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PolitikTürkei

Fethullah Gülen: Prediger mit politischem Einfluss

21. Oktober 2024

Fethullah Gülen, ehemaliger Verbündeter Recep Tayyip Erdogans und später Erzfeind, ist tot. Seit 1999 lebte er im Exil in den USA und wurde als mutmaßlicher Drahtzieher des Putschversuchs 2016 angesehen. Ein Porträt.

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Fetullah Gülen - Potraitbild Gülen, in einem Sessel sitzend
Fetullah Gülen (1941-2024)Bild: Selahattin Sevi/Zaman Daily/Cihan News Agency /REUTERS

Fethullah Gülen war der Gründer der Hizmet-Bewegung - die auch oft schlicht nach ihm selbst "Gülen-Bewegung" genannt wurde.  Er starb in seinem Haus in Pennsylvania, Vereinigte Staaten. Er wohnte dort seit 1999 im selbstgewählten Exil. Gülen sah seine Mission darin, dass Religion wieder eine führende Rolle im türkischen Staat spielen solle. Außerdem wollte er laut eigenen Angaben mit einer weltoffenen Interpretation des Islam interreligiösen Dialog fördern.

Im Laufe seiner Karriere baute er ein weltweit aktives Netzwerk aus Schulen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die mit und um seine Ideen und Weltanschauungen agierten. Heute sehen viele ihn eher als "Strippenzieher", denn als Prediger.

Prediger, Kommunismusbekämpfer, Politikerfreund

Wie konnte Gülen dieses System aufbauen? Er wurde 1941 als Sohn eines Imams in der osttürkischen Stadt Erzurum geboren. Außerhalb der regulären Schule erhielt er eine islamische Bildung und war bereits mit 18 als Prediger tätig. 1962 war er einer der Gründer des "Vereins für Kommunismusbekämpfung" in seiner Heimatstadt und positionierte sich damit in der Zeit des Kalten Krieges klar. Landesweit gab es mehrere solcher Vereine mit demselben Namen, die eine pro-amerikanische Haltung und eine nationalistischen Ideologie verfolgten.

1966 begann er seinen künftigen Markenkern aufzubauen: Als er aus beruflichen Gründen nach Izmir zog, gründete er sein erstes "Haus des Lichtes" – ein Prototyp für seine Bewegung in den kommenden Jahren. Er war seitdem aktiv als Gründer von Schulen und Vereinen. Seine Bewegung begann in Izmir und breitete sich weltweit aus. Laut unterschiedlichen Schätzungen hat seine Bewegung in etwa 160 Ländern über 2000 Schulen, die auf rechtlicher Ebene voneinander unabhängig sind. In vielen zentralasiatischen Ländern gelten seine Schulen als einige der besten Schulen. Eliten schicken dort ihre Kinder hin. Das Merkmal seiner sogenannten "Hizmet"-Bewegung (übersetzt: "Dienst"), die sich selbst als "zivile Bildungsbewegung" bezeichnet: Gülens Anhänger sind gebildet und sind in der Wirtschaft, Forschung, Polizei, Sicherheitsbehörden, Justiz sowie in den Medien und im Staat sehr einflussreich.

Mit seinem politischen Einfluss sorgte er dafür, dass die von ihm gebildeten Menschen in wichtige Institutionen und hochrangige Positionen kamen. In einer Ansprache im Jahr 1999 sagte er seinen Anhängern: "Bis ihr die ganze Macht im verfassungsrechtlichen System des türkischen Staates auf Eurer Seite habt, ist jeder Schritt ein Schritt zu früh." Man solle auf den richtigen Zeitpunkt warten, um die eigene Agenda durchzusetzen: eine islamisch regierte Türkei. Damals betrachtete der säkularistische türkische Staat islamische Bewegungen als Bedrohung – inklusive den Aufstieg vom damaligen Istanbuler Bürgermeister Recep Tayyip Erdogan.

