Warum dieses Video nicht die Amoktat in Hamburg zeigt
10. März 2023Am Donnerstagabend waren im Hamburger Norden Schüsse zu hören. Die Hamburger Polizei eilte herbei und sperrte ein dreistöckiges Bürogebäude, aus dem die Schüsse kamen, ab. Als die Einsatzkräfte das Haus betraten, fanden sie nach Polizeiangaben acht Leichen, darunter "offenbar auch der mutmaßliche Täter". Er habe nach bisherigen Erkenntnissen allein gehandelt. Weitere Menschen sollen bei dem Angriff im Stadtteil Alsterdorf schwer verletzt worden sein.
Während die Hintergründe der tödlichen Schüsse noch unklar sind, verbreiten sich in den sozialen Medien schnell mehrere Videos, die angeblich den Tatort zeigen. Eines davon zeigt eine Szene auf einer belebten Straße bei Nacht, gefilmt von erhöhter Position aus einem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. In dem 27 Sekunden langen Clip sind Schüsse und Rufe zu hören. Das Video wird dutzendfach auf Twitter und Youtube hochgeladen und geteilt.
Behauptung: In einem Tweet schreibt ein Nutzer: "In Hamburg, Deutschland (Bezirk Alsterdorf), starben mindestens sechs Menschen, nachdem sie auf das Zentrum der Zeugen Jehovas geschossen hatten." Dazu postet der Nutzer ein Video einer Schießerei, die die Tat zeigen soll. Allein diesen Post sehen mehr als 120.000 Twitter-Nutzer.
DW Faktencheck: Falsch.
Das Video zeigt - anders als von vielen Social-Media-Usern behauptet - nicht die mutmaßliche Amoktat in Hamburg und stammt auch nicht aus Deutschland. Obwohl die Videoqualität nicht sehr gut ist, erkennt man bei vergrößerter Ansicht gut, dass die Bordsteine abwechselnd in rot und gelb bemalt sind. Diese Einfärbung ist für Bordsteine in Deutschland unüblich. Desweiteren ist im Video in hebräischer Sprache zu hören, wie eine Stimme "jemand liegt auf dem Boden" sagt, gefolgt vom wiederholten Ausruf "oh my God" auf Englisch.
Video zeigt Attentat in Tel Aviv
Eine Bilderrückwärtssuche mit gängigen Suchmaschinen führt zu keinem Treffer. Dafür finden wir auf Twitter eine Spur: Einige Social Media Nutzer kommentieren das Video mit den Worten "Tel Aviv". Wir folgen dieser Spur und stoßen bei Recherchen in Suchmaschinen auf ein Attentat in Tel Aviv am 9. März. Darüber berichten unter anderem die Jerusalem Post und die Times of Israel. Dabei verletzte ein bewaffneter Angreifer drei Menschen, einen davon schwer, bevor er selbst von Kugeln tödlich getroffen wurde. Die militant-islamistische Palästinenserorganisation Hamas bekannte sich nach Medieninformationen zu der Tat, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.
Beide israelischen Zeitungen erwähnen den Ort des Geschehens: Die Dizengoff Street in Tel Aviv. Über eine weitere Suche zu dem Schusswechsel in der Dizengoff Street stoßen wir auf diesen Tweet des Nachrichtensenders Nexta, der das exakt selbe Video zeigt, wie die Nutzer, die über den Vorfall in Hamburg twittern. Alles deutet also darauf hin, dass das Video nicht in Hamburg, sondern in Tel Aviv entstand.
Netanjahu bezeichnet Tat als "Terror-Angriff"
Gewissheit bringt eine Geolokalisierung: Wir suchen nach der Dizengoff Street in Tel Aviv und Anhaltspunkten, die wir im Video erkennen können: Eine Bank, daneben eine Laterne, ein Baum, eine Bushaltestelle mit Leuchtreklame und den rot-gelben Bordsteinen am Fahrbahnrand. Um die Suche etwas einzuengen, suchen wir nach weiteren Videos, die die Tat in Tel Aviv zeigen. Einige der Videos (Achtung! Gewaltdarstellung) sowie ein Foto, das die Times of Israel veröffentlicht, zeigen Geschäftsnamen an den Fassaden der Häuser: Blueberry und Buy Digital. Eine Suche nach diesen Geschäften auf der Dizengoff Street mit Google Maps führt uns tatsächlich zum Tatort. Auf Google Street View sind in Höhe der Dizengoff Street 181 Bank, Laterne, Baum, Bushaltestelle und die rot-gelben Bordsteine, sowie das Geschäft mit dem Namen Blueberry gut zu erkennen.
Das Video lässt sich somit eindeutig verorten: Es entstand in Tel Aviv, nicht in Hamburg und es zeigt somit nicht den Amoklauf im Stadtteil Alsterdorf, sondern das Attentat eines Palästinensers, der zur Hamas gehört haben soll. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bezeichnete die Tat als "Terror-Angriff".