FC Bayern baut Tabellenführung aus
15. November 2020Der Freistoßballball fliegt lange durch die Luft. Marina Hegering läuft durch, erwischt den Ball volley mit der Fußspitze und drischt ihn aus kurzer Distanz ins Tor zur zwischenzeitlichen 2:0-Führung (43. Minute). Es ist bereits das vierte Bundesligator in dieser Saison für die Abwehrspielerin, die beim 3:1 (2:0)-Erfolg des FC Bayern München im Topsiel gegen Verfolger und Serienmeister VfL Wolfsburg einmal mehr eine ganz wichtige Rolle spielt.
Erst in diesem Sommer war Hegering von der SGS Essen nach München gewechselt. "Ich habe studiert, eine Ausbildung gemacht oder gearbeitet und habe nebenher in Essen Fußball gespielt", sagt die Nationalspielerin. "Der Wechsel hat mir ein reines Profi-Dasein ermöglicht und zum ersten Mal verdiene ich jetzt tatsächlich nur mit Fußball mein Geld", erklärt Hegering im Gespräch mit der DW.
Aus einer harmlosen Verletzung wird eine fünfjährige Pause
Dass Hegering überhaupt noch auf dem Fußballplatz steht, ist erstaunlich. Denn vor zehn Jahren sorgte bei der damals 20-Jährigen eine eigentlich unkomplizierte Verletzung mit schweren Folgen für eine lange Ausszeit in der vielversprechenden Karriere. "Wenn einem das plötzlich einfach weggenommen wird, von einem Tag auf den anderen, dann es ist schwer", erinnert sich Hegering.
Die Abwehrspielerin hatte gerade mit Deutschland den Titel bei der U20-WM im eigenen Land gewonnen, als die Ferse Probleme machte. Eine Fehlbildung am Knochen sorgte für eine schmerzhafte Entzündung. Eine Operation sollte Abhilfe schaffen, doch die Probleme fingen erst nach dem Eingriff an, bei dem eine knöcherne Beule am Fersenbein entfernt wurde. "Nach der OP ist eine Wundheilungsstörung eingetreten, weil anscheinend noch Materialen von der OP in Gewebe waren", erzählt Hegering über den Beginn ihrer Leidenszeit.
Hegering: "Ich konnte das nicht akzeptieren"
Durch die Komplikationen nach der Operation fiel Hegering damals auf unbestimmte Zeit aus, es folgte eine Reihe von zusätzlichen Operationen an der Ferse, bevor sie überhaupt wieder daran denken konnte, Fußball zu spielen. "Fast drei Jahre habe ich keine normalen Schuhe getragen, weil es hinten an der Ferse so weh getan hat", sagt Hegering. Es war ihre Mentalität als Athletin, die sie davon abhielt, einfach aufzugeben. "Das sollte nicht die Ursache dafür sein, dass ich meine Karriere beende. Irgendwie konnte ich das nicht akzeptieren. Und ich glaube, das hat mich ein bisschen am Leben gehalten und hat mir die Hoffnung gegeben, dass es doch nochmal klappen könnte", sagt die 30-Jährige rückblickend.
Fünf Operationen innerhalb von fünf Jahren - erst danach konnte Hegering zum ersten Mal wieder richtig trainieren und sich einem Comeback nähern. Ein Jahr lang trainierte sie nur und baute neue Fitness auf, ehe sie endlich wieder in einem Spiel auf dem Platz stehen konnte: 2017 - zehn Jahre nach ihrem Profidebüt - lief Hegering erstmals nach ihrer Leidenszeit wieder in der Bundesliga auf und etablierte sich bei ihrem damals neuen Klub SGS Essen auf Anhieb.
Bis zum WM-Aus stand Hegering jede Minute auf dem Platz
2019 kam dann der große Durchbruch: Nach konstant starken Leistungen wurde Hegering erstmalig in die Nationalmannschaft berufen und auf Anhieb Stammspielerin. Bei der Frauenfußball-WM 2019 in Frankreich stand die Verteidigerin bis zum Aus der DFB-Frauen im Viertelfinale jede Minute auf dem Platz. "Dass es so gut geklappt hat, damit hätte ich niemals gerechnet. Es ist nicht selbstverständlich, dass ich das jetzt erleben darf", freut sich Hegering. "Das war ein großes Stück Arbeit von mir selber, aber auch von ganz vielen anderen Menschen, die mich auf diesem Weg dahin unterstützt haben."
Der erste Meistertitel für Hegering?
Auch wegen ihrer starken Persönlichkeit hat der FC Bayern München Hegering im Sommer nach München geholt. Sie soll dabei helfen, den FC Bayern auch im Frauenfußball dauerhaft als Spitzenteam zu etablieren und den VfL Wolfsburg als Serienmeister abzulösen.
Bisher hat der FC Bayern in dieser Saison alle neun Ligaspiele gewonnen. Gegen den VfL kassierte das Team das erste Gegentor - nach einem Strafstoß. "Gerade sind wir natürlich ein bisschen die Gejagten. Aber wir sind noch früh in der Saison, da kann noch eine Menge passieren. Aber aktuell stehen wir oben und da fühlen wir uns ganz wohl", so die fast bescheidene Analyse der Nationalspielerin.
Noch wohler würden sie sich wohl fühlen, wenn sie mit dem FC Bayern München am Ender der Saison die Meisterschale in die Luft stemmen würde. Ein Traum, den sie während ihre langen Leidenszeit nie aufgegeben hat und dem sie heute nach dem Sieg gegen den VfL einen großen Schritt näher gekommen ist.
Adaption: David Vorholt/Sarah Wiertz