Ehrenpalme in Cannes für Alain Delon
19. Mai 2019Wenn die Geschichte des Kinos auf ein paar Momente zusammengeschrumpft werden müsste, was bliebe dann? Chaplins Tramp, James Deans Coolness, der hochgewirbelte Rock der Marilyn Monroe, ein paar andere Sequenzen mehr. Unbedingt zu diesen ganz großen Szenen der Kino-Historie würde auch der Auftritt Alain Delons in dem Film "Der eiskalte Engel" aus dem Jahre 1967 gehören. Nicht zuletzt dafür bekommt der Schauspieler am Sonntag (19.5.) die goldene Ehren-Palme des Festivals - was nicht jedem passt. Doch dazu später mehr.
Die bewegungslose Mimik, der eiskalte, starre Blick, das akkurate Äußere, das verschlossen-arrogante Auftreten - als Auftragskiller Jeff Costello dürfte Delon keinem Zuschauer mehr aus dem Gedächtnis gehen. Jean-Pierre Melvilles Regie-Meisterstück "Der eiskalte Engel" verdichtet das schon zuvor vorhandene Charisma des Franzosen noch einmal um ein vielfaches.
Alain Delon: von überirdischer Schönheit und Eleganz
Der am 8. November 1935 in der Nähe von Paris geborene Delon war 1967 bereits eine bekannte Größe im europäischen Film. Doch nicht mit Auftritten bei den damals so revolutionären Regisseuren der Nouvelle Vague François Truffaut oder Jean-Luc Godard hatte Delon auf sich aufmerksam gemacht. Den jungen Wilden um Truffaut und Godard, die zu Beginn der 1960er Jahre das europäische Kino mit Furor und Leidenschaft umkrempelten, erschien der junge, smarte Darsteller wahrscheinlich zu unnahbar und vielleicht auch ein wenig zu überirdisch schön.
Delon gehörte zweifellos zu den bestaussehenden Schauspielern seiner Generation, seine Anziehung beschränkte sich nicht nur auf Frauen. Der große italienische Regisseur Luchino Visconti setzte ihn früh ein in zwei Filmen, die Kinogeschichte schrieben: "Rocco und seine Brüder" (1960) und drei Jahre später in seinem Epos "Der Leopard". Viscontis Landsmann Michelangelo Antonioni ließ Delon an der Seite von Monica Vitti in "Liebe 1962" ebenfalls glänzen, als leicht verträumter Börsenmakler.
Der erotischste Killer der Filmgeschichte
Es war eben vor allem dann der Regisseur Jean-Pierre Melville, der Delon zu dem machte, was er heute noch in den Augen vieler Kinofans ist: der charismatischste und erotischste Killer der Filmgeschichte. Nach seinem Auftritt in "Der eiskalte Engel" sah man Delon noch in Melvilles "Vier im roten Kreis" (1970) und in "Der Chef" (1972). Alles, was danach folgte, war nur noch Zugabe. Gemessen an den Rollen, die Alain Delon in den 1960er Jahren spielte bis hin zu jenem Kommissar Edouard Coleman in Melvilles letztem Film, könnte man von einem stetigen künstlerischen Abstieg sprechen.
Natürlich wären viele Schauspieler dankbar für eine Filmografie, wie sie Alain Delon in den 70er und 80er Jahre noch vorweisen konnte - doch verglichen mit dem, was er in den 60er Jahren spielte, wirkt das Spätwerk ein wenig müde und ausgelaugt. Zur goldenen Dekade des Alain Delon zählen auch noch Filme wie "Der Swimmingpool" (1969) an der Seite von Romy Schneider mit jenen legendären Szenen, in denen sich beide nackt am Pool räkeln, das eindrucksvolle Polit-Drama "Die Hölle von Algier" (1965) und die Patricia-Highsmith-Verfilmung "Nur die Sonne war Zeuge" (1960).
Als Gangster und Bulle auf den Leinwänden
Später dann hat sich Delon auf viele routinierte Auftritte in mehr oder weniger gelungenen Gangster-Filmen konzentriert, die Titel wie "Flic-Story", "Killer stellen sich nicht vor" oder "Der Panther" trugen. In diesen Jahren war Delon - neben Jean-Paul Belmondo und Michel Piccoli - der unumstritten größte Star des französischen Kinos.
