Können SPD und CDU noch miteinander?
5. September 2017Wie zerstrittene Partner einer politischen Ehe am Ende ihrer Kräfte wirkten die Mitglieder der Bundesregierung aus Sozial- und Christdemokraten bei der letzten Sitzung des Bundestags nicht. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) schob den im Rollstuhl sitzenden Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach seiner Rede zurück in die Regierungsbank, scherzte mit ihm und seinem Nachbarn, Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Angela Merkel (CDU) und SPD-Vizekanzler und Außenminister Sigmar Gabriel tuschelten miteinander, lachten oder starrten wie abgesprochen auf ihr Handy. Selbst vor Gabriels mit Spannung erwarteter Rede blieben sich beide sichtbar nah.
Manche deutsche Medien hatten die Sitzung im Vorfeld als Generalabrechnung, als eine Art in den Reichstag verlegte Wahlkampfveranstaltung angekündigt. Nach dem Motto: Irgendwann muss es zwischen den beiden deutschen Volksparteien doch mal richtig krachen! Denn das "große TV-Duell" zwei Tage zuvor war eher ein "Duett mit Dissonanzen" geblieben, wie Linken-Chefin Sarah Wagenknecht in der Debatte sagte. Merkels Herausforderer Martin Schulz (SPD) konnte dort den Trend nicht zugunsten der SPD wenden.
"Danke, Frau Dr. Merkel!"
Würde Ex-Parteichef Gabriel deshalb die Gunst der Stunde im Bundestag für eine General-Attacke nutzen? Nichts dergleichen! Er redete als Außenminister über die Pflicht zu einer neuen Abrüstungspolitik, lobte die gemeinsame Regierung und sagte "Danke" zur Kanzlerin: "Frau Dr. Merkel" sei immer fair, belastbar und gerade in schwierigen Situationen vertrauensbildend gewesen, sagte Gabriel. In rauer See habe die gemeinsame Koalition Deutschland und Europa trotz internationaler Krisen auf Kurs gehalten. Gut regiert und eine Menge erreicht, so lautete seine Bilanz.
Als No-Gos für eine weitere Zusammenarbeit nannte Gabriel Steuersenkungen und steigende Rüstungsausgaben auf Kosten von Sozialausgaben. Wobei er sich zwar gegen Aufrüstung, nicht aber gegen eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr aussprach. Die "kopernikanische Wende in der Europa-Politik", die Gabriel zudem forderte, beschrieb er nur rudimentär mit der Forderung nach mehr Investitionen und einer ehrlicheren Bewertung von Kosten und Nutzen durch die EU. Insgesamt klang das schon fast nach neuen Koalitionsverhandlungen einer neuen Großen Koalition.
Finanzminister Wolfgang Schäuble streute in seine Rede ein, bei der SPD könnte nach der Wahl das große Stühle-Rücken beginnen, Gabriel könnte einen neuen Platz zugewiesen bekommen. Viel dürfte davon abhängen, wie die SPD bei der Bundestagswahl abschneiden wird und wer die Verantwortung für die Ergebnisse übernimmt.
"Abgehobene Selbstzufriedenheit"
Die überzeugendste Rede in der mehr als dreistündigen Debatte hielt Arbeitsministerin Andrea Nahles. Sie gilt als Zukunftshoffnung der SPD. In kämpferischem Tonfall setzte sie einer "abgehobenen Selbstzufriedenheit" ihre sozial- und arbeitsmarktpolitische To-Do-Liste entgegen: Trotz Mindestlohn hätten viele in Deutschland keine anständigen Löhne. Die Tarifbindung gelte nur noch für eine Minderheit. Mit befristeten Arbeitsverträgen würde jungen Familien die Zukunft verbaut. "Versuchen Sie mal, mit einem befristeten Vertrag eine Wohnung in einer deutschen Großstadt zu mieten oder einen Kredit zu bekommen!", rief Nahles den Abgeordneten zu. Frau Merkel habe sie am langen Arm verhungern lassen, als es um öffentliche Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose ging. Der Widerstand der CDU gegen eine Haltelinie bei der Absenkung des Renten-Niveaus habe bei den Jüngeren den Glauben an die Rente weiter erodieren lassen.
