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Von Freiheit und "Drachenbrut"

Kay-Alexander Scholz7. November 2014

Die Gedenkstunde im Bundestag zum Mauerfall hat gezeigt, wie viel emotionaler und politischer Sprengstoff noch immer mit diesem Datum verbunden ist. Der Liedermacher Wolf Biermann legte sich mit den Linken an.

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Bundestag 25 Jahre Mauerfall 07.11.2014 Biermann
Bild: AFP/Getty Images/T. Schwarz

Nicht alle Plätze im Bundestag waren gefüllt. Von den Mitgliedern der Linksfraktion fehlte die Hälfte. Ein Grund für ihr Fernbleiben könnte Wolf Biermann gewesen sein. Der Liedermacher und eine Zentralfigur der DDR-Opposition war von Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) eingeladen worden, um in der Gedenkstunde im Bundestag ein Lied zu singen. Lammert tat dies, nachdem sich die Fraktionen auf keinen gemeinsamen Festredner einigen konnten, und er wusste, worauf er sich damit einließ.

Biermann erfüllte die Erwartungen an seine Person. Er teilte aus und bezeichnete die Mitglieder der Linksfraktion als "Reste der Drachenbrut", als "reaktionär und nicht links". Einige Gesichter der Linken erblassten und erstarrten - die Härte seiner Worte kam dann doch überraschend. Es ergab sich ein kurzer Disput, doch Biermann entgegnete, "es ist Strafe genug, dass ihr hier sitzen und das anhören müsst". Es folgte das "Lied der Ermutigung", das als Lied aus den Gefängnissen in der DDR berühmt wurde. "Du lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit …", sang Biermann mit seiner unverwechselbaren Stimme, die gleichzeitig nachdenklich und aufrührerisch macht. Am Ende bekam er sogar trotzigen Applaus von einigen Linkspolitikern.

Wolf Bierman und die Linkspartei werden wohl niemals Freunde werden (Foto: Reuters)
Wolf Bierman und die Linkspartei werden wohl niemals Freunde werdenBild: Reuters/F. Bensch

Nicht nur auf Deutschland blicken!

Zuvor hatte Lammert eine fast 20-minütige Rede gehalten. "Jubel, Jubel, Jubel … Wahnsinn", der Parlamentspräsident erinnerte noch einmal an die wohl meist gehörten Worte an das "Glück dieser Stunden" aus der Nacht des Mauerfalls. Mit diesem emotionalen Link hatte er sofort eine emotionale Stimmung im Bundestag erzeugt. Er nutze die Atmosphäre, um an die komplexen historischen Ereignisse zu erinnern. Der Mauerfall sei kein Wunder gewesen, sondern Folge einer friedlichen Revolution, von Bürgerrechtsbewegungen, die zu Volksbewegungen wurden.

Auch wenn der Mauerfall heute Symbol der Überwindung der Diktaturen in Ost- und Mitteleuropa sei, "gab es doch vielerorts Umbrüche, die einander bedingten, und erst dadurch, dass sie zusammen wirkten, die Welt tatsächlich veränderten". Lammert erinnerte an Michael Gorbatschow, an Bürgerrechtler in der damaligen Tschechoslowakei Anfang 1989, an den Runden Tisch und die ersten halbfreien Wahlen in Polen bereits im Juni 1989. Er erinnerte an die Öffnung der ungarischen Grenzen am 10. September, an die singende Revolution der baltischen Staaten. "Es tut uns gut, wenn wir den Höhepunkt der deutschen Geschichte würdigen und uns dabei ins Bewusstsein heben, dass es nicht nur in Deutschland mit bemerkenswerten Taten zu bemerkenswerten Veränderungen gekommen ist."

Norbert Lammert: Beim Mauerfall nicht nur auf Deutschland schauen (Foto: Reuters)
Norbert Lammert: Beim Mauerfall nicht nur auf Deutschland schauenBild: Reuters/F. Bensch

Erinnerungen der Abgeordneten

Dem Auftritt Biermann folgten zwei kurze Filme, die den Abgeordneten gezeigt wurden. Zum einen kamen darin noch einmal etwas vergessene Bürgerrechtler wie Freya Klier oder der Pfarrer der Berliner Gethsemanekirche zu Wort, die sich über ihre geglückte Revolution freuten, bei der kein Schuss fiel. Der andere Film zeigte Momente aus der Bundestagssitzung vom 9.11.1989 und welche denkwürdigen Reaktionen es damals auf die Nachricht über den Fall der Mauer gab, bis hin zum spontanen Singen der Nationalhymne.

