FDP zwischen Kuscheln und Krawall
23. Februar 2023Es läuft einfach nicht. Bei der Wahl am 12. Februar in Berlin musste die FDP wieder einmal einen Tiefschlag hinnehmen: 4,6 Prozent. Die liberale Partei wird nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten sein. Sichtlich zerknirscht steht Parteichef Lindner am Montag nach der Wahl vor der Presse und versucht erst gar nicht, die erneute Niederlage schönzureden. Er hat jetzt schon Übung in solchen Auftritten, denn seitdem die FDP in der Bundeskoalition mit SPD und Grünen das Land regiert – also seit Dezember 2021 - hat die FDP fünf Mal hintereinander bei Landtagswahlen Stimmen eingebüßt. In Niedersachsen und dem Saarland – und nun auch in Berlin - hat die FDP sogar die Fünf-Prozent-Hürde gerissen.
Die FDP, als kleinster Partner in der Regierungskoalition mit SPD und Grünen, profitiert am wenigsten von der Regierungsbeteiligung im Bund. "Man kann es das Dilemma der FDP nennen. Die Partei hat sich von Anfang an definiert als der Gegenpart gegen zwei linke Parteien. Damit hat sie den Eindruck erweckt, dass sie letztlich mit Unwillen in der Koalition ist. Ihre Strategie bestand also immer darin, dafür zu sorgen, dass die 'Tassen im Schrank bleiben', dass die linken Parteien Grüne und SPD nicht noch mehr Unheil anrichten", sagt Albrecht von Lucke der DW im Interview. Er ist Politikwissenschaftler und Redakteur der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik".
Fragt man unter führenden FDP-Politikern und an der Parteibasis, heißt es immer wieder hinter vorgehaltener Hand, dass man mit der Koalitionsregierung in Berlin nicht glücklich ist. Zu viele Kröten müssten geschluckt werden. Zu viele Kompromisse geschlossen. Anders stellt es die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei im Bundestag auf Nachfrage der DW dar. Carina Konrad bedauert, dass die FDP mit Zukunftsthemen bei den letzten Wahlen "nicht durchgedrungen" sei. Aber: "Ich fühle mich in dieser Koalition sehr wohl." Dennoch: Viele in der FDP sehnen sich wieder nach dem "natürlichen" Koalitionspartner, der konservativen Union, mit der die FDP im Bund immer wieder gemeinsam regiert hatte.
Klar ist, die FDP zahlt in dieser Koalition bislang den höchsten Preis. Gemeinsam waren SPD, Grüne und FDP unter dem Motto "Mehr Fortschritt wagen" angetreten. Für die Liberalen hieß es aber seit dem Eintritt in die Koalitionsregierung eher "Mehr Rückschläge hinnehmen". Bei den Bundestagswahlen Ende September 2021 erreichte die FDP noch 11,5 Prozent. Mit der Regierungsbeteiligung begann der stetige Abwärtstrend in den Umfragen. Auf die Frage "Welche Partei würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?" antworteten zuletzt gerade einmal 6 Prozent der Befragten mit "FDP".
Am Tag nach der Wahlniederlage in Berlin versuchte Parteichef Christian Lindner dennoch tapfer, den Zukunftskurs seiner Partei abzustecken. Es ist ein Kurs zwischen Anpassung an die Realitäten und liberaler Parteiräson. Die Schuld an der verlorenen Wahl in Berlin sucht er zunächst nicht bei den politischen Gegnern: "Wir folgen unserem Stil. Eins wird die Partei der Selbstverantwortung jedenfalls nicht machen: mit dem Finger auf andere zeigen", sagt Lindner. In der Ampelkoalition sei die FDP ein "Garant" für eine Politik der Mitte.
Doch dann schlägt er auch Pfeiler ein, die deutlich machen: Die FDP kann auch Konfrontation. "Eine Politik gegen das Auto ist ganz offensichtlich nicht im Interesse der Menschen", sagt er in Berlin. Klare Kante gegen die Grünen. Die FDP wolle zwar ein modernes Einwanderungsrecht, aber keine ungeregelte Migration. Auch das eine Spitze gegen beide Koalitionspartner. Das grobe Holzen überlässt der Parteichef seinem Vize Wolfgang Kubicki. "Wenn es keinen Straßenbau mehr geben soll, dann gibt es auch keinen neuen Stromleitungen mehr", drohte Kubicki den Grünen nach der Berlin-Wahl. Die Zeit der Beschwichtigungen sei vorbei, ergänzte er.
