Faktencheck: Verstößt Indien gegen Ölembargo?
25. Juni 2022Importiert Indien mehr Öl aus Russland?
Behauptung: " […] Indien, das die Gunst der Stunde nutzt und von den Sanktionen weiß, bezieht Öl aus Russland mit einem Rabatt von 40 Prozent", schreibt der Twitter-User Igor Fedorovsky auf Russisch.
DW-Faktencheck: Richtig.
Seit der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar haben indische Raffinerien ihre Einfuhr von Rohöl aus Russland gesteigert. Nach Angaben des in Finnland ansässigen Forschungszentrums "Center for Research on Energy and Clean Air" (Crea) legten die Importe seit dem Beginn der russischen Invasion stark zu. Demnach stieg Indiens Anteil an russischen Rohölexporten bis Mai von einem auf 18 Prozent. Verdrängt worden sind andere Anbieter, zum Beispiel aus Saudi Arabien und dem Irak.
Doch die Rabatte auf russisches Rohöl sind nur ein Grund für die gestiegenen Einfuhren. Ein weiterer Grund ist der wachsende Energiebedarf auf dem Subkontinent. Nach OPEC-Schätzungen wird der aktuelle nationale Bedarf von 4,7 Millionen Barrel pro Tag auf 5,15 Millionen Barrel im kommenden Jahr steigen. Die indische Eigenproduktion betrug nach Angaben des "Statistical Review of World Energy 2021" von British Petrol BP 2020 pro Tag lediglich 0,77 Millionen Barrel Öl.
Schon jetzt ist Indien nach BP-Angaben der weltweit drittgrößte Energieverbraucher. Die der indischen Regierung unterstehende Stiftung "India Brand Equity Foundation" (Ibef) beschreibt den Energiehunger mit folgenden Worten: "Indiens Bedarf an Öl wird sich bis 2045 auf rund elf Millionen Barrel täglich verdoppeln".
Ist der Öl-Export nach Europa für Indien lukrativ?
Behauptung: " […] Indien raffiniert das russische Öl und verkauft das Endprodukt an USA und EU. Wirklich: Capitalism at it's best", schreibt Linksparteimitglied Dominik Lehmann.
DW-Faktencheck: Nicht belegbar.
Richtig ist, dass Indien in jüngster Zeit nicht nur seine Ölimporte, sondern auch seine Ölexporte massiv gesteigert hat. Nach Angaben des Indischen Handelsministeriums summierten sich diese im April und Mai 2022 auf einen Wert von 15,99 Milliarden Dollar. Im Vergleichszeitraum 2021 lag der Wert bei 8,94 Milliarden Dollar.
Das Forschungszentrum Crea schlussfolgert daraus, dass russisches Rohöl in Indien weiterverarbeitet wird. Die internationale Energieconsultingfirma Rystadenergy teilt diese Einschätzung: "Wie einst beim Ölembargo gegen den Iran wird Rohöl aus Russland nun in anderen Ländern raffiniert", heißt es in einer Analyse der Firma vom 20. Juni. Auf dem internationalen Ölmarkt sei es fast unmöglich, dieses Öl zu unterscheiden.
Auch die Statistiken des indischen Handelsministeriums belegen die veränderten Handelswege. Für April dieses Jahres weisen sie Öl-Exporte in Höhe von rund einer Milliarde Dollar in die EU aus. Im April 2021 lag der Export von indischen Mineralölprodukten noch bei 287 Millionen Euro.
Auch Nordamerika erhöhte die Einfuhr von Mineralölprodukten aus Indien. Im April 2022 summierten sich die Importe auf 435 Millionen Dollar, im April 2021 betrug der Wert 220 Millionen Dollar.
Wie lukrativ die Mineralölexporte für Indien wirklich sind, bleibt allerdings abzuwarten. Denn den Abschlägen beim Kauf von russischem Rohöl und den hohen Ölpreisen auf dem Weltmarkt, so der Crea-Report, stehen stark gestiegene Kosten beim Transport und bei der Versicherung der Fracht gegenüber.
Unterläuft Indien das Ölembargo gegen Russland?
Behauptung: "Asiatische Länder kaufen vergünstigtes russisches Öl auf und unterlaufen so die Sanktionen des Westens. Es scheint, als sei Indien kein Freund der Demokratie", schreibt Alan Sked, emeritierter Professor für internationale Geschichte an der London School of Economics (LSE).
DW-Faktencheck: irreführend.
Es gibt kein Verbot, das Indien den Rohstoffhandel mit russischem Öl untersagt. Ein komplettes Embargo gegen russisches Öl, Gas und Kohle existiert bisher nur in den USA, Kanada und Australien.
In der EU und Großbritannien wurden die verschärften Sanktionen gegen Russland erst am 3. Juni beschlossen und treten erst nach und nach in Kraft. Zudem sind zahlreiche Ausnahmen vorgesehen.
Großbritannien hat für das Importverbot russischer Ölprodukte eine Übergangsphase bis Ende des Jahres bestimmt. In der EU sind Kohleimporte ab August und Ölimporte per Schiff ab Dezember verboten. Lieferungen von Öl und Gas über Pipelines sind von den Sanktionen ausgeschlossen.
Viele westliche Mineralölkonzerne haben vor Beginn des Embargos noch zusätzliche Lieferverträge abgeschlossen, um von den Preisabschlägen auf russisches Rohöl zu profitieren. Auch europäische Reedereien verdienen an den durch das Embargo ausgelösten längeren und komplizierteren Handelsrouten.
Nach Angaben des Forschungszentrums Crea wurden im April und Mai dieses Jahres 75 Prozent des russischen Rohöls auf griechischen Tankern nach Indien und in den Nahen Osten transportiert.
Fazit: Ob Indien das EU-Embargo gegen Russland unterläuft, wird sich frühestens zeigen, wenn dieses vollständig in Kraft getreten ist. Die Herkunft von Ölprodukten nachzuweisen, werde allerdings schwierig bleiben, sagt Rystadenergy-Vize-Präsident Wei Cheong Ho: "Es kann darauf hinauslaufen, dass Europa Mineralölprodukte aus Indien einführt, die mit russischem Öl vermengt sind. Die Nachverfolgung der Verwendung von russischem Öl wird eine Herausforderung."