Klaus der Geiger
20. Oktober 2011"Das Lied kennt ihr, Leute, da könnt ihr mitsingen!" ruft Klaus der Geiger den Passanten zu, die im Halbkreis um ihn herumstehen: "What shall we do with the kranken Banken?" stimmt er das bekannte englische Seemannslied mit umgedichtetem Text an: "Lasst sie verhungern, und steckt euer Geld unter die Matratze."
Das Thema kommt an, die Leute applaudieren. Es ist ein guter Tag für Klaus den Geiger. Das ist nicht immer so. "Als ich letztens gegen den Ausbau des Hafens in Köln angefiedelt habe, haben mich die Leute eiskalt stehen lassen", erzählt er.
Nein, einfach ist das Brot des Straßenmusikers nicht. Allerdings genießt Klaus der Geiger die Freiheit zu musizieren, wann und wo er will, ohne von irgendwelchen Musikproduzenten gegängelt zu werden. "Und wenn ich keinen Bock mehr habe, mach' ich den Kasten zu und geh' mir einen trinken", lacht er spitzbübisch.
Asphalt-Paganini mit Reibeisenstimme
Aber meistens hat Klaus Bock. Demonstrieren gehört für ihn zum Handwerk. Wenn irgendwo in Deutschland eine links-politische Aktion gegen Atomkraft, Sozialabbau, Rassismus oder die Bankenkrise stattfindet, ist Klaus der Geiger in erster Reihe mit dabei. Er ist ein Politbarde, der den Mächtigen im Land wütend auf die Finger klopft; einer, der sich als Sprachrohr der Verlierer in der Gesellschaft sieht. Und wenn gerade keine Demo ansteht, schnappt sich das Protestsong-Urgestein sein Instrument, stellt sich mitten in die Fußgängerzone und singt laut, bissig und ehrlich heraus, was ihn gerade stört. "Du musst natürlich etwas zu bieten haben, sonst bleibst du da stehen wie der letzte Bettler", betont er. "Das ist für unsereins wirklich Horror."
Und trotzdem: Auf der Straße ist Klaus in seinem Element. Mit wirrer Mähne, Rauschebart und verrutschter Nickelbrille springt und hüpft er hin und her. Dann drischt er auf seine Geige ein, gibt sich je nach Stimmung derb und kratzig oder zart und fröhlich. Man nennt ihn zu recht auch "Asphalt-Paganini"; sein Instrument ist Straßenfiedel und Konzertvioline zugleich. Dazu gesellt sich seine laute Stimme, die wie ein Reibeisen klingt; er schimpft, wettert, schreit und lacht. Man soll ihn hören und vor allem zuhören.
Ackermänner und Montagsdemos
"Hartz ist richtig, Hartz ist wichtig, Hartzer Käse ist gesund, Esser, Fresser, Ackermänner werden dabei kugelrund", schmettert Klaus der Geiger den Passanten in Anspielung auf das Arbeitslosengeld "Hartz 4" beispielsweise in "Montagsdemo" an den Kopf und freut sich, wenn die Leute hitzig darüber diskutieren.
"Straßenmusik ist natürlich viel wirkungsvoller, als wenn du dich als einzelne Figur in eine Demo rein begibst", sagt er. "Du tönst ja da laut rum und stellst dich öffentlich zur Diskussion. Deswegen finde ich es sagenhaft, wenn meine Lieder die Menschen zum Nachdenken anregen." Normalerweise, so seine Erfahrung, interessieren sich nur wenige Leute für Politik. "Wenn du es aber irgendwie hinkriegst, ist politisch orientierte Straßenmusik gesellschaftlich gesehen natürlich eine sehr sinnvolle Tätigkeit", findet Klaus. "Deswegen bin ich Straßenmusiker geworden."
Klaus der Geiger will aufrütteln, er will die Welt verändern oder zumindest sein Umfeld. Seine Melodien und Texte sind eingängig; Musik auf der Straße muss schnell wirken. Provokant, zynisch und unversehens wieder poetisch und fast zärtlich kommt sie daher. Klaus singt und wiegt sich im Takt, als hänge davon sein Leben ab.
