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Finnland: Vom Sorgenkind zum Musterknaben

Aarni Kuoppamäki20. Juni 2006

Finnland will seine Pläne für seine EU-Ratspräsidentschaft bekannt geben, die im Juli beginnt. Botschaftsrätin Cita Högnabba hat viel Gutes über das Land zu berichten. Ist es gar ein Wunderland?

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Finnland glänzt nicht nur mit seiner SeenlandschaftBild: Mikko Heikkinen

Eines Mittwochs erschien der italienische Botschafter im finnischen Außenministerium in Helsinki. Ugo Gabriele de Mohr musste sich erklären für die Aussage seines Regierungschefs Silvio Berlusconi, finnisches Essen schmecke grässlich. Nun, fast ein Jahr später, ist Pausenzeit in den Nordischen Botschaften in Berlin. Zum Kaffee gibt es Spinnenbein-Bonbons, Monsterkuchen und Blutsaft. Denn die finnische Rockband Lordi hat den Eurovision Song Contest gewonnen. "Wir haben die Monster angeboten, Europa hat sie gewählt", freut sich Cita Högnabba, Botschaftsrätin für Presse und Kultur. Cita – in Finnland duzt man sich – hat in der Landesvertretung die Aufgabe, über ihre Heimat zu berichten. Eine Propagandistin sein will sie aber nicht. Muss sie auch nicht.

Der Untergang des Abendlandes
Exportschlager aus Finnland: Die Rockband LordiBild: AP

Denn seit der PISA-Studie, die Finnland die besten Schulen bescheinigte, wollen die Deutschen von sich aus mehr erfahren über das Land der Saunen und Seen. Cita führt Politiker und Journalisten in die Schulen. "Entscheidend ist, dass alle eine gute Grundausbildung bekommen", sagt die 49-Jährige. "Die Sackgasse Hauptschule haben wir schon vor 40 Jahren abgeschafft". In Finnland bleiben die Schüler bis zur neunten Klasse zusammen und bekommen täglich ein warmes Mittagessen. Sprachlich schwache Kinder werden gezielt gefördert. Integrationsprobleme sind in Finnland aber ohnehin selten: Nur zwei Prozent der Bewohner des Landes sind Ausländer – in Deutschland ist die Quote mehr als viermal so hoch.

Absturz nach der Wende

Wirtschaftlich steht Finnland vor allem für Nokia – oder andersherum. Denn der Aufstieg des weltgrößten Mobilfunkkonzerns geschah fast zeitgleich mit dem seines Mutterlandes: Mit Jorma Ollila als Konzernchef und der Konzentration auf den Mobilfunk gelangte Nokia 1992 auf die Erfolgsspur. Der Börsenwert des Unternehmens hat sich seitdem mehr als verhundertfacht. Die nationale Erfolgsgeschichte begann mit dem EU-Beitritt 1995. Heute gibt es in Finnland laut Transparency International fast keine Korruption. Produktivität, Wirtschaftswachstum und Preisstabilität liegen über dem Durchschnitt der 15 alten EU-Länder. Der öffentliche Sektor verzeichnet einen Überschuss. Und das Weltwirtschaftsforum listet Finnland als das wettbewerbsfähigste Land der Welt.

"All das ist der Ertrag weit gehender Reformen während der 90er-Jahre", sagt Cita. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verlor Finnland seinen wichtigsten Handelspartner und stürzte in eine tiefe Rezession: Die Arbeitslosigkeit stieg von 3,5 auf 18 Prozent, das Bruttoinlandsprodukt sank um 27 Prozent. "Da hatte Finnland keine Zeit, zu zögern", sagt Cita. "Die schwierige Lage zwang die Gesellschaft zu schwierigen Entscheidungen." Die Sozialausgaben wurden stark gekürzt. Die Krise ging vorüber. Finnland wurde populär als Vorbildnation.

In der Kritik

Ab 1. Juli werden sich die Anfragen in Citas Postfach häufen. Dann übernimmt Finnland für sechs Monate den Vorsitz im Europäischen Rat. Ein Schwerpunkt der Debatten soll die Energiepolitik sein. Für die steht das künftige EU-Vorsitzland selbst in der Kritik. Denn der Energiekonzern TVO lässt im Westen des Landes das erste europäische Kernkraftwerk nach der Katastrophe von Tschernobyl bauen. "Olkiluoto 3" soll zwar der sicherste Atomreaktor aller Zeiten werden, ein Restrisiko bleibt dennoch. "Unsere Erfahrungen mit atomarer Energie sind positiv", sagt Finnlands Parlamentspräsident Paavo Lipponen. Denn die produziert Energie in großen Mengen, aber keine Treibhausgase. Und mit "grünem Strom", so Lipponen, sei der Bedarf in Zukunft nicht zu decken.

Außerdem – und das ist wichtig – ist Atomkraft nicht abhängig von russischem Erdöl oder -gas. Die Beziehungen zwischen der EU und Russland sollen ein zweites Schwerpunktthema während der finnischen Ratspräsidentschaft werden. Noch heute ist man in Finnland skeptisch gegenüber dem großen Ostnachbarn. Das nordische Fünf-Millionen-Volk zählt auch zu den größten EU-Skeptikern, zeigen Umfragen, denn die Finnen fühlen sich in der großen Union unterrepräsentiert. Aber gegenüber Russland sitzt der Argwohn noch tiefer: Bis 1917 war Finnland russische Provinz.

Funktionell und elegant

Und heute? "Es gibt keine Wunderländer", sagt Cita. "Aber Finnland hat die Angelegenheiten auf vielen Gebieten richtig geregelt." Wie viele Industrienationen steht es aber vor dem Problem der Überalterung der Gesellschaft. Schon jetzt gibt es in manchen Branchen einen Mangel an Arbeitskräften. Und die Steuern zählen trotz der Erleichterungen der vergangenen Jahre noch immer zu den höchsten der Welt. "Aber wir bekommen ja auch was dafür", sagt Cita.

Die Pläne für die Ratspräsidentschaft will Premierminister Matti Vanhanen am Mittwoch (21.6.) im Parlament in Helsinki bekannt geben. Eines steht aber laut der offiziellen Ratspräsidentschaftsseite im Internet schon fest: "Die finnische Küche wird beim Catering eine Schlüsselrolle spielen. Die Tischdekoration wird einfach, aber funktionell und elegant." "Die italienische Küche ist sicher bekannter", ergänzt Cita. "Aber wir sehen das als Herausforderung." Eine Herausforderung, wie zuvor der Eurovision Song Contest. Und auch zukünftig der Fußball: Denn für eine WM-Endrunde qualifiziert hat sich Finnland noch nie.