Fehlschlag in der EU-Flüchtlingspolitik
15. September 2015"Wenn wir das jetzt beschließen, ist das ein wichtiger Schritt, aber noch entfernt von dem, was wir erwarten an Solidarität in der Europäischen Union", lautete eine Zwischenbilanz des Innenministertreffens aus dem Munde von Thomas de Maizière am frühen Montagabend. Da hoffte er noch auf eine Grundsatzentscheidung zur Umverteilung von insgesamt 160.000 Flüchtlingen in der EU, wenn auch ohne Quotenregelung. Aber die Sitzung war noch lange nicht zu Ende. Nach weiteren Stunden wurde dann deutlich, dass die EU in der Flüchtlingsfrage so zerstritten ist, dass sie kaum einen nennenswerten Fortschritt erreichen würde.
Einen rechtlich bindenden Beschluss gab es bei dem Treffen lediglich zur Verteilung von 40.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland. Sie war bereits im Sommer auf freiwilliger Basis vereinbart worden. Für eine zweite Gruppe von weiteren 120.000 Flüchtlingen, die ebenfalls in Griechenland, Italien oder Ungarn festsitzen, gab es hingegen keine gemeinsame Zusage.
Neue Sitzung und neuer Versuch?
Der EU-Ratsvorsitzende Jean Asselborn gab sich alle Mühe, das Ergebnis schön zu reden: "Wir werden den Ländern weiter helfen, auf den richtigen Weg zu kommen", sagte der Migrationsminister aus Luxemburg. Damit meinte er die Ablehnungsfront, eine Mehrheit der Osteuropäer, vor allem Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei. Kritisch zu den EU-Plänen äußerten sich inzwischen auch Rumänien und baltische Staaten.
"Wenn wir beim ersten Mal keinen Erfolg haben, müssen wir es wieder versuchen, sagte der zuständige EU-Migrationskommissar Dimitri Avramopoulos dazu. Man werde ein weiteres Ratstreffen brauchen, das findet allerdings planmäßig erst in drei Wochen statt. "Die Welt beobachtet uns", fügte er noch hinzu. Wenn das so ist, konnte sie einmal mehr ein zerstrittenes Europa erleben.
Europa ist gespalten
Am Ende der Gespräche musste auch der Bundesinnenminister einräumen, dass "einige Länder sich der solidarischen Verantwortung angesichts dieser großen Herausforderung noch nicht verpflichtet fühlten. Das muss sich ändern, andernfalls bekommen wir ein großes Problem in Europa."
Beim nächsten Ministerrat kann es zu einer Mehrheitsentscheidung von den Mitgliedsländern kommen, die die Umverteilung von Flüchtlingen in Europa befürworten. Sie könnten die Neinsager überstimmen und der Beschluss würde dann auch diese binden. Wie allerdings kann die EU ein Land zur Aufnahme von Flüchtlingen zwingen? Allenfalls finanzielle Sanktionen sind möglich, wie sie bereits der österreichische Kanzler gegenüber Ungarn angeregt hat.
Ausgebremst wurde der Ministerrat von einigen osteuropäischen Ländern, was auf eine tiefe Spaltung der EU entlang den alten Ost- Westlinien deutet: "Es kann kein Europa à la carte geben", schimpfte der französische Innenminister Bernard Cazeneuve. Alle müssten Verantwortung tragen, nicht nur die fünf westeuropäischen Länder, die bislang 75 Prozent aller Flüchtlinge in Europa aufnehmen.
Wenige konkrete Ergebnisse
Nur auf wenige Punkte konnten sich die Mitgliedsländer sonst noch einigen: So will die EU mit mehr Geld die Flüchtlingslager in der Türkei und weiteren Nachbarländern Syriens unterstützen. Die Hoffnung ist, dass sich dann weniger Menschen auf den Weg nach Europa machen. Beschlossen wurde ebenfalls eine Liste sicherer Herkunftsländer, die den gesamten Balkan umfasst. Asylsuchende von dort können also künftig nach kurzer Prüfung abgeschoben werden. Nicht auf der Liste erscheint allerdings die Türkei wegen der gegenwärtigen innenpolitischen Lage.
Außerdem hätten Italien und Griechenland dem schnellen Aufbau der sogenannten Hotspots zugestimmt, heißt es. Das sollen Zentren zur Registrierung und Erstaufnahme in den Ankunftsländern sein, wo die Asylaussichten von Flüchtlingen vorgeprüft und offensichtlich erfolglose Gesuch gleich abgelehnt werden sollen. Verbunden ist das mit der Forderung nach schneller Rückführung der abgelehnten Migranten. Dieser Wunsch wird allerdings seit zehn Jahren von den Innenministern wiederholt – er ist einfach in der Praxis schwer umzusetzen. Auch von den Hotspots träumen sie schon lange, auch da hapert es mit der Umsetzung. So ist beispielsweise im Hafen von Piräus in Griechenland das dafür ausgewiesene Gelände noch immer ein leeres Grundstück.
Grenzkontrollen bringen Schengen in Gefahr
Neben Deutschland, Österreich und Ungarn wollen jetzt auch die Slowakei, Finnland, die Niederlande und vielleicht sogar Belgien Kontrollen an den Grenzen zu einigen Nachbarländern wieder einführen. Das Beispiel aus Berlin verstehen viele Mitgliedsländer als Signal, ebenfalls die Schengen-Regeln auszusetzen.
Das dürften nur vorübergehende Maßnahmen sein, hatte der Ratsvorsitzende aus Luxemburg gemahnt, sonst gerate eine der wichtigsten Errungenschaften Europas in Gefahr. Es könne einen Dominoeffekt geben, und "dann können wir Schengen vergessen".