"Poetisches Prosawunder"
5. Dezember 2012"Hoppe" ein kurzer Titel, ein einmaliges Buch: Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe hat gegen die Schwemme unverlangter Veröffentlichungen von Lebensgeschichten ein literarisches Zeichen gesetzt und eine "fiktive Autobiografie" geschrieben. Ein Buch, das für Aufsehen gesorgt hat. Und ganz unbescheiden nennt die Schriftstellerin sich selbst ein "Ausnahmetalent". So viel Selbstbewusstsein wird belohnt, ihre Bücher verkaufen sich gut und jetzt hat sie die höchste Ehrung durch die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung erhalten: Den Büchner-Preis. Damit steht sie in einer Reihe mit Günther Grass, Wilhelm Genazino, Elfriede Jelinek und anderen bedeutenden Figuren der zeitgenössischen deutschen Literatur.
1996 erschien ihr erster Roman, und schnell wurde Felicitas Hoppe zu einer der wichtigsten deutschen Schriftstellerinnen ihrer Generation, ausgezeichnet mit vielen Literaturpreisen und Stipendien. Ihre Bücher sind in mehr als zehn Sprachen übersetzt.
Leichtfüßig, komisch und ein bisschen schräg
Felicitas Hoppe habe in ihren Romanen, Erzählungen und Essays "die Welt der Abenteurer und der Hochstapler, der Entdecker und der Taugenichts erkundet" begründete die Jury die Entscheidung. "In einer Zeit, in der das Reden in eigener Sache die Literatur immer mehr dominiert, umkreist Felicitas Hoppes sensibel und bei allem Sinn für Komik das Geheimnis der Identität".
Ihr Werk in wenigen Worten zusammen zu fassen, ist schwierig: Das Reisebuch "Pigafetta" (1999) beschreibt eine Weltumrundung im Containerfrachter, voller Träume und Absurditäten. Die moderne Legende von der heiligen "Johanna" (2006) ist eine seltsam anmutende, aber leichtfüßige Neuinterpretation der Geschichte der heiligen Johanna von Orleans, in der sich Raum und Zeit vermischen, von Literaturkritikern in den Himmel gelobt mit Worten wie: Felicitas Hoppe ist ein "poetisches Prosawunder" (Deutschlandfunk). Was Felitias Hoppe schreibe, so die Büchner-Preis-Jury, "unterlaufe virtuos die Grenzen von Wahrheit und Fiktion, Selbsterkenntnis und Rollenspiel".
Wer ist diese erstaunliche Frau?
Ortswechsel - mitten ins quirlige Berlin: Baustellen, Verkehrslärm, elegante Anzugträger, die eilig über den Bürgersteig huschen. Berlin-Mitte ist wahrlich kein Ort der Ruhe. Hier wird Politik gemacht, Geld verdient. Hier gibt die knallharte Realität den Takt an. Aber irgendwo zwischen Reichstag und Hauptbahnhof, in einem unscheinbaren Altbau, regiert die Fantasie.
In diesem Haus schrieb einst Erich Kästner seinen Kinderbuchklassiker “Emil und die Detektive“. Und hier lebt Felicitas Hoppe heute. Eine zierliche Frau mit raspelkurzem Haar. Eine kindliche Neugier strahlt aus den Augen der 51-Jährigen.
Laut Wikipedia ist sie 1960 in Hameln/Westfalen geboren, als drittes von fünf Kindern. Sie studierte unter anderem Russisch und Italienisch, arbeitete als Deutschlehrerin am Goethe-Institut und lehrte Poetik an amerikanischen Unis. Soweit die Fakten. Die viel spannendere Geschichte zu ihrem Leben hat die Autorin nun selbst geliefert. Mit ihrer fiktiven Biografie “Hoppe“. “Was wäre gewesen, wenn…das kennt doch jeder“, sagt sie mit einer glasklaren Stimme. “Ich wollte über diese Träume schreiben. Darüber, was ich gerne geworden wäre."
Eine Abenteurerin ist sie, die durch eine Wunderwelt zieht. So als gäbe es keine Grenzen und als sei nichts unmöglich. “In diesem Buch sind alle Fakten geändert und trotzdem ist die Geschichte viel authentischer als jede Autobiografie, die ich hätte schreiben können“, gesteht Felicitas Hoppe.
Spiel mit Perspektiven
Ein Einzelkind zum Beispiel, das fließend Polnisch spricht und eine begnadete Eishockeyspielerin ist. Die “Hoppe“ im Roman wächst in Kanada auf, erfindet fast nebenbei den leuchtenden Dirigentenstab und wird später zu einer gefeierten Musikerin in Australien. Immer auf ihrem Rücken: ein riesiger Rucksack voller Geschichten. So prall gepackt, dass sie oft hinten über zu fallen droht. Sie verzahnt ihre eigenen Erlebnisse mit einer großen Portion Fantasie. So zitiert sie auch echte Kritiker, die ihre Bücher verrissen haben, lässt fiktive Schulfreunde zu Wort kommen und analysiert in der dritten Person ihre eigenen Bücher.
Einige mögen das eitel nennen. Oder ihre Bücher als Pirouetten um die eigene Literatur kritisieren. Doch tatsächlich verbirgt sich hinter dem Werk von Felicitas Hoppe eine riesige literarische Spielwiese. Mithilfe von Worten schrieb sich die Schriftstellerin schon als Kind aus der Enge der Provinz heraus.
Pinocchio als Lieblingsfigur
Fragt man Felicitas Hoppe nach ihrer Lieblingsfigur in der Literatur, schmunzelt sie und antwortet: Pinocchio. “Ich liebe dieses Buch, weil es nicht nur um einen großen Träumer geht, sondern auch um eine Schöpfungsgeschichte“, erklärt sie.
Ein Mann schnitzt aus Holz eine Puppe und plötzlich beginnt die Figur zu sprechen, bekommt ein Eigenleben. “Sie entzieht sich der Kontrolle ihres Schöpfers. Und das passiert im besten Falle auch beim Schreiben. Diese Unberechenbarkeit der Literatur finde ich großartig.“
Genau dieser Wagemut durchzieht die Texte von Felicitas Hoppe. Es ist keine Literatur, die den Leser auf sichere Pfade führt, die Richtung vorgibt. Vielmehr verirrt man sich auf wunderbare Weise zwischen ihren Sätzen, entdeckt unverhofft phantastische Nischen. Ein Narr, wer sich da nicht auf dieses literarische Abenteuer einlässt.
Felicitas Hoppe: „Hoppe“. Roman. S. Fischer Verlag 2012. 330 Seiten. ISBN 978-3-10-032451-1. 19,90 Euro.