Ferrari wegen Motor-Schummelei am Pranger
5. März 2020Es war nur eine kurze Erklärung von gerade einmal 146 Worten, doch auch in knappen Texten kann man vernichtende Kritik üben. "Wir sind überrascht und schockiert", heißt es in einer schriftlichen Erklärung von sieben Formel-1-Rennställen an den Motorsport-Weltverband FIA. Angeführt von Branchenführer und Serienweltmeister Mercedes beschweren sich die Teams vehement über eine verdächtig wirkende Abmachung zwischen FIA und der Scuderia Ferrari, die vergangenen Freitag vom Weltverband öffentlich gemacht wurde.
Es geht dabei um das Ergebnis einer FIA-Untersuchung zur Power Unit der Scuderia. Weil die "Roten" in der vergangenen Saison auf den Geraden verdächtig schnell waren, hatten mehrere Konkurrenten den Verdacht geäußert, dass beim Ferrari-Motor mehr Benzin verbrannt werde als erlaubt und das Aggregat somit eine höhere Leistung erziele. Nach dem Rennen in Brasilien im vergangenen November hatten die technischen Kommissare Benzinsysteme aus den beiden Ferrari ausgebaut und konfisziert. Nun ist die Untersuchung abgeschlossen - das Resultat wird allerdings weitgehend unter Verschluss gehalten. Die Funktionsweise des 2019 verdächtig starken Ferrari-Antriebs sei analysiert worden und anschließend habe man "eine Einigung mit dem Team erzielt", hieß es von Seiten der FIA lediglich. Über Details zu diesem Deal wurde Stillschweigen vereinbart.
Rechtliche Schritte
Weil dieser Deal in den Augen der geprellten Konkurrenten zum Himmel stinkt, ist der Ärger nun vor allem bei den Teams groß, denen durch die schnellen Ferrari bessere Platzierungen durch die Lappen gegangen sind - folglich mehr WM-Punkte und damit Millionenprämien. "Nach monatelangen Ermittlungen, die die FIA nur aufgrund von Fragen anderer Teams durchgeführt hat, lehnen wir es entschieden ab, dass die FIA eine vertrauliche Vereinbarung mit Ferrari zum Abschluss dieser Angelegenheit trifft", heißt es daher in der gemeinsamen Mitteilung. Zudem behalten sich die Konkurrenten "rechtliche Schritte vor".
Wie ungerecht behandelt sich die klagenden Teams fühlen, zeigt sich auch daran, wie groß die Anti-Ferrari-Allianz ist. Die einzigen beiden Rennställe außer Ferrari, die das Protestschreiben nicht mit unterzeichnet haben, sind die Ferrari-Kunden Alfa Romeo und Haas, die von den Italienern mit Motoren beliefert werden. Dass sieben von zehn Rennställe sich vereinen, ist ungewöhnlich im "Haifischbecken" Formel 1, in dem jeder - wie der Fall Ferrari nur zu gut beweist - seinen eigenen Vorteil sucht. Das gilt für die Rennställe genauso wie für die Fahrer.
Toto Wolff: "Eine Riesensauerei"
"Wenn sie wirklich betrogen haben, wären 10 oder 20 Millionen viel zu billig", zitierte das Automagazin "auto, motor und sport" auf seiner Online-Seite Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko. "Das Verhalten der FIA ist der eigentliche Skandal", wird Marko auf der Internetseite von "LaOla-TV" zitiert. "Wir müssten Christian Horner [Teamchef von Red Bull Racing - Anm. d. Red.] anweisen, auf 24 Mill. Dollar Preisgelder zu klagen, die uns für Platz zwei in der Konstrukteurswertung zugestanden wären, hätte man Ferrari entsprechend bestraft. Es ist eigentlich unglaublich, was da von einem 'Settlement' geschrieben wird."
Auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff war außer sich: "Die ganze Sache ist eine Riesensauerei", sagte er. "Es ist nicht in Ordnung, was Ferrari machte, aber noch weniger, wie die FIA das behandelt."
Über Konsequenzen und Sanktionen wird nun spekuliert. Ferrari könnte im Nachhinein WM-Punkte verlieren und damit auch den zweiten Platz im Team-Klassement der Vorsaison, das die Verteilung der Prämien an die Rennställe festlegt. Spruchreif ist aber noch nichts. Nur eine "Sanktion" gab es bereits: Teil des Deals mit der FIA ist, dass Ferrari den Weltverband finanziell dabei unterstützen soll, CO2-Emissionen zu erforschen und umweltfreundliche Kraftstoffe zu entwickeln. Eine Art verdeckte Geldstrafe? Schließlich sind das keine ganz billigen Vorhaben. Zumindest handelt es sich um eine "Bestrafung", die den vermeintlich Geschädigten nicht ausreicht.
Eine internationale Sportbehörde habe die Verantwortung, mit den höchsten Ansprüchen an Führung, Integrität und Transparenz zu handeln, hieß es in dem Statement der sieben Teams, auf das die FIA zunächst nicht reagierte. Es sei nötig, die Ergebnisse der Untersuchung offenzulegen. "Wir tun das im Interesse der Fans, der Teilnehmer und der Besitzer der Formel 1", wird betont.
Schlimmer als Corona?
Bis vor ein paar Tagen schien noch das Coronavirus das größte Problem der Formel 1 zu sein. Das erste Rennen findet am 15. März in Melbourne statt, die nächsten beiden Grands Prix in Bahrain (22.3.) und Vietnam (5.4.). Wegen Reise- und Quarantänebestimmungen herrscht derzeit viel Unsicherheit im Formel-1-Tross. Das vierte Rennen, der Große Preis von China, der Mitte April in Schanghai stattfinden sollte, ist bereits abgesagt.
Doch nun bestimmt der "Motoren-Krieg" das Geschehen. Und sollte sich bei einer Veröffentlichung der Ergebnisse bestätigen, dass Ferrari tatsächlich betrogen und die FIA einen Regelverstoß nicht geahndet hat, dürfte er auch so schnell nicht beizulegen sein.
asz/og (dpa, SID)