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Fechten in Kenia: Chance auf ein besseres Leben

Thomas Klein aus Kenia
16. Dezember 2024

Degenfechterin Alexandra Ndolo schreibt Sportgeschichte für Kenia. Gemeinsam mit Ashley Ngoiri, der ersten Fechttrainerin des Landes, will die Olympionikin Fechten nachhaltig in Kenia etablieren.

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Drohnenaufnahme von Alexandra Ndolo und Ashley Ngoiri beim Fechttraining mit Kindern in einem Slum in Nairobi
Alexandra Ndolo (l.) und Ashley Ngoiri zeigen Kindern in Kibera, einem Slum in Nairobi, Fechten als SportartBild: Thomas Klein/DW

Auf einem kleinen Sportplatz in einem Randbezirk der kenianischen Hauptstadt Nairobi haben es sich knapp 60 Kinder und Jugendliche auf dem Rasen in der heißen Mittagssonne gemütlich gemacht. Abwechselnd feuern sie Alexandra Ndolo oder Ashley Ngoiri an. Die beiden Fechterinnen stehen sich auf einer blauen Fechtbahn gegenüber. Gerade haben sie sich die Masken aufgesetzt - und nach einem kurzen "En garde" geht es los.

Mit einem Showgefecht wollen sie den Mädchen und Jungen eine Sportart zeigen, die in Kenia weitgehend unbekannt ist: Fechten. "Wenn so viele Kinder laut rufen und uns anfeuern, gibt mir das viel Energie und motiviert mich, natürlich meinen Sport den Menschen weiter näher zu bringen," sagt Ndolo.

Für Ngoiri, die erst vor sieben Jahren mit Fechten begonnen hat, sind die Eindrücke und Anfeuerungsrufe ebenfalls beeindruckend. "Als Fechterin habe ich so etwas zum ersten Mal erlebt", erklärt die 25-Jährige im DW-Interview und gibt lachend zu: "Das hat mich auch ein bisschen abgelenkt."

Fechten ist für alle Menschen

Die beiden Fechterinnen haben eine Mission und wollen Fechten in Kenia etablieren. Aus diesem Grund sind sie seit einigen Tagen in Nairobi unterwegs. Vor allem mit einem Vorurteil wollen die beiden Frauen aufräumen: Fechten ist keineswegs ein rein elitärer Sport.

Alexandra Ndolo posiert im Rahmen eines Fechttrainings mit Kindern in einem Slum in Nairobi
Degenfechterin und Olympionikin Alexandra Ndolo (Bildmitte) und Trainerin Ashely Ngoiri begeistern Kinder der Alfa Foundation in NairobiBild: Thomas Klein/DW

"Wir sind in Initiativen mit Kindern aus den Slums gewesen. Wir sind nach Kibera [Slumviertel in Nairobi, Anm.d.Red.] gegangen, aber auch zu einem Country Club, einem sehr renommierten Ort", erklärt Ndolo zur DW. "Ich möchte Fechten allen Menschen näherbringen, unabhängig davon, wie viel Geld sie haben."

Denn, das betont Ndolo immer wieder, Fechten sei für alle da. "Ich möchte Fechten entmystifizieren und glaube, dass der Sport auch in Kenia wachsen kann."

Ndolo ist bei Olympia am Start und schreibt Geschichte

Ndolo hat eine polnische Mutter und einen Vater aus Kenia. Sie wurde in Deutschland geboren und wuchs in Bayreuth im deutschen Bundesland Bayern auf. Seit vielen Jahren engagiert sich die Fechterin im Geburtsland ihres Vaters. Sie ist unter anderem Mit-Begründerin des kenianischen Fechtverbandes, der seit 2019 offiziell Teil des Weltfechtverbandes ist. Die 38-Jährige zählt zu den besten Degenfechterinnen weltweit. Bei der WM 2022 in Kairo sicherte sich den Vize-Weltmeistertitel für Deutschland - ihr vorläufiger Karriere-Höhepunkt.

Im Anschluss daran verkündete sie ihren Verbandswechsel und tritt seitdem für Kenia an. Die frühere deutsche Sportsoldatin begab sich damit "ins Ungewisse" und ging finanziell und sportlich ins Risiko. Bis heute muss sich Ndolo selbst finanzieren und organisieren, denn Geld hat sie vom kenianischen Verband bisher nicht bekommen. Das war in Deutschland anders, wo sie Förderungen durch den Verband bekam.

Trotz vieler Hürden setzte sie sich durch, wurde im vergangenen Jahr Afrikameisterin und sorgte für Aufmerksamkeit. Zudem gelang ihr die Teilnahme an den Olympischen Spiele in Paris - als erste kenianische Olympia-Fechterin der Geschichte reiste sie im Sommer in die französische Hauptstadt.

