Feministin Paglia: "Merkel ein Vorbild für Frauen"
6. Juni 2017Seit ihrem ersten Buch "Sexual Personae" von 1990 zeigt sich Camille Paglia streitfreudig, ihre Thesen werden kontrovers diskutiert. Der Bestseller brachte ihr die Reputation einer "anti-feministischen Feministin" ein und verleitete die Frauenrechtlerin Gloria Steinem zu der Einschätzung: "Wenn sie sich selbst als Feministin bezeichnet, ist es so, als ob ein Nazi sagen würde, er sei kein Antisemit."
In ihrem aktuellen, nunmehr siebten Buch "Free Women, Free Men" (2017) argumentiert Paglia, der moderne Feminismus würde Frauen bevormunden, überbehüten und sie daran hindern, Verantwortung für ihr Sexleben zu übernehmen. Der Titel ist genauso direkt, radikal und denkanstoßend wie ihre früheren Publikationen.
Mit der DW sprach Camille Paglia, Professorin an der University of Arts in Philadelphia, über drei politische Akteure, die derzeit im Mittelpunkt der Debatten stehen: Hillary Clinton, Donald Trump und Angela Merkel.
DW: In einem Ihrer Essays für das "Time"-Magazin haben Sie Angela Merkel als das "beste Vorbild für aufstrebende Politikerinnen" bezeichnet. Wie kommen Sie dazu?
Camille Paglia: An Angela Merkel schätze ich ihre Fähigkeit, ihre Führungsentscheidungen souverän zu handhaben während sie gleichzeitig natürlich und spontan bleibt, eine echte Person mit einem reichhaltigen Privatleben. Sie gärtnert, kocht, mag sowohl Sport als auch die Oper.
Der Kontrast zu Hillary Clinton ist gewaltig. Hillary verhält sich wie eine grüblerische Marie Antoinette, verbarrikadiert hinter ihrem Reichtum und den Wachmännern. Sie hat offensichtlich keine Hobbies und nur wenige Interessen jenseits ihres Gewinn- und Machtstrebens. Jeder ihrer Auftritte ist peinlichst genau vorbereitet, sie ist unfähig zu improvisieren. Deswegen gab es im Wahlkampf im Prinzip auch keine wirkliche Pressekonferenz. Alles was sie sagt, wird vorher ausgiebig recherchiert und von einer Armee von Kriechern in Umfragen getestet.
Im Gegenzug dazu gefällt es mir sehr, wie Angela Merkel kein Problem damit hat, genauso alt auszusehen, wie sie nun mal ist. Sie ist entspannt, fühlt sich wohl in ihrer eigenen Haut ohne all diese extravagante Kosmetik, aufwendigen Frisuren und teure Designer-Kleidung. Ich sehe Merkel nicht nur als wichtiges Vorbild für Politikerinnen, sondern generell für reife Frauen weltweit.
Dabei ist mir wichtig zu betonen, dass es mir hierbei nicht um die Bewertung von Angela Merkels Politik geht, wo es sicherlich auch Kritikpunkte gibt, wie beispielsweise in Fragen zur Immigration. Nichtsdestotrotz steht Merkel für mich stellvertretend für eine moderne Politikerin: unbeugsam und kämpferisch in Konflikten, mit gleichzeitiger Wärme, Humor und Entspanntheit hinsichtlich des normalen Alltagslebens.
Trotz des derzeitigen gesellschaftlichen Klimas hat Hillary Clinton die US-Wahlen verloren. Wieso ist es ihr nicht gelungen, mehr Wählerinnen für sich zu gewinnen?
Hillary Clinton hatte viele Unterstützerinnen, die die erste Präsidentin in der Geschichte der USA wählen wollten. Gleichzeitig war sie aber auch eine grauenhafte Kandidatin mit einer mangelhaften Erfahrung als öffentliche Person. Obwohl ich sie in den frühen Neunzigern bewunderte, als ich auch zwei Mal für ihren Mann Bill Clinton stimmte, merkte ich nun, dass Hillary viele Schwächen hat.
