Roland Emmerichs "Stonewall" kommt in die Kinos
19. November 2015Mit seinem aktuellen Film "Stonewall" betritt der 60-jährige Meister des Actionfilms absolutes Neuland: Er handelt von den Straßenkämpfen zwischen Homosexuellen und der New Yorker Polizei im Jahr 1969. Die Ereignisse rund um den Schwulen- und Transsexuellentreff "Stonewall Inn" gingen in die Geschichte ein, Jahr für Jahr erinnert weltweit der "Christopher Street Day" daran.
Auch der Rahmen der Uraufführung von "Stonewall" ist ungewöhnlich für einen Regisseur wie Emmerich: Die Weltpremiere fand nicht mit großem Tamtam in Los Angeles, sondern beim Internationalen Filmfestival TIFF in Toronto statt. Nun läuft der Film nun auch in Deutschland an.
Wie alles begann: Aufstand der Schwulen und Lesben in den USA
Emmerich, der selbst schwul ist, hatte in Interviews mehrfach betont, wie wichtig ihm dieser Film sei. So erfährt der Zuschauer, dass man Homosexuelle in den USA der Sechzigerjahre nicht nur aus dem Staatsdienst feuert, sondern sie auch in Kliniken mit Elektroschocks traktiert - um sie von ihrer "unnatürlichen Neigung" zu heilen. Im "Stonewall Inn" in der Christopher Street im New Yorker Stadtteil Greenwich Village treffen sich die Ausgestoßenen, um gemeinsam zu feiern, zu trinken und zu tanzen.
Regelmäßig kommt die Polizei vorbei, schikaniert die Gäste und nimmt willkürlich Personalien auf. Am 27. Juni 1969 eskaliert die Situation und die aufgebrachte homosexuelle Jugend schlägt zurück: Polizeiautos werden demoliert, Fensterläden in Brand gesteckt und Barrikaden errichtet. Bei Emmerich schreit der muskelbepackte Protagonist Danny (Jeremy Irvine) den Polizisten die neue Parole entgegen: "Gay Power!"
Der Aufstand dauert ein paar Tage und ist der Beginn der Lesben- und Schwulenbewegung. Schon einen Monat später, am 27. Juli, läuft der erste "Gay March" vom Washington Square zum Stonewall. 1999 wird die Bar wegen ihrer historischen Bedeutung für die Geschichte der Lesben und Schwulen sogar in das Nationale Register historischer Stätten aufgenommen.
Von Stuttgart nach Hollywood
Es war ein langer Weg, bis Roland Emmerich sein filmisches Herzensprojekt realisieren konnte. Deutschland, Ende der 1970er-Jahre: Emmerich beginnt sein Filmstudium zu einer Zeit, in der das heimische Mainstreamkino verzweifelt US-amerikanischen Trends hinterherrennt. Auch Emmerich verdankt sein filmisches Erweckungserlebnis nicht Werner Herzog oder Rainer Werner Fassbinder, sondern "Star Wars". Das Science-Fiction-Epos von George Lucas fasziniert den angehenden Szenenbildner so sehr, dass er ins Regiefach wechselt. Sein großes Vorbild wird Hollywood-Regisseur Steven Spielberg.
Selfmademan aus Schwaben
Schon Emmerichs Abschlussfilm "Das Arche Noah Prinzip" aus dem Jahr 1984 sprengt alle Rekorde: Mit einem Budget von einer Million D-Mark ist der Film der teuerste deutsche Studentenfilm aller Zeiten. Emmerich gilt gleich zu Beginn seiner Karriere als Größenwahnsinniger. Schauspiel-Jungstar Richy Müller spielt eine der beiden Hauptrollen, als Drehort des opulenten Science-Fiction-Streifens dient eine stillgelegte Waschmaschinenfabrik im Sindelfinger Stadtteil Maichingen. In den Folgejahren dreht Emmerich mit "Joey", "Hollywood-Monster" und "Moon 44" Filme, die sich stark an US-amerikanischen Vorbildern orientieren - und schwankt dabei stets zwischen Hommage und dreistem Plagiat. Die deutsche Filmkritik spottet trotz einiger Achtungserfolge über das "Spielbergle aus Sindelfingen", doch Emmerich lässt sich nicht beirren.
Schließlich wird Hollywood auf Emmerich aufmerksam, der 1990 nach Kalifornien übersiedelt und mit "Universal Soldier" seine erste Chance auf den ganz großen Wurf bekommt. Der gelungene Action-Streifen mit Jean-Claude van Damme in der Hauptrolle wird zum Blockbuster. Emmerich lebt endlich seinen Traum von der US-Karriere.
