1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Wir müssen CO2 aus der Atmosphäre entfernen"

Gero Rueter10. April 2014

Hans-Josef Fell kämpft seit Jahrzehnten für die Erneuerbaren und sieht schon globale Erfolge. Dennoch: Im Wettlauf gegen den Klimawandel fordert er eine Politik "ohne Kompromisse".

https://p.dw.com/p/1BcCT
Hans-Josef Fell, MDEP Energieexperte der Grünen (Foto: WWEA/ Andreas Birresborn).
Bild: WWEA / Birresborn

Deutsche Welle: Herr Fell, als grüner Politiker entwickelten Sie das Gesetz zur Förderung der Erneuerbaren Energien (EEG). Dies hat die Energiewende in Deutschland ermöglicht und wurde von über 60 Staaten weltweit kopiert. Jetzt sind sie Botschafter der globalen Kampagne "100 % Erneuerbaren Energien", werben weltweit für den Umstieg. Wie kommt ihre Botschaft an?

Hans-Josef Fell: Die Botschaft kommt sehr gut an. Erneuerbare Energien sind nicht nur gut für den Klimaschutz, mit ihnen wird man auch unabhängiger von den Preissteigerungen der konventionellen Energien.

Sie sagen, 100 Prozent Erneuerbare Energien sind weltweit möglich. Wie schnell?

Es gibt eine große Studie von der Universität in Stanford. Die haben dargestellt, dass in 20 Jahren die ganze Weltenergieversorgung auf 100% Erneuerbare Energien umgestellt werden kann. Die Energieversorgung im Bereich Strom, Wärme, Transport und Industrie wäre zu 100 Prozent technologisch machbar.

Welche Sektoren müssen umgebaut werden?

80 Prozent der globalen Emissionen hängen mit der Nutzung von Erdöl, Gas und Kohle zusammen. Neben der Umstellung auf 100% Erneuerbare Energien muss auch die Umstellung bei der Chemie und Landwirtschaft erfolgen. Wir müssen eigentlich jede CO2-Emission ächten, dann kann etwas Dynamisches entstehen.

Wie dynamisch etwas sein kann, zeigt die Geschwindigkeit des Ausbaus in China. Dort wurden 2012 etwa 2 Gigawatt Solarkraft installiert, 2013 siebenmal mehr, fast 14 Gigawatt. Ein zweites Beispiel für schnelle technologische Entwicklungen ist die weltweite Verbreitung von Computer und Handys: Vor 20 Jahren hätte dies niemand für möglich gehalten. Technologische Entwicklungen können in hoher Geschwindigkeit kommen, wenn Menschen und vor allem Regierenden das unterstützen.

Wie teuer wird so ein Energieumbau sein?

Die Studie von Standfort hat das berechnet: Hundert Billionen Dollar kostet die Umstellung auf Erneuerbare Energien, die Investitionen in Windräder, Solaranlagen, in Elektroautos und vieles mehr. Aber wenn wir nicht umstellen, kostet der Brennstoffkauf in den zwanzig Jahren doppelt so viel.

Gibt es denn schon eine Strategie für den Umbau?

Einzelne Dörfer haben schon die Umstellung auf 100 Prozent Erneuerbare Energien geschafft. Meistens wurde der Umbau genossenschaftlich organisiert. Das fördert den Zusammenhalt, schafft neue Arbeitsplätze, neue Einkommen und die Menschen haben keine Ängste mehr vor steigenden Erdöl- und Erdgaspreisen.

Allerdings geht der Umbau nicht nur mit diesen dezentralen Modellen. Für eine schnelle Umstellung und die Versorgung von Millionenstädten brauchen wir auch zentrale Strukturen. Beispielsweise wäre eine effiziente Stromtrasse für große Strommengen von der sonnenreichen zentralasiatischen Wüste Gobi bis nach Australien zur Versorgung von Megastädten sinnvoll. Daran sind dann große Wind- oder Solarparks angeschlossen und Eigenerzeuger.