Kommune, Bauwagen und Gefängnis
Gelernt hat der Straßenmusikant das Geigenhandwerk schon als achtjähriger Knabe, damals noch als Klaus von Wrochem. Er kam 1940 als Sohn einer großbürgerlichen Familie im Erzgebirge zur Welt. Als junger Mann studierte er dann zunächst an der Kölner Musikschule; Klassik und später Avantgardemusik hatten es ihm angetan – bis er wegen eines Pamphlets von der Uni flog. Klaus ging in die USA und landete mitten in der Hippiebewegung.
Zurück in Deutschland gründete der Wahl-Kölner eine Kommune, hängte die Klassik an den Nagel und mutierte zu Klaus dem Geiger, der sich konsequent dem etablierten Konzertbetrieb verweigert. In den 80er Jahren tingelte er mit seiner Familie in einem Bauwagen quer durch die Republik, und wenn das Geld knapp wurde, stellte er sich auf die Straße und sang. Es gibt wohl kaum eine Fußgängerzone, die Deutschlands bekanntester Straßen-Fiedler noch nicht unsicher gemacht hat.
Knöllchen vom Ordnungsamt
Sein politisches Engagement brachte Klaus dem Geiger unzählige Prozesse ein, sogar mehrere Gefängnisstrafen. Und auch von den Passanten gibt es nicht nur Zuspruch. "Boh, die haben mich vielleicht oft stehen lassen", meint er mit einem Schulterzucken. "Wie oft bin ich wütend und frustriert nach Hause gegangen."
Wenn dann noch das Ordnungsamt mit der neuesten Regelung auf den Plan tritt, Klaus solle doch den Platz räumen, er dürfe erst zur vollen Stunde spielen, dann platzt ihm endgültig der Kragen. "Ich hab gesagt: Leute, ehrlich, ich spiel' hier schon 40 Jahre", erzählt er aufgebracht. "Straßenmusiker haben es schon schwer genug, und wenn die sich ihre Freiheit auf diese Art und Weise erkämpft haben, dann soll man sie auch nicht immerzu behindern."
Ausgerechnet in der Stadt, in der er regelmäßig mit den Hütern des Gesetzes in Konflikt geriet, weil er sich nicht ordnungsgemäß als Straßenmusikant angemeldet hatte, bekam er jetzt den ersten Preis in seiner Musikerlaufbahn überhaupt: Beim Weltmusikfestival TFF in Rudolstadt verlieh man dem musizierenden Urgestein den RUTH-Preis für sein Lebenswerk.
Nicht reich, aber glücklich
71 Jahre alt ist Klaus der Geiger mittlerweile. In einem Alter, in dem andere längst den Ruhestand genießen, denkt der unverdrossene Kämpfer für Gerechtigkeit noch lange nicht ans Aufhören. Noch immer lebt er mit seiner Frau Ulla in der alten Kommune-WG im 4. Stock, Altbau ohne Aufzug. Die alten Kommunardenfreunde wohnen alle in der Nähe, und bis heute hilft man sich gegenseitig.
Klaus muss sein Geld nicht mehr nur als Straßenmusikant verdienen, er ist gern gesehener Gast bei Konzerten anderer Bands. Außerdem leitet er voller Inbrunst das Orchester des Kölner Kultursalons, wo er seine avantgardistische Vergangenheit mit schräger Musik auslebt. Reich ist er damit nie geworden, aber glücklich. Hauptsache, er kann auf die Straße gehen und für eine bessere Welt fiedeln. "Wenn ich dann spiele und es geht gut, und eigentlich geht es öfters gut als schief, dann stehen die Leute zu Hunderten in einem großen Kreis und sind total stark", sagt er mit leuchtenden Augen. "Eine unglaubliche Energie gibt es da zurück. Das ist der Sinn der Straßenmusik."
Autorin: Suzanne Cords
Redaktion: Matthias Klaus