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Terroristen mit Deutschlandliebe

Hilke Fischer6. Juni 2016

Für die FDLR-Miliz, die seit vielen Jahren die Menschen im Ostkongo tyrannisiert, war Deutschland lange eine "zweite Heimat". Ihr Anführer lebte bis zu seiner Verhaftung in Mannheim. Wie kam es dazu?

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FDLR-Kämpfer (Foto: DW/Simone Schlindwein)
Bild: DW/S. Schlindwein

Wie kann es sein, dass sich eine radikale, rassistisch eingestellte Miliz, die im Kongo für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sorgt, mit Deutschland identifiziert? Diese Frage treibt die Journalistin Simone Schlindwein, die in Uganda lebt und seit Jahren Reportage-Reisen in den Ostkongo unternimmt, schon lange um. Etliche Male traf sie sich mit Kämpfern der "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas", kurz FDLR. "Viele von ihnen unterstützen den FC Bayern München oder den VfB Stuttgart, jeder kennt Angela Merkel, manche sprechen sogar Deutsch", erzählt sie. Die FDLR fühle sich mit Deutschland verbunden, von dem Präsidenten der Miliz nahmen die Kämpfer an, dass er hierzulande wie ein Botschafter in einer Villa residiere.

Der Präsident - damit ist Ignace Murwanashyaka gemeint. Ende der 1980er Jahre kommt er als Stipendiat nach Deutschland, studiert in Bonn. Später erhält er Asyl wegen politischer Verfolgung in seinem Heimatland. Bis zu seiner Festnahme 2009 lebt er unauffällig in Mannheim.

Ignace Murwanashyaka im Gerichtssaal in Stuttgart (Foto: imago)
FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka wurde in Deutschland zu 13 Jahren Haft verurteiltBild: imago/epd

Zusammen mit seinem Stellvertreter Straton Musoni hat Murwanashyaka die FDLR von Deutschland aus per SMS, E-Mail und Satellitentelefon gesteuert. In dem gerade erschienenen Buch "Tatort Kongo - Prozess in Deutschland" arbeitet Simone Schlindwein - gemeinsam mit dem taz-Journalisten Dominic Johnson und Bianca Schmolze von der Medizinischen Flüchtlingshilfe - einen der komplexesten Fälle der deutschen Justizgeschichte auf. Das Buch handelt von der inneren Strukturen der FDLR-Miliz, deren Kämpfer seit rund 20 Jahren mordend, vergewaltigend und plündernd durch den Osten der Demokratischen Republik Kongo ziehen. Es handelt vom Genozid in Ruanda im Jahr 1994, nach dessen Ende tausende militante Hutu in den Ostkongo flohen und dort die FDLR gründeten. Und es handelt von der ruandischen Kolonialgeschichte, die die Grundlagen für den Völkermord legte, indem von Deutschen und Belgiern festgeschrieben wurde, wer Hutu und wer Tutsi war.

Ruandische Völkermörder - ausgebildet bei der Bundeswehr

Viereinhalb Jahre dauert das Mammutverfahren gegen die in Deutschland beheimatete FDLR-Führung. Im September 2015 fällt das Oberlandesgericht Stuttgart sein Urteil: Murwanashyaka muss wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung für 13 Jahre ins Gefängnis, Musoni bekommt acht Jahre. Es war das weltweit erste Urteil gegen FDLR-Mitglieder. Möglich wurde es durch das 2002 eingeführte Völkerstrafgesetzbuch. Das Gesetz regelt die Strafbarkeit schwerer Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, auch wenn sie im Ausland begangen werden.

