"Wir beten für Michael Brown"
9. August 2015"Wenn ich ermordet worden wäre, würde ich wollen, dass die Leute mich nicht vergessen. Deswegen sind wir hier", sagt René, der der an diesem Tag Anzug und Krawatte trägt. Der junge Afro-Amerikaner, der seinen vollständigen Namen nicht nennen möchte, ist zum Gedenken an Michael Brown in den Canfield Drive gekommen, genau dorthin, wo der Polizist Darren Wilson vor genau einem Jahr den schwarzen Teenager erschossen hat.
Schweigemarsch zum Gedenken
Heute erinnert daran eine kleine Gedenktafel, die in den Bürgersteig eingelassen wurde. An diesem Gedenkwochenende ist der Ort zu einer Pilgerstätte geworden. René hat seine Tochter Zoe und seinen Sohn Max mitgebracht hat. "Ich möchte, dass meine Kinder dieses Mitempfinden lernen", sagt er."Wir beten für Michael Brown und erinnern uns an ihn."
Von hier aus setzt sich an diesem trüben Sonntagvormittag auch der Schweigemarsch in Bewegung, angeführt von Michael Browns Vater und seiner Familie. Er trauere nach einem Jahr immer noch sehr, sagt Michael Brown Sr. den Journalisten. In Ferguson habe sich noch nicht viel geändert. Das Vermächtnis seine Sohnes sieht er darin, eine größere Sensibilität für das Verhalten der Polizei erzeugt zu haben.
Der Gedenkmarsch ist eine von vielen Veranstaltungen an diesem Wochenende, darunter Gottesdienste, Konzerte und Diskussionsveranstaltungen. Doch die Angst davor, dass es wieder zu Gewaltexzessen kommt, ist immer noch allgegenwärtig. Damals vor einem Jahr lieferten sich Polizei und Randalierer eine Woche lange Straßenschlachten. Ein Dutzend Häuser brannte damals nieder. Noch heute erinnern Baulücken daran.
Kein Vertrauen in Polizei
Wer die South Florissant Straße entlangfährt, der sieht Gebäude, die heute noch notdürftig mit Holzverschlägen gesichert werden. Doch die Spuren der Auseinandersetzung sind nicht nur äußerlich, sondern haben sich in das Bewusstsein der Menschen eingegraben. Zwei Drittel der 21.000 Einwohner Fergusons sind Schwarze. Die Stadt ist tief gespalten, tiefer noch als vor den Unruhen, sagen hier einige.
Einer von ihnen ist Jim, der aus seiner Wut und Frustration kein Hehl macht. Trotz eines neuen, erstmals schwarzen Polizeichefs in Ferguson bleiben für ihn die Ordnungshüter der Stein des Anstoßes. Die Polizei würde immer noch mit Gewalt gegen Schwarze vorgehen und sie töten, schreit es aus dem jungen Mann heraus. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Black Lives Matter", einer Kampagne, die nach den Unruhen in Ferguson förmlich zu einer Bürgerrechtsbewegung herangewachen ist.
"Die Polizei ist immer noch gewalttätig", pflichten ihm Zach und sein Kumpel bei. In Ferguson und auch in anderen Städten der USA würden Schwarze weiterhin durch Polizeikugeln sterben, sagt er und verurteilt das Verhalten der Polizei als "weißen Rassimus". René, der inzwischen seine kleine Tochter im Arm hält, sieht aber auch positive Entwicklungen. "Die Polizeiarbeit wird jetzt sehr genau beobachtet. Nicht nur durch die Bürger hier, sondern durch die Polizei selber", sagt er. Die Polizisten wüssten jetzt ganz genau, dass sie beobachtet werden und würden sich entsprechend vorsichtig verhalten.
Eine Polizistin bestätigt dies wenig später. "Ich verhalte mich jetzt anders", sagt sie. "Ich glaube, ich bin geduldiger geworden, ich nehme mir mehr Zeit. Ich höre mehr zu. Und ich schreibe auch weniger Knöllchen als früher", sagt sie und spielt damit auf den vernichtenden Bericht des US-Justizministeriums an, der Richtern und Polizei in Ferguson vorgehalten hatte, dass sie die Kassen der Stadt durch skrupellose Verhängung von Geldstrafen für Bagatellvergehen auffüllen würden.
Polizei "nutzt die Chancen"
Dass die Polizei umdenke, unterstreicht auch Ella M. Jones, die seit April diesen Jahres als erste schwarze Stadträtin in der Bürgervertretung von Ferguson sitzt. "Die Polizei hat sich auf eine positive Art und Weise geändert", konstatiert sie. "Samstags stehen sie am Farmers-Markt und die Kinder können die Hunde streicheln". Sie werde immer mehr eine "Nachbarschaftspolizei" und könne sogar zu einem "Modell für die gesamten Vereinigten Staaten" werden, ist sich die Stadträtin sicher.
"Wir sind wie unter einem Mikroskop. Jeder schaut hin. Wir haben eine große Chance und wir nutzen sie." An diesem Wochenende sieht man kaum Polizei. Die wenigen Polizisten, die auf der Strasse sind, haben ihre Kampfausrüstung gegen Jeans und Polo-Shirt eingetauscht. Vor dem Polizeiquartier, das durch Blockaden gesichert ist, harrten in der Nacht zum Sonntag einige Dutzend Demonstranten aus. Doch die Polizei ließ sich nicht provozieren und es blieb friedlich.
Einkaufen aus Solidarität
Dennoch bleiben bei vielen die Vorbehalte gegenüber der Polizei bestehen. Und das trotz aller Reform-Rhetorik weiterhin nur fünf der fünfzig Polizisten in Ferguson Schwarze sind, rufen die Kritiker immer wieder in Erinnerung. Der 31-jährige Nathan versucht eine Brücke über die tiefe Kluft des Misstrauens und der gegenseitigen Anschuldigungen zu schlagen: "Ich ehre und respektiere Michael Brown genauso wie einen Polizisten", sagt Nathan, der sich für eine christliche Kirche engagiert. Auch zwischen Asiaten, Afrikanern oder anderen Ethnien solle man keinen Unterschied machen.
Destin ist an diesem Tag aus dem benachbarten St. Louis gekommen. Der junge Weiße will seine Solidarität mit Fergusons schwarzer Gemeinde zeigen. Er erzählt von vielen Einzelaktionen, mit denen Menschen einander helfen und sich gegenseitig unterstützen. Er selber zum Beispiel kauft immer wieder in Ferguson ein, um die Geschäftsleute dort zu unterstützen.
"Ferguson ist gut"
Bridgett Lewis zählt zu den mutigen Geschäftsleuten, die nach den Unruhen nicht abgewandert sind. Sie hat ein neues Restaurant aufgemacht. "Drakes Place" ist ein Erfolg. Eine Großfamilie feiert Geburtstag. Die Tische sind besetzt. Bridgett lobt ihre loyalen Kunden, die ihr beim Start geholfen haben. Sie ist ein bisschen "ängstlich", dass es im Verlauf des Tages doch noch zu Gewalt kommen könnte und ihr neues Restaurant Schaden nimmt. Doch sie hat gebetet und ihr Optimismus scheint unerschütterlich. So wie der ihrer Schwägerin Emma Hopkins, die sich in Drakes Place gerade eine üppige Fleischplatte servieren lässt. "Ferguson war vor den Unruhen schon gut, und es ist das auch danach", sagt sie. "Und ich habe keineswegs vor, hier wegzuziehen."