Sport: Sind Transathleten im Vorteil?
2. August 2021Es ist ein sporthistorischer Moment: Am Montag (02.08.21) trat mit der Neuseeländerin Laurel Hubbard die erste offen lebende Transgender-Frau bei Olympischen Spielen zu einem Gewichtheben-Wettkampf an. Die 43-jährige Neuseeländerin konnte die Erwartungen jedoch nicht erfüllen und schied im Superschwergewichts-Wettbewerb nach drei Fehlversuchen im Reißen aus.
Ihr Olympiadebüt war dennoch nicht unumstritten: Als sie nominiert wurde, begann eine sportethische Debatte über Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Kritiker sind der Meinung, ihre Teilnahme als Transfrau im Klassement der Frauen sei eine Gefahr für einen fairen Wettkampf. Andere sagen, Transathleten könnten nicht ausgeschlossen werden, wenn es für sie keine bedeutenden Vorteile gebe. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es über Transmenschen im Sport? Ein Blick auf die Fakten.
Was weiß die Wissenschaft über Transgender-Sportler im Spitzensport?
Es gibt nur wenige Studien über die sportliche Leistungsfähigkeit von Transpersonen - und bis heute gibt es Experten zufolge keine veröffentlichten Studien über Transathleten im Spitzensport.
Eine Studie von 2020 untersuchte US-Militärangehörige, die sich während ihrer Dienstzeit der Geschlechtsangleichung unterzogen. Sie stellte fest, dass Transfrauen nach einem Jahr feminisierender Hormontherapie sportlich besser abschnitten als Nicht-Transgender-Frauen, die auch als Cisgender-Frauen bezeichnet werden. Nach zwei Jahren glich sich die Leistungsfähigkeit weitgehend an. Aber selbst dann liefen Transfrauen immer noch um zwölf Prozent schneller.
Die Untersuchung wurde von Dr. Timothy Roberts, einem Kinderarzt und außerordentlichen Professor an der Universität von Missouri-Kansas City, und seinen Kollegen durchgeführt. Roberts wies jedoch darauf hin, dass man beim Unterschied der Laufzeiten den größeren Kontext beachten muss: "Nach zwei Jahren betrug der Vorteil bei den Laufzeiten zwölf Prozent. Aber um zu den besten zehn Prozent der Läuferinnen zu gehören, muss man 29 Prozent schneller sein als die Durchschnittsfrau. Und um eine Eliteläuferin zu sein, muss man 59 Prozent schneller sein als die durchschnittliche Cis-Frau", sagte er der DW.
In einer anderen Studie des Sportwissenschaftlers Tommy Lundberg wurde festgestellt, dass Transfrauen, die sich einer feminisierenden Hormontherapie unterzogen, nach einem Jahr ihre Kraft im Allgemeinen beibehielten.
Haben Transfrauen einen Vorteil, wenn sie im Spitzensport antreten?
Ohne Hormontherapie - ja. Aber auch mit Hormontherapie, bei der in der Regel der Testosteronspiegel gesenkt und der Östrogenspiegel angehoben wird, bleibt ein Vorteil. "Wie man es auch dreht und wendet, Transfrauen haben auch nach einer Hormontherapie einen Kraftvorteil. Das ist für mich nichts anderes als eine Tatsache", sagt Joanna Harper, Medizinphysikerin an der britischen Loughborough University.
Kraft ist einer von mehreren Schlüsselfaktoren - einschließlich Explosivität, Ausdauer und der fettfreien Körpermasse -, die darüber entscheiden, ob ein Sportler einen Vorteil hat.
Harper, deren Forschung sich auf Trans-Läuferinnen wie sie selbst konzentrierte, weist jedoch die Vorstellung zurück, dass Transfrauen im Sport einen "unfairen" Vorteil hätten. Sie weist darauf hin, es gebe viele andere Faktoren, die die Leistung eines Sportlers beeinflussten - wie der Hand-Augen-Koordination und der Technik, die für herausragende Leistungen in Sportarten wie Golf erforderlich seien.
Einer der wichtigsten Faktoren im Ausdauersport ist der Hämoglobinspiegel. Der Blutfarbstoff transportiert den Sauerstoff durch den ganzen Körper, auch zu den Muskeln. Der Hämoglobinspiegel ist abhängig vom Testosteronspiegel. In Harpers Studie wurde festgestellt, dass Testosteronhemmer den Hämoglobinspiegel von Transfrauen auf den von Cis-Frauen senken und damit den Vorteil aufheben.