Nahles sprach ohne Manuskript und konnte über ihre Redezeit von 15 Minuten den Spannungsbogen halten. Am Ende gab es Jubel aus der Fraktion und wohlmeinende Gesichter auf der Presse-Tribüne. Nahles könnte vielleicht die nächste SPD-Kanzlerkandidatin werden, wurde spekuliert.
"La Republique en trance"
Der Kanzlerin wird im derzeitigen Wahlkampf vorgehalten, sie halte alle in einer Wohlfühllaune gefangen - Linken-Chefin Wagenknecht verwendete in der Debatte dafür in Anlehnung an Emmanuel Macrons Bewegung "En Marche" den Begriff "La Republique en trance". Doch auch Merkel hatte in ihrer Rede davon gesprochen, dass jetzt die Langzeitarbeitslosen auf der Tagesordnung stünden, nachdem die Arbeitslosenzahlen in den vergangenen zehn Jahren halbiert worden seien.
Und wer genau hinhört, der hört Sorgen. Deutschland sei auf der Schwelle zu einer neuen Etappe, die der digitale Fortschritt bringe, sagte Merkel. Überhaupt nicht ausgemacht sei, dass es in 10, 15 Jahren noch genügend wirtschaftlichen Erfolg gebe, der ein soziales und gerechtes Land möglich mache und dafür sorge, dass "die Leute Arbeit haben".
"Deutschland darf nicht im Technikmuseum enden"
Das Ringen in der Autoindustrie um neue Antriebssysteme, sagte die Kanzlerin, sei ein "Brennglas der Summe der neuen Herausforderungen". Deutschland müsse ein Hochtechnologieland bleiben und dürfe nicht im "Technik-Museum enden". Deshalb, so sagte sie zum Diesel-Skandal, seien "Maß und Mitte" gefragt. Konkret: Jahrzehnte noch werde der Verbrennungsmotor gebraucht, von Verboten halte sie nichts. Die Übergänge müssten vernünftig für die Beschäftigten gestaltet werden. Das gelte auch für die Braunkohle-Industrie, die in Deutschland tausenden Arbeitnehmern ein Einkommen gebe.
Die Grünen, die sich für ein festes Ausstiegsdatum für Verbrennungsmotoren aussprechen, dürften das nicht gern gehört haben. Sollte es zu Koalitionsverhandlungen zwischen den Grünen und der Union kommen, wäre man sich da überhaupt nicht einig.
Für "Maß und Mitte" sprach sich Merkel auch im Verhältnis zur Türkei aus. Stärker noch als beim TV-Duell warb Merkel dafür, das weitere Vorgehen wie etwa ein mögliches Ende der Beitrittsverhandlungen europäisch abzustimmen. Es brauche eine einheitliche Position. Vor den Augen Erdogans zu streiten, würde Europa erheblich schaden, weil damit ein hoher Ansehensverlust verbunden sei.
"Eine sozialdemokratisch redende Kanzlerin reicht nicht"
Die schärfste Merkel-Kritik in der Debatte kam vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann. Er warf Merkel vor, wichtige Reformvorhaben verwässert oder verhindert zu haben. Es reiche deshalb nicht aus, eine Kanzlerin zu haben, "die sozialdemokratisch redet", sondern es müsse auch sozialdemokratisch gehandelt werden. Oppermann nahm damit die verbreitete Kritik an Merkel aus den eigenen Reihen auf, wo ihr manche vorwerfen, sie habe ihre christdemokratische Partei zu weit nach links gerückt.
Dass nach der Wahl am 24. September ein SPD-Kanzler gewählt wird, ist nach derzeitigen Umfragen unwahrscheinlich. Die spannende Frage dürfte dann sein, mit wem Merkel koaliert: mit der SPD oder den Liberalen oder den Grünen? Oder mit FDP und Grünen zusammen? Journalisten diskutierten nach der Debatte darüber, ob es vielleicht doch eine Neuauflage der Großen Koalition geben könnte. In der deutschen Bevölkerung ist das noch immer die beliebteste Koalition. Ihre Stabilität wird auch von manchen im Ausland geschätzt.