Lea Krüger: "Aktive werden alleingelassen"
13. März 2023"Ich bin total enttäuscht vom Verband und vom Sportsystem im Allgemeinen", sagt die deutsche Fechterin Lea Krüger der DW. "Niemand kümmert sich um die Athleten. Keine dieser Organisationen übernimmt die Verantwortung für ihre Entscheidungen. Und jetzt haben wir die Situation, dass ich mit einer russischen Athletin auf der Planche stehen werde und entscheiden muss, wie ich mich verhalte. Am Ende müssen wir, die Athleten, die Verantwortung für etwas übernehmen, das wir nie entschieden haben. Es ist ein Schlamassel."
Am 10. März hatte der Fecht-Weltverband FIE das Startverbot für russische und belarussische Fechterinnen aufgehoben und damit auch den Weg für deren Qualifikation für die Olympischen Spiele 2024 in Paris frei gemacht. Fechten ist nach Judo die zweite olympische Sportart, die den Empfehlungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) folgt.
Einige Staaten drohen mit Olympia-Boykott
Im Januar hatte das IOC erklärt, es prüfe einen Olympia-Start von Aktiven aus Russland und seinem Verbündeten Weißrussland: als neutrale Athletinnen und Athleten, ohne Flaggen und Hymnen ihrer Heimatländer. Das IOC beruft sich auf die Menschenrechte der Aktiven und erklärt, keine Sportlerin und kein Sportler dürfe wegen seiner Staatsangehörigkeit diskriminiert werden. Viele Regierungen haben die IOC-Pläne als verfrüht verurteilt, da der russische Angriffskrieg in der Ukraine noch immer wütet.
"Die Neutralität, die wir in den vergangenen Jahren gegenüber Russland [während der Dopingsperre des Landes - Anm. d. Red.] hatten, war keine eindeutige Neutralität", sagt Fechterin Krüger, die auch Mitglied des Präsidiums der Athletenvertretung Athleten Deutschland ist. "Es muss strengere Regeln geben. Das IOC muss jetzt zeigen, wie echte Neutralität funktionieren kann."
Deutschlands Fechterinnen und Fechter haben inzwischen eine Bitte an ihren ehemaligen Nationalmannschaftskollegen und heutigen IOC-Präsidenten Thomas Bach gerichtet. "Ich würde mir wünschen, dass man sagt: Es ist noch zu früh, dass die Russen zurückkommen dürfen - auch im Hinblick auf die Olympia-Quali", sagte Leon Schlaffer, Athletensprecher der deutschen Fechter, der dpa. "Die Athleten hätten sich eine andere Entscheidung der FIE gewünscht. Einige Athleten überlegen, die Wettkämpfe zu boykottieren", sagte Schlaffer.
Andere Länder, darunter die Ukraine, Polen und die baltischen Staaten haben komplett mit einem Boykott der Spiele in Paris gedroht, sollten Aktive aus Russland und Belarus dort zugelassen werden. Ukrainische Fechterinnen und Fechter müssten in Paris möglicherweise auch gegen russische Gegnerinnen und Gegner mit Verbindungen zum russischen Militär antreten, etwa Mitglieder des Armeevereins ZSKA Moskau. "Was ist mit den ukrainischen Sportlern? Wie werden sie bei den Wettkämpfen reagieren, wie werden sie mit dieser Situation umgehen?" fragt Krüger. "Sie stehen jetzt völlig allein da."
Die ukrainische Fechtmannschaft hat indessen versucht, ein Banner mit den Gesichtern ukrainischer Athleten zu zeigen, die im Krieg mit Russland getötet wurden. Die Fechter sagen, sie seien von Offiziellen des Weltcup-Events in China und des Internationalen Fechtverbandes gestoppt worden.
Russischer Einfluss auf den Fechtsport
Bis 2022 war der russische Milliardär Alischer Usmanow Präsident und Hauptgeldgeber der FIE. Er räumte nach Kriegsbeginn seinen Posten - ebenso wie Stanislaw Posdnjakow, der den Europäischen Fechtverband EFC leitete. Posdnjakow ist auch Präsident des Russischen Olympischen Komitees, seine Tochter Sofia ist eine russische Fechterin.
Für Lea Krüger zeigt die Entscheidung der FIE den weiter bestehenden Einfluss Russlands auf das Fechten und den engen Draht der Sportart zum IOC, dessen deutscher Präsident Thomas Bach ein ehemaliger Fecht-Olympiasieger ist. "Es war klar, dass Fechten eine der ersten Sportarten sein würde, in die Russland zurückkehrt", sagt Krüger. "Usmanow gibt dem Verband eine Menge Geld. Wir haben keine großen Sponsoren im Fechtsport, also sind wir wirklich auf sein Geld angewiesen. Daran sieht man, dass die Verbindung zwischen Sportpolitik, Fechten und Russland sehr intensiv ist."
Derweil begrüßte die Russin Sofja Welikaja, fünfmalige Olympia-Medaillengewinnerin im Fechten, die Entscheidung der FIE. "Der gesunde Menschenverstand hat sich durchgesetzt", sagte Welikaja der russischen Nachrichtenagentur Tass. "Der Sport sollte gleiche Rechte und Bedingungen bieten." Die Präsidentin des Deutschen Fechter-Bunds, Claudia Bokel, erklärte, die Abstimmung sei Folge einer "geopolitischen Entwicklung": "Das Ergebnis, dass alle Athleten wieder teilnehmen dürfen, könnte ein Zeichen für weitere Abstimmungen in der Sportwelt in den kommenden Wochen sein."
Der Beschluss der FIE hat direkte Auswirkungen für Deutschlands Fechter: Der Florett-Weltcup in Tauberbischofsheim Anfang Mai wurde abgesagt. Es wäre der erste Weltcup gewesen, bei dem die Entscheidung des Weltverbandes hätte umgesetzt werden müssen. "Unsere Solidarität gilt wie bisher den Menschen in der Ukraine, die unter dem Angriffskrieg leiden. Wir wollen nun hiermit ein klares Signal geben, dass wir uns ein anderes Ergebnis gewünscht hätten und noch eine Vielzahl an offenen Umsetzungsfragen auch vom Weltverband sehen, die eine Turnierdurchführung unmöglich machen", sagte die Präsidentin der Deutschen Fechter-Bundes, Claudia Bokel. Auch die Schweden verzichten auf die Ausrichtung von zwei Turnieren.
Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.