In Ihrem Buch "Globale Abkühlung" schlagen Sie vor, das CO2 wieder aus der Atmosphäre zu holen. Wie soll das gehen?

Es gibt einige Ideen. Eine Methode halte ich für machbar und schnell umsetzbar: Pflanzen sind der natürliche Kohlenstofffilter, beim Wachsen holen sie CO2 aus der Atmosphäre. Dieser eingefangene Kohlenstoff müsste durch ein Pflanzenmanagement so bearbeitet werden, dass er nicht mehr in die Atmosphäre entlassen wird und die Pflanzenstoffe dann in den oberen Bodenschichten deponiert werden. Der Boden wird somit kohlenstoffreicher und fruchtbarer. In natürlichen Prozessen gelingt das: Pflanzenreststoffe werden zu Humus und auch die Wiederaufforstungen bindet CO2.

Diese natürlichen Prozesse sind sehr wichtig, aber zu langsam. Es würde Jahrhunderte dauern, bis wir die notwendigen Mengen aus der Atmosphäre geholt haben. Wir brauchen deshalb eine technologische Beschleunigung wie die hydrothermale Karbonisierung. Aus Pflanzen und Bioabfällen lässt sich unter Druck Biokohle herstellen. Die Biokohle lässt sich in die Böden einarbeiten und Böden können so hoch fruchtbar werden. Wüsten kann man damit wiederbegrünen und erodierte Flächen renaturieren.

1960 lag die Konzentration in unserer Atomsphäre noch bei 330 ppm CO2. Inzwischen sind rund 200 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre gepustet worden. Wäre es möglich, mit dieser Methode diese 200 Gigatonnen C02 aus der Atmosphäre wieder zu entfernen?

Das wäre möglich. Wir haben das grob durchgerechnet. Man bräuchte allerdings etwa acht Millionen hydrothermische Karbonisierungsanlagen im größeren industriellen Stil. Dann könnten wir in dreißig Jahren große Mengen an Kohlenstoff aus der Atmosphäre herausholen und sicher in oberen Bodenschichten deponieren.

Wie soll die Kohlenstoffreduktion finanziert werden?

Es müssten erst mal die Anfangshürden überwunden werden, um diesen Biokohlenstoffmarkt aufzubauen. Die Biokohle wäre ja vielfältig einsetzbar: Sie kann in die Böden eingebracht werden, um höhere landwirtschaftliche Erträge schaffen. Sie kann aber auch CO2-neutral als Brennstoff in Kraftwerken oder Stahlwerken eingesetzt werden, und ein wichtiger Grundstoff für die Chemie werden.

Sie kennen die Trends in der Energiewirtschaft und Politik. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?

Ich sehe sie zwar nicht mehr in der EU, aber weltweit auf einem sehr, sehr guten Weg. China spielt schon eine führende Rolle, Brasilien macht sehr starke Anstrengungen, Südafrika beginnt. Gerade in diesen Schwellenländern und auch in den USA und Indien gibt es eine Entwicklung.

Es läuft im Trend weltweit alles auf Erneuerbare Energien hinaus. Die Frage ist nur: Wird es schnell genug sein, um die enorme Dynamik des Klimawandels noch abfangen zu können. Und da kommt die Politik ins Spiel. Sie muss aktiv - ohne Kompromisse - die Umstellung auf Erneuerbare Energien unterstützen, damit der Wettlauf gegen die Erderwärmung noch gewonnen werden kann.

Das Interview führte Gero Rueter.

Hans Josef Fell ist Politiker von Bündnis 90/Die Grünen und war von 1998 bis 2013 Mitglied des deutschen Bundestages. Fell gilt als Vater vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Im Sommer 2013 erschien sein Buch "Globale Abkühlung - Strategien gegen die Klimaschutzblockade". Der Klima- und Energieexperte ist heute Botschafter der weltweiten Kampagne und Präsident der Energy-Watch-Group.