Al-Kaida im islamischen Maghreb (AQIM) haben das ausgenutzt und sich dort festgesetzt und eine ganze Reihe von Aktionen durchgeführt, meistens Geiselnahmen. 2011 kam es dann zur Überraschung vieler zu einer Allianz zwischen jenen Dschihadisten und den sezessionistischen Touareg.
Wer steckt hinter der Geiselnahme vom Freitag in Bamako und was war der Grund für diesen Anschlag?
Die Organisation Al-Murabitoun (Deutsch: "Die Wächter") hat die Verantwortung für den gestrigen Terrorakt übernommen. Angeführt wird sie von dem Algerier Mokhtar Belmokhtar. Der Terrorist steckt auch hinter der Geiselnahme im Januar 2013 auf eine Erdgas-Förderanlage in Algerien, bei der mehr als 100 internationale Mitarbeiter als Geiseln genommen wurden. Bei der gewaltsamen Befreiung sollen fast 40 Menschen ihr Leben verloren haben.
Der Hauptgrund für den Anschlag scheint mir die neue Hoffnung auf Frieden in Mali zu sein. Die hatte sich in den vergangenen Wochen entwickelt, nachdem sich zwei wichtige Touareg-Clans, die Ifoghas und die Imghad, versöhnt hatten. Ersterer bildet die Kerntruppe der MNLA, der sogenannten Befreiungsbewegung des Azawad (Anm.d.Red. nördlicher Teil Malis). Der andere Clan, die Imghad ist auch bewaffnet und hat eine eigene Miliz, die aber bisher auf Regierungsseite mitgekämpft hat. Erst im Juni wurde ein Friedensabkommen zwischen diesen beiden Parteien und der Regierung unterzeichnet. Das passt den Islamisten vermutlich nicht. Daneben kann man sich vorstellen, dass die Anhänger des malischen Al-Kaida-Ablegers nach den Anschlägen von Paris durch die Terrormiliz IS, zeigen wollten, dass auch sie zu spektakulären Aktionen gegen Ausländer im Stande sind.
Wer kämpft mit auf Seiten der Islamisten im Norden Malis?
2008, als ich nach Bamako kam, bestanden diese Organisationen vorwiegend aus Ausländern. Angeführt eindeutig von algerischen Salafisten, aber da waren auch Pakistanis dabei und Mauretanier, aber kaum Malier. Im Laufe der Jahre hat sich das verändert - inzwischen gibt es unter den Dschihadisten auch malische Touareg. Vom Ursprung und der Entwicklung her sind das aber internationale Milizen.
Woher kommt der Zuspruch für diese Organisationen?
Mali ist ein bitter-armes Land. Es herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit. Da wachsen Leute heran, die keine Perspektive haben. Einige von ihnen kommen über das Mittelmeer zu uns. Andere aber lassen sich das davon überzeugen, dass der böse Westen Schuld an der schlechten Situation ihres Landes ist und schließen sich dann aus einem Hass heraus solchen Organisationen an. Andere machen aus rein materiellen Gründen mit. Mit kleinen Jobs als Fahrer oder Bote verdienen sie dort mehr als an anderer Stelle.
Nach den Pariser Anschlägen vom 13. November hat Bundesverteidigungsministerin von der Leyen angekündigt, Deutschland werde sein militärisches Engagement in Mali deutlich ausbauen. Was muss Ihrer Meinung nach konkret getan werden, um den Terror zu stoppen?
Die Bundeswehr ist in Mali nur einer von vielen Akteuren und engagiert sich im Gegensatz zu anderen Ländern vor Ort sehr viel weniger militärisch. Bisher ist das ein Einsatz, der völlig ungefährlich ist. Momentan sind etwa 220 deutsche Soldaten vor Ort, die die malische Armee im Rahmen einer EU-Trainingsmission unterstützen. Das sollte unbedingt beibehalten werden. Und auch die zukünftige Stationierung der Bundeswehr im Norden Malis begrüße ich. Die Franzosen verdienen da etwas mehr Unterstützung. Den Terror durch solche kurzfristigen Maßnahmen zu beenden, wird aber nicht einfach sein.
Karl Flittner war von 2008 bis 2012 deutscher Botschafter in der malischen Hauptstadt Bamako. Davor war der Jurist in Burundi, Moskau und New York eingesetzt. Seit Juli 2012 ist er im Ruhestand.
Die Fragen stellte Nastassja Shtrauchler.