Knapp einhundert Jahre liegen zwischen dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft in Ruanda und dem Stuttgarter Urteil, und doch hängen beide Ereignisse miteinander zusammen: Deutschland bleibt auch nach der ruandischen Unabhängigkeit von Belgien im Jahr 1962 ein enges Partnerland für die Hutu-Regierung des kleinen ostafrikanischen Staates. Zahlreiche Ruander kommen zum Studium nach Deutschland, zu ihnen zählen Murwanashyaka und Musoni. Die deutsche Bundeswehr bildet ruandische Offiziere aus, einer von ihnen ist Sylvestre Mudacumura. 1994 töten er und tausende andere militante Hutu binnen einhundert Tagen mindestens 800.000 Tutsi und moderate Hutu. Anschließend flieht Mudacumura in den Ostkongo, hilft beim Aufbau der FDLR. Bis heute ist er ihr Oberbefehlshaber, bis heute verbreiten er und seine Untergebenen Angst und Schrecken.

Flüchtlinge (Foto: picture alliance)
Nach dem Genozid setzten sich auch Militärs des gestürzten ruandischen Regimes in den Kongo - damals Zaire - abBild: picture-alliance/dpa

Schockierende Zeugenaussagen

Im kargen Stuttgarter Gerichtssaal werden anonymisierte Zeugenaussagen verlesen: Die kongolesische Zeugin Z6 wurde in ihrer Hütte mit dem Bajonett in den Oberschenkel gestochen und dann vergewaltigt, während ihr gefesselter Mann zusehen musste. Die 13-jährige Tochter wurde von fünf FDLR-Kämpfern hintereinander sexuell missbraucht. Dann verschleppten die Milizionäre die Familie in den Urwald, hielten die Mutter als Sexsklavin. Nach sieben Monaten gelang ihr die Flucht.

Zeugenaussagen wie diese zu bekommen, erforderte für das deutsche Gericht einen immensen logistischen und finanziellen Aufwand. "Viele der Anklagepunkte mussten aus Mangel an Beweisen fallengelassen werden", berichtet Géraldine Mattioli-Zeltner, die den Prozess für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verfolgte.

Ein weitreichendes Signal

Trotz aller Schwierigkeiten bei der Beweisaufnahme und der Anhörung von Zeugen und trotz Übersetzungsstreitigkeiten sei der Prozess in Deutschland ein extrem wichtiges Signal an die FDLR gewesen, so Buchautorin Schlindwein: "Die FDLR hat Deutschland immer als Partner, als großen Bruder, als Heimatland betrachtet. Der Prozess hat ein Zeichen gesetzt: Bis hierhin und nicht weiter. Wir akzeptieren es nicht, dass ihr aus Deutschland heraus Verbrechen im Kongo plant, anordnet oder in irgendeiner Form gutheißt."

Bevölkerung in Goma nach den Angriff der Hutu-Rebellen (Foto: Getty Images)
Noch immer gelingt es dem kongolesischen Militär nicht, die Zivilisten ausreichend zu schützenBild: Getty Images/AFP/K. Maliro

Als Murwanashyaka und Musoni 2009 verhaftet werden, legten binnen weniger Wochen fast 1200 FDLR-Kämpfer ihre Waffen nieder. "Es hat die FDLR extrem geschwächt, dass die Führung in Deutschland nicht mehr agieren konnte", so Schlindwein.

Die FDLR zerfleischt sich selbst

Im Februar 2015 startet die kongolesische Armee eine Militäroffensive gegen die Miliz. Wieviele aktive Kämpfer es noch gibt, ist unklar, die Angaben schwanken zwischen 100 und 1500. "Wir dokumentieren nach wie vor schwerwiegende Verbrechen, noch immer werden Zivilisten von FDLR-Kämpfern entführt, vergewaltigt und getötet", sagt Mattioli-Zeltner von Human Rights Watch.
Mitte Mai dieses Jahres konnte die Armee einen ranghohen FDLR-Kommandanten festnehmen. Möglicherweise sei aufgrund von internen Streitigkeiten bald gar kein militärischer Druck mehr nötig, so die Einschätzung von Simone Schlindwein: "Die Miliz ist dabei, sich in kleinere Milizen zu zerspalten. Damit ist vielleicht bald auch ein Ende der FDLR im Kongo in Sicht."