Fillon und Juppé auf der Zielgeraden
27. November 2016Die Haare akkurat nach rechts gescheitelt - seine Frisur sitzt. Den dunkelblauen Mantelkragen hochgeschlagen, durchschreitet François Fillon mit ein paar raschen Schritten den kleinen Innenhof seines Wahlbüros in der Rue de Grenelle, im Herzen von Paris. Stimmabgabe, zweiter Wahlgang. Heute küren die Franzosen ihren konservativen Kandidaten, den sie ins Rennen um das Präsidentenamt im Frühling 2017 schicken wollen. Es ist kurz nach zehn Uhr morgens, kurzes verbindliches Lächeln in die Kameras und François Fillon lässt den braunen Umschlag in die Wahlurne gleiten. Voté.
Wahlbeteiligung übertrifft Erwartungen
Mit 44,1 Prozent der Stimmen räumte der rustikal-konservative Fillon im ersten Wahlgang überraschend ab. Und hinterließ einen irritierten Alain Juppé, der unerwartet seine Favoriten-Rolle abgeben musste. Beobachter trauen dem erzkonservativen Konkurrenten von Juppé diesmal sogar einen satten Sieg mit mehr als 60 Prozent zu.
Seit dem frühen Morgen füllen sich die Wahllokale. Hier im siebten schicken Arrondissement ist man vorbereitet. A bis M muss sich rechts anstellen, N bis Z durch die linke Flügeltür. "Dieses Mal sind wir besser organisiert als vergangene Woche", seufzt eine ehrenamtliche Helferin in der Rue de Grenelle. Tatsächlich scheint alles daraufhin zu deuten, dass die Wahlbeteiligung nochmals gestiegen ist im Vergleich zu vergangenem Sonntag. Bis zu 15 Prozent mehr Wähler, so heißt es mittags aus der Wahlkommission um Thierry Solère. An der ersten Runde beteiligte sich knapp ein Zehntel der 45 Millionen wahlberechtigten Franzosen.
Juppés Kalkül geht nicht auf
"Kann jemand fünf Euro wechseln?". Thierry Trévise blickt mit dem Schein in der Hand fragend in die Schlange hinter sich. Extra früh ist er heute hier, um langen Wartezeiten zu entgehen. Zwei Euro müssen alle berappen und versichern, dass sie die republikanischen Werte respektieren, dann darf gewählt werden, auch ohne Parteibuch der Konservativen. Alain Juppé hatte auf eine offene Wahl gedrängt, in der Hoffnung, so wichtige Stimmen der Mitte und der Linken auf sich vereinen zu können. Sein Kalkül scheint jedoch nicht aufzugehen. "Für mich ist Fillon der einzige, der Frankreich wieder auf die Beine stellen kann", so der Wähler Trévise, selbstständiger Notar in der gehobenen Nachbarschaft des Boulevard Saint Germain. "Er hat ein exzellentes Wirtschaftsprogramm - er redet nicht nur, er wird das durchziehen."
Senkung der Staatsausgaben um 100 Milliarden Euro über fünf Jahre, Streichung von 500.000 Beamtenstellen, Ende der 35-Stunden Woche und er fordert die Rente mit 65 - Fillon will Frankreich ein klares Sparprogramm verordnen. Sein Ziel: Frankreich vor dem wirtschaftlichen Bankrott bewahren. Abschreckend? Zu hart? Nein ganz im Gegenteil, findet Léopoldine Colom. Die Studentin wickelt sich eine Haarsträhne um den Zeigefinger. "Alle sagen, Fillon ist zu krass, zu konservativ. Doch genau deshalb wähle ich ihn! Frankreich braucht jetzt genau das um wieder klarzukommen."
"Keiner von beiden", Didier Seresain spricht mit Nachdruck. Der Rentner rollt das 'r' beim sprechen, seine Wangen sind rot von der Morgenfrische. "Ich bin heute nur da, um den weniger Üblen zu wählen, aber von den zweien ist keiner mein Kandidat." Er hofft auf den liberal-linken Einzelgänger Emmanuel Macron: "So ein junger Wilder, der auch was von Wirtschaft versteht, das wär was." Juppé ist ihm zu alt, Fillon zu rechts. "Heute will ich nur, dass Marine Le Pen am Schluss nicht gewinnt."
Hauptsache nicht LePen?
Für Marine Le Pen, Vorsitzende des rechtsnationalistischen Front National (FN) wäre Fillon der unbequemere Rivale: Dass einige FN-Wähler mit dem Konservativen liebäugeln könnten, ist ihre große Furcht, so der Politikexperte Bruno Cautrès. Auf Juppé dagegen wäre sie tiptop vorbereitet, den "Ehemaligen" aus dem Establishement, ein Zauderer, der weder rechts noch links ist. Ein idealer Gegner. Jetzt muss sie sich wohl umstellen.
Aber auch Fillon dürfte es nicht leicht haben, sollte er 2017 gegen Marine Le Pen in die Stichwahl gehen. Große Teile der linken Wählerschaft würden zögern, für den Republikaner zu stimmen, um den FN zu vermeiden: die einen wegen Fillons Wirtschaftsplänen, die anderen wegen seiner ultra-konservativen, gesellschaftspolitischen Vorstellungen.
Tatsächlich, so der Politologe Pascal Perrineau, verdanke Fillon seinen rasanten Aufstieg nicht zuletzt den zahlreichen Sympatisanten der katholisch-konservativen Bewegung "manif pour tous", der "Demonstration für alle". Die Bürgerbewegung wendet sich ausdrücklich gegen Homo-Ehe oder das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare." Fillon war der Einzige, der sich sehr früh ganz klar als Befürworter dieser Bewegung positioniert hat, das danken sie ihm jetzt", so Perrineau.
François Fillon verlässt das Wahllokal, nimmt die Treppe sportlich mit zwei Stufen auf einmal. Sein Hosensaum rutscht ein wenig nach oben, erlaubt einen kurzen Blick auf sein Beinkleid: Nein, seine Lieblingssocken in kardinalrot trägt er heute ausnahmsweise nicht. Seine Botschaft scheint zu sein: Keine Spielereien - heute geht es für ihn um alles.