Hillarys behaupteter Feminismus ist ein Trugbild. Ihre ganze Prominenz baut darauf auf, dass sie im Schatten eines Mannes steht - ihrem Ehemann, einem sehr charmanten und talentierten Politiker. Sogar ihren früheren Job in einer renommierten Anwaltskanzlei in Arkansas verdankte sie ihrer Ehe mit Bill, der damals Gouverneur des Bundesstaates war.
Obwohl sie immer angibt, Frauen und Kinder unterstützen zu wollen, hat sie bislang in keinem ihrer Ämter ein derartiges Programm verantwortet. Als Senatorin hat Hillary nichts hingekriegt und auch als Außenministerin nicht wirklich - außer Bengasi zu verpfuschen, Libyen zu destabilisieren und damit die nordafrikanische Flüchtlingskrise zu verschlimmern. Die korrupte Einflussnahme bei den Demokraten brachte Senator Bernie Sanders um eine Nominierung für die Präsidentschaftswahl, den ich unterstützt und bei den Vorwahlen gewählt hatte.
Obwohl Sie Mitglied der Demokraten sind, haben Sie für Jill Stein und die Grünen gestimmt. Was denken Sie über Trump?
Ich habe eine sehr negative Meinung von Donald Trump, schon seit Jahrzehnten. Für mich ist er ein Kunstvandale, seit er 1980 das Art Deco-Relief des früheren Bonwit Teller-Departmentstores auf der Fifth Avenue, die sogar das Metropolitan Museum of Art angefragt hatte, zerstörte. Das Gebäude von 1929 musste damals für den Trump Tower Platz machen, Trump hatte es eilig und zerstörte es kurzerhand.
Als Trump seine Mission zur Präsidentschaftskandidatur startete, hielt ich ihn für einen Marktschreier, völlig unvorbereitet für die US-amerikanische Politik. Im August 2015 sah ich mich erstmals gezwungen, ihn ernst zu nehmen, als ich das schlagkräftige und urkomische Video von Diamond und Silk im Netz sah, zweier afro-amerikanischer Schwestern aus North Carolina, die ein Plädoyer für Trump hielten. Plötzlich erkannte ich Trumps Populismus mit kristallener Klarheit. Das war auch der Moment, in dem ich die Verschiebung hin zu Trump in den USA bemerkte.
Sie haben bereits mehrmals gesagt, Trump werde die Wahlen im Jahr 2020 gewinnen. Wie kommen Sie darauf?
Doch sowohl die Demokraten als auch die Medien ignorieren, unterschätzen und fehlinterpretieren die aktuellen Probleme im Land wie Jobs, Immigration und Terrorismus - Themen, die Trump letztlich zum Sieg verholfen haben. Stattdessen fokussieren sie sich fanatisch auf Trump - keine gute Strategie, um ins Weiße Haus einzuziehen. Natürlich ist es auch gut möglich, dass Trump einen kapitalen Fehler machen wird, der zu einer Amtsenthebung führen könnte. Doch im Moment sind die Demokraten eher damit beschäftigt, sich selbst zu sabotieren.
Nach der überraschenden Niederlage ist es dringend an der Zeit, dass die Demokraten und die Massenmedien selbstkritisch prüfen, was denn nun genau bei den Präsidentschaftswahlen schief gegangen ist. Wie konnten sie den Kontakt zum Rest der Nation derart verlieren? Wenn die Demokraten 2020 gewinnen wollen, müssen sie dringend daran und an ihrer Strategie arbeiten.
Sie beschreiben sich als Feministin - sind aber gleichzeitig eine der kritischsten Stimmen der Bewegung. Warum?
Ich stehe für Chancengerechtigkeit und die Beseitigung von jeglichen politischen und beruflichen Barrieren für Frauen. Allerdings bin ich gegen die Quote. Vor dem Recht sollen alle gleich sein. In meinen Augen führen jegliche Schutzvorkehrungen zu einer Infantilisierung von Frauen.