Nicht nur 2002 als die AKP an die Macht kam, sondern auch in der Zeit davor war er einflussreich: In den 90er Jahren baute er gute Beziehungen zu unterschiedlichen Politikern auf – inklusive Erdogan. Trotzdem kaufte er seine Fahrkarte ohne Rückfahrt in die USA im selben Jahr: Ein interner Bericht der türkischen Polizei besagte, er sei Anführer einer Organisation und diese unterwandere die türkische Polizei. Ihm wurde vorgeworfen, "das verfassungsrechtliche System der Türkei mit einem theokratischen Staat ersetzen" zu wollen. Tage später, am 21. März 1999 flog er in die USA mit der Begründung, dass er gesundheitliche Probleme habe.

Schild "Zaman"-Zeitung, davor Demonstrantinnen
Die Gülen-nahe "Zaman"-Zeitung wurde zwölf Tage nach dem Putschversuch verbotenBild: picture-alliance/abaca/Depo Photos

Verbündet mit Erdogan

Er kehrte nie wieder zurück. Seinen politischen Einfluss auf die Türkei behielt er nichtsdestotrotz. Mit dem Regierungseintritt der AKP – die auch eine islamisch-konservative Agenda hatte – ist Gülen so stark geworden, dass er die Politik mehr beeinflussen konnte als jeder andere Akteur von außerhalb. Über Jahre hinweg pflegten Erdogan und Gülen ein Bündnis: Erdogan profitierte vom institutionalisierten sozialen Einfluss Gülens – Gülen profitierte von der politischen Macht und dem Charisma Erdogans.

Nach dem Erfolg im Verfassungsreferendum 2010 bedankte sich Erdogan öffentlich bei Gülen, wo er sagte: "Vielen Dank an die andere Seite des Ozeans." 2012 appellierte er im Fernsehen an Gülen, indem er sagte: "Lass diese Sehnsucht zu Ende kommen" – eine Einladung an Gülen, in die Türkei zurückzukehren. Sein Team schrieb bereits ein Jahr davor auf seiner offiziellen Webseite: "Er kommt nicht mehr zurück, weil er kein Anlass zu einer politischen Diskussion in der Türkei werden möchte."

Von Freund zum Feind

Allerdings wurde er in der Türkei durchaus zum Anlass von Diskussionen. Die vielen Risse zwischen Erdogan und Gülen, die ab dem Jahr 2012 aus unbekannten Gründen zustandekamen, führten bald zu einem institutionalisierten Krieg zwischen den beiden Lagern. Am 17. Dezember 2013 wurden viele AKP-Politiker wegen Korruptionsvorwürfen festgenommen, was den Gülen-nahen Bürokraten zugeschrieben wurde. Tage später am 25. Dezember wurde gegen Erdogans Sohn Bilal Erdogan ermittelt. Erdogans AKP nannte Gülens Bewegung ab diesem Zeitpunkt "parallele staatliche Struktur", die im Staat illegalerweise zu stark sei.

Putschisten sitzen während des Putschversuches in der Türkei am 16.7.2016 auf einem Panzer
Gülen wurde für den Putschversuch am 15. Juli 2016 verantwortlich gemachtBild: Reuters/T. Berkin

Ein Juliabend im Jahr 2016 wurde zur Spitze der Krise: Für den Putschversuch am 15. Juli 2016 wird Gülen verantwortlich gemacht - ein Vorwurf, den seine Bewegung wiederholt ablehnt. Der Regierung zufolge sollen seine Anhänger in den Streitkräften den Putsch geplant haben. Seit 2016 fordert Ankara von den USA mehrmals die Auslieferung Gülens - ohne Erfolg. Bis zu seinem Tod gab es einen Haftbefehl für ihn in der Türkei. Er wird beschuldigt "eine terroristische Organisation" anzuführen. Die türkische Regierung bezeichnet die Gülen-Bewegung heute als "FETÖ", zu Türkisch "die Fethullahistische Terrororganisation"

Gülen hinterlässt eine weltweit aktive, starke Bewegung, die nicht nach ihm benannt wurde, aber auf seinen Ideen basierte. Wer nun dort das Steuer übernimmt, wird viel zu managen haben. Beobachtern zufolge findet in der Bewegung momentan ein interner Machtkampf statt zwischen zwei hochrangigen Gülen-Anhängern aus seinem innerem Kreis. Die herrschende Meinung ist, dass Gülen sehr schwer zu ersetzen sein wird und dass der Machtkampf die Bewegung spalten könnte.

DW Mitarbeiter l Burak Ünveren, DW-Journalist
Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.