Erdogan vs. Böhmermann vor dem Zivilgericht
2. November 2016Die Staatsanwaltschaft Mainz hatte erst im Oktober entschieden, dass das Schmähgedicht von Satiriker Jan Böhmermann keine Straftat darstellt und das Ermittlungsverfahren deshalb eingestellt. Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat die Beschwerde Erdogans gegen diese Einstellung Mitte Oktober abgewiesen.
Aber seit heute steht Böhmermann trotzdem vor Gericht. Bei den Verhandlungen vor dem Landgericht Hamburg geht es um die zivilrechtliche Ebene. Dabei stehen zwei Privatpersonen vor Gericht. Vor dem Landgericht Hamburg geht es jetzt um die Frage, ob die Ehrverletzung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan schwerer wiegt als die Kunst- und Meinungsfreiheit, auf die sich Böhmermann beruft.
Privatklage gegen Böhmermann In dem Schmähgedicht, das Böhmermann am 31. März 2016 in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" verlesen hatte, wurde das türkische Staatsoberhaupt unter anderem mit Kinderpornografie und Sex mit Tieren in Verbindung gebracht. Im Mai hatte das Hamburger Gericht bereits eine einstweilige Verfügung gegen Böhmermann erlassen, der seitdem den größeren Teil seines Gedichts nicht öffentlich wiederholen darf. Der türkische Präsident will mit der Privatklage erreichen, dass das gesamte Gedicht verboten wird. Als Termin für die Verkündung einer Entscheidung wurde der 10. Februar 2017 festgesetzt.
Schlagabtausch der Anwälte
90 Minuten lang erörterten am heutigen ersten Verhandlungstag die Anwälte von Kläger und Beklagtem ihre Positionen. Staatsoberhaupt und Moderator waren nicht persönlich anwesend. Böhmermann-Vertreter Christian Schertz benutzte die Einstellung der Strafermittlungen gegen seinen Mandanten als zentrales Argument. Die Staatsanwaltschaft Mainz habe den Tatbestand der Beleidigung verneint, so Scherz.
Erdogans Anwalt Michael-Hubertus von Sprenger stellte dagegen, die Strafermittlungen seien nur deswegen eingestellt worden, weil bei Böhmermann nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft in Mainz kein Vorsatz zu erkennen gewesen sei. Bei dem jetzigen Verfahren ginge es jedoch um die Frage, ob das Gedicht eine Schmähung sei: "Hier wird unter dem Deckmäntelchen der Kunst schwerste Beleidigung betrieben. Da gibt es keine Abwägung mehr, das ist unzulässig." Böhmermann habe Erdogan "als Prototyp des verlausten Türken" darstellen wollen. "Das ist schlicht rassistisch", so von Sprenger. Böhmermanns Anwalt Christian Schertz gab sich nach dem ersten Verhandlungstag siegessicher, er wolle notfalls durch alle Instanzen gehen. "Ich bin sicher, dass wir - jedenfalls in einer späteren Instanz - gewinnen werden."
Eine Satire-Beitrag als Politikum
Die Gerichtsverhandlungen erregen nicht nur wegen des prominenten Klägers großes Medieninteresse: Bundeskanzlerin Angela Merkel war wegen ihrer Äußerung im April, das Gedicht sei "bewusst verletzend" heftig kritisiert worden. Sie bezeichnete die Aussage zwar kurz danach als Fehler, musste sich aber den Vorwurf gefallen lassen, keine klare Kante für die Meinungsfreiheit gezeigt zu haben. "Die Bundeskanzlerin darf nicht wackeln wenn es um die Meinungsfreiheit geht", kommentierte Böhmermann selbst in einem Zeitungsinterview.
jhi/suc (dpa,epd,afp, Reuters)