Finaler Kampf um den Brexit-Deal
4. Dezember 2018Beim G20-Gipfel hatte Theresa May eher erfolglos versucht, "Global Britain" als neuen Handelspartner zu verkaufen. Und kaum war sie dem Flugzeug aus Buenos Aires entstiegen, saß sie schon wieder auf dem Sofa der Frühstückssendung bei ITV. Ob ihr Mann sich manchmal Sorgen mache um ihre Gesundheit, versuchte der Moderator der Premierministerin eine menschliche Reaktion abzuringen. Ihr Mann unterstütze sie voll, gab sie zurück und verfiel sofort wieder in den bekannten Maybot-Modus: "Wir müssen die Nerven behalten", sie habe noch einen Job zu erledigen, sie wolle den Brexit liefern, den die Menschen wollten, und so weiter. Theresa May hat auf stoisch und stur geschaltet, wohl in der Hoffnung, die kommende Woche im Unterhaus zu überleben.
Fünftägige Debatte wird den Streit vertiefen
May wird auch diese Debatte im Parlament selbst eröffnen und sich am Mittwoch der normalen Fragestunde stellen. Damit gewinnt sie jedenfalls Fleißkärtchen und schlägt alle jüngeren Rekorde für die Anwesenheit eines Premierministers im Unterhaus. Aber ist Masse hier auch Klasse? Sie hat ihre jüngsten Auftritte vor Abgeordneten wie vor Medien aus der immer gleichen Kiste mit Floskeln bestritten und scheint die letzte parlamentarische Runde vor der Abstimmung als Durchhalteübung zu begreifen.
Das Unterhaus ist völlig uneins: Inzwischen sind sowohl die Konservativen als auch die Labour-Opposition jeweils in mehrere Gruppen mit unterschiedlichsten Positionen zum Brexit-Deal gespalten. Übersichtlich ist anders, deutlich scheint allerdings, dass Theresa May die Abstimmung verlieren wird, wenn gleichzeitig die gesamte Opposition und - wie angekündigt - die nordirische DUP und Teile der Tories dagegen stimmen. Es geht wohl nur noch darum, wie tief der Fall sein wird.
Spötter haben längst festgestellt dass die Hauptleistung des Brexit-Deals darin liegt, die unversöhnlichen Gräben zwischen Brexiteers und Pro-Europäern sowie zwischen Opposition und Regierung zu überbrücken - alle sind sich einig, dass sie ihn von Herzen ablehnen.
Wie viel Freiheit bringt der Deal?
Neuer Streit ist inzwischen wegen der Rechtsmeinung des Generalanwalts zum Brexit-Deal entstanden. Die Opposition hatte gefordert, das gesamte Gutachten dem Unterhaus vorzulegen. Die Regierung wiederum will es den Abgeordneten eher nicht zumuten, weil potentiell explosive Erkenntnisse zur Dauerhaftigkeit der Zollunion darin stehen sollen.
Veröffentlicht wurde am Montag nur eine bereinigte Fassung, die auch allerhand Banalitäten enthielt. Etwa, dass Großbritannien so lange an die EU zahlen müsse, wie es in der Übergangsphase bleibt. Oder dass auch die nächste Regierung an den Deal gebunden sein werde, selbst wenn sie ihn ablehnt. Das ist bei internationalen Verträgen so üblich.
Die größte Aufregung kreist um die Auslegung des "Backstop" für Irland. Der oberste Jurist der Regierung schlussfolgert, dass das Königreich so lange in der vorübergehenden Zollunion gefangen bleibe, bis es eine neue Vereinbarung mit der EU geben werde. Damit könne Großbritannien über Jahre außerstande sein, eigene neue Handelsabkommen mit Drittländern abzuschließen. Für die Brexiteers ist das der finale Stein des Anstoßes und für Labour ein weiterer Beweis, dass der Deal überhaupt keinen Mehrwert bringt.
Jetzt wollen die Parlamentarier die unredigierte Fassung des Rechtsgutachtens sehen, um weitere Argumente gegen die Premierministerin und ihren Vertrag zu finden. In den nächsten Tagen wird der übersichtliche Kreis der May-Getreuen in Westminster einen schweren Stand haben.
Wie weiter nach der absehbaren Niederlage?
Am Montag berichtete "The Times", die unionistische DUP wolle ihre Unterstützung für die Regierung May ganz zurückziehen. Damit hätte die Premierministerin ihre Mehrheit verloren und ihr politisches Ende wäre quasi besiegelt.
Abgesehen davon kündigte die Labour-Party inzwischen an, sie wolle nach der Brexit-Abstimmung ein Misstrauensvotum gegen May beantragen. Ob das passiert, hängt von der Schwere ihrer Niederlage ab, davon, ob die DUP tatsächlich als Mehrheitsbeschafferin aussteigt, sowie von den Stimmen ein paar harter Tory-Brexiteers, die May stürzen wollen.
Verliert May das Votum, haben die Konservativen zwei Wochen Zeit, einen potentiell mehrheitsfähigen Ersatzkandidaten zu stellen. Hoffnungen macht sich Umweltminister Michael Gove, der sich derzeit halbwegs loyal zu May zeigt und sich als Stimme der Vernunft profiliert. Auch Innenminister Sajit Javid wird gehandelt. Klappt die Wahl eines neuen Premierministers nicht, werden Neuwahlen ausgerufen.
Kommt es wiederum nicht zu dem Misstrauensvotum mit der Chance auf Neuwahlen, will Labour stattdessen auf ein zweites Referendum umschwenken. Dafür müsste ihr Vorsitzender Jeremy Corbyn eine entsprechende Gesetzesvorlage einbringen und eine Mehrheit im Parlament finden. Derzeit sieht es aus, als könnte das klappen.
Nichts ist vorbei, bis nicht alles vorbei ist
Für die EU bedeutet der langgezogene Kampf um den Brexit, dass es im Dezember weiterhin keine Klarheit über die Zukunft geben wird. Das heißt, die Vorbereitungen für einen harten Brexit müssten vorangetrieben werden, obwohl das britische Unterhaus erklärt, es wolle ihn auf jeden Fall verhindern. Auch muss Brüssel sich darauf einrichten, einen Antrag auf Verlängerung der Artikel-50-Frist im März zu erhalten. Denn die vorhandene Zeit reicht wegen der Weihnachtspause weder für ein zweites Referendum noch für Neuwahlen aus.
In London kursieren derzeit auch noch allerhand illusionäre Ideen, wie etwa Theresa May nach Brüssel zurückzuschicken, um bessere Bedingungen auszuhandeln. Oder der Vorschlag, noch vor dem 29. März 2019 den ganzen Brexit-Zug auf die "Norwegen-Plus" Schiene zu setzen, also ein Abkommen auszuhandeln, dass dem der Skandinavier mit der EU ähnelt. Er kommt von ein paar konservativen Abgeordneten und findet Sympathie bei einigen Labour-Leuten. Danach bliebe Großbritannien im Binnenmarkt und in der Zollunion, was wirtschaftlichen Schaden verhindern und das Nordirland-Problem lösen würde. Allerdings wäre damit die ganze Idee des Brexit mit Souveränität und Kontrolle für den Nationalstaat völlig absurd geworden. Vier Monate vor dem angesagten Ausstieg aus der EU ist die Zukunft für Großbritannien weiter unklar.