Gemeinsam mit seinem langjährigen Ko-Autoren Dean Devlin schreibt Emmerich kurze Zeit später das Drehbuch zu einem Science-Fiction-Film, der zahlreiche Spin-Offs nach sich ziehen soll: "Stargate", mit Kurt Russell in der Hauptrolle, wird ebenfalls ein großer Erfolg. Die dem Film zugrundeliegende Story ist stark inspiriert von der Welt des antiken Ägyptens, die Emmerich seit seiner Jugend fasziniert und in seinen Filmen immer wieder auftaucht.
Der Mann für Katastrophen
Mitte der 1990er-Jahre ist Emmerich auf dem Zenit seines Erfolges angekommen. Sein Action-Spektakel "Independence Day", mit den Weltstars Will Smith, Jeff Goldblum und Bill Pullman in den Hauptrollen, bricht sämtliche Publikumsrekorde. Allein in der ersten Woche spielt der Film 110 Millionen US-Dollar in den Kinos ein - damit überholt Emmerich sein Vorbild Spielberg, dessen "Jurassic Park" bis dato der Rekordhalter gewesen ist. Viele sehen den Film, in dem der US-Präsident die Welt vor dem Untergang bewahrt, als patriotisches Werk. Doch Emmerich wehrt sich in den Folgejahren immer wieder mit deutlichen Worten gegen diese Einordnung und äußert 2010 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sogar seine große Abneigung gegen die Bush-Regierung. Er denkt in dem Interview laut darüber nach, aus den USA wegzuziehen, sollte George W. Bush an der Regierung bleiben.
Die internationale Filmkritik gesteht Emmerich spätestens seit "Independence Day" technische Perfektion zu, doch seine Drehbücher werden weiterhin als naiv oder unlogisch abgetan. Mit seinem düsteren Klimakatastrophen-Thriller "The Day After Tomorrow", in dem er eine ganz eigene, emanzipierte Bildsprache entwickelt, erkämpft sich Emmerich erstmals Achtung unter seinen Dauerkritikern.
Neue filmische Wege abseits von Katastrophenszenarien
Mit Filmen wie "Der Patriot", "10.000 BC" und dem Historienfilm "Anonymous" beweist Emmerich im Lauf der Jahre, dass er auch abseits von Katastrophen- und Zukunftsszenarien spannend erzählen kann. Im neuen Jahrtausend scheint es stetig aufwärts zu gehen bei Emmerich, der auch inhaltlich immer freier aufspielt und sich allmählich von Genrezwängen befreit. Doch ausgerechnet mit einem klassisch erzählten Actionthriller landet er im Jahr 2013 einen seiner größten Flops: "White House Down", mit Channing Tatum und Jamie Foxx in den Hauptrollen, erweist sich als Kassengift und stürzt sogar den Produktionsgiganten Sony Pictures Entertainment in eine finanzielle Krise.
Proteste schon Vorfeld des US-Kinostarts
Nach der enttäuschenden Erfahrung mit "White House Down" hat Emmerich auch mit seinem aktuellen Film "Stonewall" kein Glück beim US-Publikum. Kritiker bemängelten bereits im Vorfeld, dass er die Gelegenheit einer akkuraten und mutigen Nacherzählung der Vorgänge nicht ergriffen hätte. Der Film wird in Magazinen wie Vanity Fair als "weißgewaschen" bezeichnet. Im Fokus stünde ein blonder, weißer Hauptdarsteller, dabei seien die Proteste rund um das "Stonewall Inn" hauptsächlich von schwarzen Schwulen, Lesben und Transsexuellen ausgegangen. Die historisch korrekte Vielfalt der Szene jener Zeit sei zugunsten eines simplen Hollywood-Plots aufgegeben worden. Aktivisten riefen daraufhin zum Boykott des Films auf.
Als das Werk dann anlief, ließen die Verrisse nicht lange auf sich warten. "Schrecklich beleidigend und beleidigend schrecklich", hieß es in dem Magazin "Vanity Fair", "ein zwar gut gemeinter, aber zutiefst dummer und verletzender Film"schrieb "Salon" und die "Washington Post" kritisierte: "Beklagenswert flach und unverzeihlich unauthentisch". Jetzt ist der Film auch in Deutschland zu sehen. Man darf gespannt sein, ob die Kritik hier ähnlich vernichtend ausfällt.
Mehr zu Regisseur Roland Emmerich und seinem neuen Film "Stonewall" erfahren Sie in der neuen Ausgabe von KINO. In unserem wöchentlichen Magazin über neue Filme, Regisseure und die anderen Stars der Szene auch ein Bericht über die Neuverfilmung der legendären Trapp-Familie.