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Tod im Schaffensrausch - Rainer Werner Fassbinder

Jochen Kürten10. Juni 2012

Der Regisseur Rainer Werner Fassbinder starb vor 30 Jahren. Vor allem im Ausland gilt er als wichtigster deutscher Filmemacher nach dem Zweiten Weltkrieg. Sein Name steht als Synonym für das deutsche Nachkriegskino.

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Szene aus dem Fassbinder-Film "Faustrecht der Freiheit" mit Fassbinder und Christiane Maybach. (Foto, Copyright: Studiocanal/Arthaus - DVD-Anbieter)
Bild: Studiocanal/Arthaus

Der 30. Todestag eines Künstlers wird normalerweise in den Feuilletons der großen Zeitungen mit einem Hintergrund-Artikel gewürdigt oder in Fachzeitschriften und Internetforen diskutiert. Bei Rainer Werner Fassbinder ist das anders. Der am 10. Juni 1982 verstorbene Regisseur hat - schon lange vor dem Gedenktag - ein gewaltiges Medienecho ausgelöst. Museen, Kinos und Theaterbühnen beschäftigen sich mit dem Filmemacher. Retrospektiven im In- und Ausland zeigen die Filme Fassbinders. Gleich mehrere Bücher über Leben und Werk des Regisseurs erscheinen in diesen Wochen.

Im Ausland ist Fassbinder Kult

Wie ist das zu erklären? Der Name Fassbinder steht in Deutschland für die wohl erfolgreichsten Jahre des hiesigen Nachkriegskinos. In vielen europäischen Ländern, vor allem aber auch in den USA, ist der Regisseur darüber hinaus zum Synonym für das deutsche Nachkriegskino schlechthin geworden. In den Kunstkinos der amerikanischen Ostküste ist Fassbinder Kult. Das wichtigste Filmfestival der Welt in Cannes hält seit Jahren nach einem "neuen Fassbinder" Ausschau. Nicht zuletzt der große Ruhm Fassbinders hat dazu geführt, dass die Kinonation Frankreich das Nachbarland Deutschland seit Jahren sträflich vernachlässigt.

Fassbinder am Set von Theater in Trance (Foto: Kinowelt/Arthaus, DVD-Anbieter)
Ein Mann des Films und des Theaters: Fassbinder am Set von "Theater in Trance" (DVD erschienen bei Arthaus)Bild: Kinowelt/Arthaus

Im mächtigen Schatten, den der Name Fassbinder seit 30 Jahren nach allen Seiten wirft, haben es nicht nur die Mitstreiter aus der Generation des Regisseurs schwer. Erst recht lässt sich das von jüngeren Filmemachern sagen. Kein Tom Tykwer und kein Roland Emmerich, kein Florian Henckel von Donnersmarck und kein Wolfgang Petersen haben - bei allem kommerziellen Erfolg, Oscars inklusive - im Ausland einen vergleichbaren Ruf wie der früh verstorbene Fassbinder. Die Person Fassbinder scheint inzwischen mehr zum Mythos denn zu einer Figur der Filmgeschichte geworden zu sein. Das hat natürlich seinen Grund. Vielmehr sind es zwei Ursachen, die für Fassbinders Nachruhm verantwortlich sind.

Ein rauschhaftes Leben

Zum einen ist es das wilde Leben des Regisseurs, das viel zur Legendenbildung beigetragen hat. Rainer Werner Fassbinder hat in seinem allzu kurzen Leben in einem wahren Schaffensrausch Filme gleich im Dutzend abgedreht: In den Jahren zwischen seinem Debüt "Liebe ist kälter als der Tod" 1969 und seinem letzten Film "Querelle" 1982 entstanden nicht weniger als 37 Filme. Wie ging das? Vor allem, wie ging das, wenn man bedenkt, dass viele seiner Filme bei allen Skandalen und künstlerischen Höhen kommerziell nicht erfolgreich waren. Auch konnte sich der Regisseur nicht auf ein gut funktionierendes Studiosystem wie in Hollywood oder in Frankreich stützen. Zwar zeigte sich Fassbinder - im Gegensatz zu vielen seiner Regiekollegen - dem Medium Fernsehen gegenüber aufgeschlossen, ein Liebling der deutschen Filmfördergremien war er aber nie.