"Die Tatsache, dass wir im Grand Palais fechten durften, macht mir immer noch eine Gänsehaut", erinnert sich die Olympionikin. Und sie ergänzt mit leuchtenden Augen: "Die Flagge von Kenia in der Arena neben all den anderen qualifizierten Ländern zu sehen, war großartig." Das möchte Ndolo noch einmal erleben und hat sich daher ein hohes sportliches Ziel gesteckt: "Ich möchte an den nächsten Olympischen Spielen [2028 in Los Angeles] teilnehmen", sagt sie. "Einmal hat mir nicht gereicht."

Ngoiri: "Meine Mutter dachte, ich möchte Menschen ausrauben"

Ndolo ist Vorbild für viele kenianische Kinder und Jugendliche - aber auch für die 25 Jahre alte Ngoiri. "Alex ist die wichtigste Person in meinem Leben", sagt Ngoiri ohne zu zögern. "Sie hat mir viele Türen geöffnet und mich mit vielen Menschen in Kontakt gebracht."

Fechterin Alexandra Ndolo und Fechttrainerin Ashley Ngoiri in ihren Fechtanzügen mit dem Rücken zur Kamera vor der Skyline von Nairobi
Olympionikin Alexandra Ndolo und Fechttrainerin Ashley Ngoiri wollen Fechten in Kenia etablieren Bild: Thomas Klein/DW

Die junge Fechterin stammt aus Huruma, einem Slum außerhalb Nairobis. 2017 nahm sie an einem kostenlosen Fechttraining in einer Fechtschule teil. Sie war sofort fasziniert und begeistert von dem Sport, den sie bis zu diesem Zeitpunkt nur aus "Jackie-Chan-Filmen" kannte. Lediglich ihre Familie war anfangs noch skeptisch.

"Da ich eine Art Schwert benutze, dachte meine Mutter, dass ich damit Leute ausrauben werde, um an ihr Geld zu kommen." Ngoiri lacht laut als sie die Geschichte erzählt und ergänzt, dass ihre Familie aber mittlerweile verstanden habe, was Fechten sei.

Ngoiri: "Er hat mich mit meiner Maske geschlagen"

Fechten hat Ngoiris Leben nachhaltig verändert. Dank eines Fecht-Stipendiums macht sie 2021 in Südafrika eine Ausbildung zur Trainerin - und ist nun die erste Fechttrainerin Kenias. Mittlerweile kann sie mit dem Sport Geld verdienen und ist zudem selbstbewusster geworden, was ihr auch im privaten Umfeld geholfen hat.

"Ich hatte eine sehr toxische Beziehung mit einem Mann", sagt sie. "Ein Schlag nach dem anderen, ein blaues Auge hier. Irgendwann hat er auch meine Waffe kaputt gemacht und schlug mich mit meiner Maske", erinnert sich Ngoiri.

Fechttrainerin Ashley Ngoiri umringt von Kindern im Gespräch
Fechttrainerin Ashley Ngoiri erklärt Kindern die Besonderheiten des Fecht-SportsBild: Thomas Klein/DW

Der Sport lenkte sie von der schlimmen Situation zu Hause ab und gab ihr Kraft: Schließlich verließ sie ihren gewalttätigen Partner und steht nun auf eigenen Beinen.

Häusliche Gewalt vor allem gegen Frauen sei keine Seltenheit in Kenia, erklärt Ngoiri - oft mit dramatischen Folgen. Das Netzwerk "Africa Data Hub" dokumentierte zwischen 2016 und 2023 rund 500 Femizide in Kenia . Inoffiziell dürfte die Zahl deutlich höher sein. In 75 Prozent der Fälle kamen die Täter aus dem direkten Umfeld der Opfer. Auch in Ngoiris Bekanntenkreis habe sich vor wenigen Wochen erst eine Frau wegen ihres Freundes in einem Brunnen ertränkt, berichtet sie. 

Fechten soll Frauen helfen

Die Geschichte von "Coach Ashley", wie sie von vielen genannt wird, zeigt aber, was möglich ist und welche Kraft Menschen durch Sport entwickeln können. Auch deshalb wollen Ndolo und Ngoiri die Entwicklung des Fechtens in Kenia weiter vorantreiben. "Fechten oder Sport generell lehrt dich so viele Lektionen im Leben", sagt Ndolo. "Ausdauer, den Glauben an sich selbst, mit Rückschlägen umzugehen und der Umgang mit Herausforderungen."

Um die Aufmerksamkeit für das Fechten weiter hoch zu halten, wird Ndolo auch in Zukunft immer wieder nach Kenia reisen. Die Arbeit mit Kindern gebe ihr viel Energie und ihre Mission, Menschen in Kenia durch Fechten die Chance auf ein besseres Leben zu bieten, sei noch nicht beendet.

Ich glaube, ich kann in Kenia etwas Erreichen und Einfluss nehmen", sagt die Olympionikin. "Ich möchte dem Land etwas hinterlassen und Kindern ermöglichen zu Fechten - unabhängig von der finanziellen Situation der Eltern."