Der Politikwissenschaftler von Lucke beobachtet derzeit eine "Art Doppelstrategie" bei der FDP: "Lindner sagt, dass er die Stärken dieser Koalition mehr zum Tragen bringen will. Auf der anderen Seite gibt es die Position Wolfgang Kubickis, der die 'Zeit des Appeasments' mit Grünen und SPD für beendet erklärt hat und noch mehr Opposition gegen die eigene Regierung verspricht."
Streit über den Haushalt
Immer wieder tritt der grundsätzliche Streit vor allem über Finanz- und Steuerfragen zwischen Grünen und SPD auf der einen Seite und der FDP auf der anderen zutage. Besonders in diesen Tagen, wo über den nächsten Bundeshaushalt verhandelt wird. Fast täglich neuer Zoff darüber, wie die Staatsmilliarden ausgegeben werden sollen. Und eine Konstante: Die FDP will an der Schuldenbremse, also einer nur sehr geringe Kreditaufnahme durch den Staat, festhalten und schließt Steuererhöhungen kategorisch aus. SPD und Grüne können sich Steuererhöhungen durchaus vorstellen. Vor allem für Reiche. In der vergangenen Woche eskalierte der Streit öffentlich in einem Briefwechsel zwischen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP).
Lindner betonte in seinem Schreiben, dass gerade in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage "eine zusätzliche Belastung des Standorts Deutschland auch ökonomisch falsch sei". Wirtschaftsminister Habeck hingegen schlägt in seinem Brief vor, darüber zu beraten, "wie wir Einnahmen verbessern" und umweltschädliche Subventionen abbauen könnten. Inhalt und Tonfall des Briefwechsels deuten auf ein tiefes Zerwürfnis zwischen den beiden Ministern hin.
Für von Lucke zeigt der Streit, dass Parteichef Lindner weiß, dass "das Profil der FDP nicht untergehen darf. Und deshalb setzt er ein Stück weit auf Konfrontation". Selbst innerhalb der FDP stößt der raue Ton auf Kritik. "Manche Diskussion könnte für meinen Geschmack allerdings auch mit weniger lauter Begleitmusik laufen", bekennt Vize-Fraktionschefin Carina Konrad gegenüber der DW. Die SPD, der größte Partner in der Regierungskoalition, zeigt sich offen genervt vom Koalitionsstreit und steht in der Steuerfrage eher den Grünen nahe. SPD-Co-Parteichefin Saskia Esken sagte in Richtung FDP: "Zu rudern und ständig nach Profil zu rufen, wird nicht helfen. Sondern es geht vor allem um die verantwortungsvolle Zusammenarbeit und das Wohl des Landes."
Das Trauma von 2013
Die Koalitionsregierung verlassen, das ist jedoch für die FDP ein Tabu. Zu tief sitzt der Schock von 2013, als die Partei bei Bundestagswahlen die Fünf-Prozent-Hürde nicht erreichte und zur APO wurde; zur außerparlamentarischen Opposition. Für die FDP, die immer wieder in Koalitionsregierungen mit Union oder SPD maßgeblich die Politik im Nachkriegs-Deutschland mitbestimmt hatte, war das ein Schock.
Nach der Niederlage übernahm Christian Lindner 2013 das Amt des Parteivorsitzenden. Er baute die Partei neu auf und führte sie wieder in Regierungsverantwortung. Und trotz aller Niederlagen und Unstimmigkeiten in der jetzigen Regierung: Christian Lindner scheint trotz Krise der FDP fest im Sattel zu sitzen. FDP-Vizefraktionschefin Carina Konrad formuliert es kurz und bündig: "Ja, er ist der Richtige", erklärt sie gegenüber der DW. Und das ist auch das Resümee von Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke: "Es gibt keinen, der in dieser Zeit den Putsch gegen Lindner betreiben könnte und wollte, weil dies die FDP noch mehr schwächen würde."