Hanna Schygulla als Maria Braun in einer Szene des Films Die Ehe der Maria Braun (Foto: dpa)
Chronik deutscher Zeitgeschichte: "Die Ehe der Maria Braun" mit Hanna Schygulla und Günther KaufmannBild: picture alliance/dpa

Und Fassbinder hat diese 37 Filme seinem Körper im wahrsten Sinne des Wortes abgerungen. Alkohol, Drogen, Kokain vor allem, Tabletten, wenig Schlaf, die ununterbrochen bis an die Grenzen der Belastbarkeit reichenden Drehs - all das gehörte schon früh in seiner Karriere zu seinen ständigen Begleitern. Heute muss man konstatieren: die größten Wunder waren nicht einmal die vielen Filme, die er zustande brachte. Ganz und gar erstaunlich ist, dass Fassbinders Körper überhaupt bis zu seinem 37. Lebensjahr durchgehalten hat. Dieses wilde, rauschhafte, kurze Leben hat viel zum "Mythos Fassbinder" beigetragen.

Chronist deutscher Geschichte

Den zweiten Grund dafür, dass der Filmemacher - vor allem im Ausland - zu der Regiestimme Deutschlands wurde, hat sein Biograph Jürgen Trimborn jüngst so zusammengefasst: "Die besondere Faszination an Fassbinder ist, dass er - ähnlich wie Balzac in seiner 'Menschlichen Komödie' - den Versuch unternommen hat, die ganze jüngere deutsche Vergangenheit und Gegenwart in seinen Filmen zu repräsentieren." Trimborn zählt auf: "Mit 'Despair' hat er etwa einen Film gedreht, der vor Anbruch des Dritten Reichs spielt, mit 'Lili Marleen' eine Karriere im NS-Staat nachgezeichnet und sich in Filmen wie 'Die Ehe der Maria Braun' und 'Lola' der unmittelbaren Nachkriegszeit gewidmet. Er hat sich in 'Deutschland im Herbst' und in 'Die dritte Generation' mit der politischen Radikalisierung und dem Terrorismus beschäftigt. Er war also auch da immer am Puls der Zeit und hat versucht, das aktuelle Zeitgeschehen zeitnah filmisch zu kommentieren. Er war in vielerlei Hinsicht wirklich ein Visionär des Kinos."

Szene mit ROSEL ZECH und ARMIN MÜLLER-STAHL in "Die Sehnsucht der Veronika Voss" (Foto: KPA)
Zum Schluß der Goldene Bär für "Die Sehnsucht der Veronika Voss" (Rosel Zech und Armin Müller-Stahl)Bild: picture alliance/KPA

Leben und Werk werden bei Künstlern oft zu Unrecht vermischt - bei Fassbinder sind die beiden Pole untrennbar verbunden. Die Filme lassen sich kaum ohne die Person auf dem Regiestuhl interpretieren. Und der Mensch, der ja nicht zufällig in den Filmen oft als "Schauspieler" auftrat, ist ohne das Werk nicht denkbar. Fassbinder hatte permanent seine Filme im Kopf, er lebte mit ihnen. Mit seinen Schauspielern und Teammitgliedern zog er von Wohngemeinschaft zu Wohngemeinschaft. Tage und Wochen verbrachte er am Set, wenn er sich nicht gerade die Nächte in Paris, New York oder Frankfurt um die Ohren schlug.

Das Phänomen Fassbinder ist tatsächlich unvergleichlich im deutschen Nachkriegskino. Im Ausland ist das erstaunlicherweise bekannter als in Deutschland. "Ein deutscher Kritiker schrieb einmal", so Jürgen Trimborn in seiner Biografie, "dass man im Ausland niemanden erklären müsse, wer Fassbinder sei, während man das in Deutschland mittlerweile tatsächlich tun müsse."

Jürgen Trimborns Fassbinder-Biographie ist im Propyläen-Verlag erschienen. Sehr viele Filme Fassbinders liegen auf DVD beim Anbieter "Studiocanal/Arthaus" vor.