Im jetzigen Bundestag gibt es noch elf Abgeordnete, die das damals miterleben durfte. Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, erinnerte sich dann an den "Schicksalstag der Deutschen". "Es war, als würde man in jedem Gesicht die Freiheit sehen." Hasselfeldt erinnerte aber auch daran, dass die Union im Kalten Krieg nie vom Kurs der Deutschen Einheit abkam, "auch als das im Westen unpopulär wurde und man sich mit einer Zweistaatenlösung arrangieren wollte". Das Erbe des 9. November bedeute auch "Verpflichtung und Auftrag, überall auf der Welt für die Werte einzutreten, für die ein ganzes Volk mutig gekämpft hat".

Nicht alle Träume erfüllt

Auch die ostdeutsche SPD-Politikerin Iris Gleicke, seit 1990 im Bundestag, verband in ihrer Rede hochemotionale Erinnerungen mit politischen Forderungen, die beim Gedenken an den Mauerfall noch heute mitschwingen. "Manche Träume haben sich nicht erfüllt, wie die Forderung 'Schwerter zu Pflugscharen' oder die nach dem gemeinsamen Haus Europa", sagte Gleicke. Dass sich die Folgen der 40-jährigen deutsch-deutschen Teilung in 25 Jahren überwinden ließen, sei "eine lächerliche Vorstellung". Aber man habe viel erreicht und "den Rest schaffen wir auch noch".

Doch wenn manche die Kosten der Einheit wie Erbsenzählen aufrechnen, dann sehne sie sich zurück an den 9.11.89, als sich die Deutschen in den Armen lagen. Als dann ihre Stimme wegbrach, halfen die Abgeordneten durch Applaus. Sie wünsche sich, dass "das Gedenken nicht zum Ritual erstarrt", sagte Gleicke noch.

Zerstörte Biografien

Doch diese Angst scheint unbegründet, zumindest, wenn man darauf schaut, wie emotional, tiefgründig und intellektuell im Bundestag an dieses Jubiläum erinnerte wurde. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckhardt, selber einst Bürgerrechtlerin, erinnerte noch einmal an die konkrete Diktatur-Erfahrung und an die zerstörten Biografien. Sie werde die zitternden Hände des 16-Jährigen nicht vergessen, den sie damals in einem sogenannten Jugendwerkhof traf. "Er habe doch nur einen Witz über die Mauer gemacht, sagte er damals", erinnerte sich Göring-Eckhardt.

Die Aufarbeitung müsse denen gelten, "die gelitten haben und bis heute leiden". Alltag und Willkür seien damals parallel gelaufen, da könne man sich noch so winden. "Es gab ein richtiges Leben im falschen Leben, aber daneben war es auch das grundfalsche Leben". Das sagte die Grünen-Politikerin vor allem an die Adresse der Linkspartei gerichtet. Denn die Grünen wollen zusammen mit der SPD und den Linken in Göring-Eckhardts Heimatland eine Regierungskoalition schmieden, unter Führung eines linken Ministerpräsidenten. Das bereitet vielen Bauchschmerzen und deshalb verlangen die Grünen, dass sich die Linken deutlich von dem Unrechtsstaat DDR distanzieren.

Der Wert der Freiheit?

Doch das tat auch Linken-Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi in dieser Gedenkstunde nicht. Die DDR sei eine Diktatur und damit kein Rechtsstaat gewesen, so Gysi. Er hielt dem Westen vor, "nicht aufgehört haben, zu siegen", und damit verpasste habe, auch das alte West-Deutschland zu verbessern durch Dinge aus der DDR. Viele ehemalige DDR-Bürger hätten nun zwar die Freiheit, "aber ohne soziale Sicherheit verliert sie an Bedeutung und wird zum Teil nicht nutzbar". Heute gebe es neue Mauern, nämlich zwischen arm und reich. Gysi versuchte also, das Bild, das Biermann gezeichnet hatte, wieder zu zerstören und nannte politische Aufgaben, die von der Linkspartei angenommen werden. Ein wirklicher Eklat blieb diese Gedenkstunde damit erspart, auch weil die Abgeordneten der Linkspartei zwar manchen Applaus verweigerten, aber immerhin im Saal blieben.

Auf die Bedeutung der Freiheit ging dann auch nochmal Arnold Vaatz von der CDU ein, der in der DDR als Oppositioneller im Gefängnis saß. Man habe ihm damals gesagt, dass die Häftlinge im Gefängnis alle wichtigen Dinge wie Essen und Schlafen hätten. "Aber ohne Freiheit sind diese Dinge nichts!", sagte Vaatz.

Eine Partei, die 1989 großen Anteil an der Wiedervereinigung hatte, die FDP, sitzt derzeit nicht im Bundestag. Deren Parteivorsitzender Christian Lindner meldete sich dennoch in einem Zeitungsinterview mahnend zu Wort: "Bürgerlich-liberale Tugenden wie Freiheit, Verantwortung und Risikobereitschaft, nach denen sich die Menschen 1989 gesehnt hätten, seien heute in der Defensive.