Ein paar wenige Engagements für große Künstler auf dem Regiestuhl hatte er nach den goldenen 1960er Jahren aber immerhin auch noch: 1976 spielte er in Joseph Loseys "Monsieur Klein" den elsässischen Kunsthändler Robert Klein in dem von deutschen Truppen besetzten Paris. 1984 verpflichtete ihn der Deutsche Volker Schlöndorff für seine Marcel-Proust-Verfilmung "Eine Liebe von Swann".
Und 1990 machte er doch noch einmal in einem komplexen Kunstfilm des früheren Nouvelle-Vague-Regisseurs Jean-Luc Godard auf sich aufmerksam, der bezeichnenderweise schlicht "Nouvelle Vague" hieß. So, als ob er noch einmal mit aller Macht demonstrieren wollte, dass er auch Kunst kann - und nicht nur Kommerz.
Stippvisite in Hollywood
Doch Delon spielte da schon lange in seiner ganz eigenen Liga, die unabhängig von all den künstlerischen und kommerziellen Entwicklungen des französischen Films existierte. Hollywood hatte ihn wohl auch nicht dauerhaft reizen können. Der Auftritt 1973 in Michael Winners "Scorpio, der Killer" blieb eine der wenigen Ausnahmen im französisch geprägten Werk des Mimen. Das Zeug zum Hollywood-Star hätte Alain Delon ohne Zweifel gehabt.
Hollywoodreif waren viele seiner privaten Auftritte: seine Affären und Ehen, seine öffentlichen Kapriolen. Angefangen von der in allen Medien breitgetretenen Beziehung zu Romy Schneider über die Beziehung zu seiner späteren Frau Nathalie, der Schauspielerin Mireille Darc, bis hin zur Ehe mit dem niederländischen Fotomodell Rosalie van Breemen - für Gesprächsstoff war immer gesorgt.
Gerüchte um seine Verbindungen zur Unterwelt
Der Mord an seinem jugoslawischen Leibwächter, dem man nachsagte, er habe ein Verhältnis zu seiner damaligen Frau Nathalie gehabt, erschütterte 1968 ganz Frankreich. Die Vorwürfe gegen Delon in diesem Zusammenhang wurden erst Jahre später fallengelassen. Doch seither umschwirrten den Schauspieler die wildesten Gerüchte - er pflege enge Beziehungen zur Unterwelt, habe Verbindungen zur Mafia.
Diesen Ruf, ein unnahbarer Einzelgänger zu sein mit zwielichtigen Freunden, festigte Delon später auch mit seiner öffentlich gemachten Freundschaft mit dem Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen. Die Nähe zum "Front National" bedeutete für Alain Delon nichts Ehrenrühriges, er stand zu ihr. Und seiner Karriere hat sie letztendlich auch nicht geschadet.
Vergessen ist sie allerdings nicht. Als Cannes-Direktor Thierry Frémaux zu Beginn des Festivals in diesen Tagen gefragt wurde, warum man Delon einen solchen Preis verleihe, einem Mann, der zudem zugegeben habe, früher seine Frau geschlagen zu haben, reagierte Frémaux patzig: "Wir geben ihm ja nicht den Friedensnobelpreis" lautete die Antwort.
In den letzten Jahren ist es ruhig um Alain Delon geworden
In den vergangenen Jahren ist Alain Delon kaum noch vor die Kameras getreten. 2008 hatte er einen seiner wenigen komödiantischen Auftritte, als er die Zuschauer als Julius Cäsar in der Comic-Verfilmung "Asterix bei den Olympischen Spielen" zum Lachen brachte. Alain Delon wird bei seinen Fans vor allem mit seinen Rollen aus den 1960er Jahren in Erinnerung bleiben. Da schien er direkt aus dem Olymp des Kinos hinabgestiegen zu sein: engelsgleich, aber mit Pistole im Anschlag: Ein eiskalter Engel eben.