Tommy Lundberg, dessen Forschung am schwedischen Karolinska-Institut sich auf die Skelettmuskelkraft von Transpersonen konzentriert, die eine Hormontherapie erhalten, sieht es mit der Fairness jedoch anders. "Das große Problem im Moment ist: Selbst die [Hormon-]Therapie hebt den Vorteil nicht so weit auf, dass man behaupten kann, es sei Fairness erreicht worden", sagte Lundberg der DW. "Und das IOC (Internationales Olympisches Komitee) erklärt einen fairen Wettbewerb zum übergeordneten Ziel. So steht es in den Richtlinien."
In einer anderen von Lundberg mitverfassten Arbeit, die untrainierte Transfrauen untersuchte, fanden Lundberg und seine Kollegin heraus, dass "der muskuläre Vorteil von Transgender-Frauen nur minimal reduziert wird, wenn Testosteron unterdrückt wird".
Doch alle diese Studien haben ihre Grenzen und ihre Ergebnisse sollten "mit einem gewissen Vorbehalt betrachtet" werden, wie Harper sagt, wenn man Aussagen über Transsportler treffen möchte. "Wenn man nach Informationen über Cis-Sportler sucht, würde man dafür niemals Studien über nicht-sportliche Transpersonen verwenden. Es ist nur so, dass wir keine Daten über Transgender-Sportler haben", benennt Harper das Problem.
Ab wann zeigen sich bei der sportlichen Leistung Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Jungen und Mädchen haben unabhängig von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht eine ähnliche Muskelmasse. Roberts, ein Kinderarzt, der sich auf Jugendmedizin spezialisiert hat, sagt: "Vor der Pubertät gibt es keinen Grund für eine Geschlechtertrennung zwischen Jungen und Mädchen. Sie sind physiologisch gesehen ziemlich gleichwertig."
Erst wenn ein Kind in die Pubertät kommt, werden die Unterschiede in der sportlichen Leistung deutlich - und zwar dann, wenn die Jungen einen Testosteronschub erleben. Laut Lundberg geschieht das etwas ab einem Alter von 11 Jahren.
Studien über jugendliche Transsportler gibt es nicht. Demnach existieren auch keine Daten über Transsportler, die während der Pubertät Pubertätsblocker einnahmen oder sich einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie unterzogen - und schon gar nicht vor der Pubertät. Dies liegt teilweise an den Leitlinien. Die World Professional Association for Transgender Health verlangt, dass Transgender-Jugendliche die Pubertät begonnen haben müssen, bevor sie sich einer Pubertätsunterdrückung unterziehen, der ersten Phase vor einer Hormontherapie.
Wie hoch ist der empfohlene Testosteronspiegel für Transfrauen im Wettkampf?
Dies ist ein heikles Thema, bei dem sich Sportwissenschaftler nicht einig sind. Der "normale" gesunde Bereich für Cis-Frauen liegt nach Schätzungen der Mayo-Klinik zwischen 0,3 und 2 Nanomol pro Liter (nmol/l) - allerdings variieren diese Werte von Labor zu Labor. Frauen mit einem Polyzystischem Ovarialsyndrom - zwischen vier bis zwölf Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter sind betroffen - haben in der Regel höhere Testosteronwerte, die bis zu 5,2 nmol/l erreichen können. "Gesundes" männliches Testosteron reicht von 8,3 nmol/l bis 32,9 nmol/l.
Nach den Vorschriften des IOC können Transfrauen an Wettkämpfen teilnehmen, wenn ihr Testosteronspiegel in den zwölf Monaten vor ihrem ersten Wettkampf unter 10 nmol/l beträgt und diese Grenze auch weiterhin nicht übersteigt.
Die jüngsten Veröffentlichungen von Roberts und Lundberg haben jedoch dazu geführt, dass das IOC nach Laurel Hubbards Starterlaubnis im Gewichtheben aufgrund der Zulassungskriterien erneut in die Kritik geraten ist. Das IOC erklärte jedoch, es werde seine 2015 eingeführten Richtlinien erst nach den Spielen in Tokio überprüfen.
Der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) hat 2019 seine Regeln geändert und verlangt, dass der Testosteronspiegel mindestens zwölf Monate lang kontinuierlich unter 5 nmol/L liegt. Dieses Kriterium für Transfrauen wird unter anderem von Medizinphysikerin Harper unterstützt, die darauf hinwies, dass die aktuellen Richtlinien des IOC auf veralteten Techniken zur Messung des Testosteronspiegels beruhen.
Die Kriterien der IAAF stehen jedoch im Widerspruch zur Studie von Roberts über Transmenschen im Militär, wonach eine zweijährige Hormontherapie vor der Teilnahme an Wettkämpfen erforderlich ist.
Sportwissenschaftler Lundberg sagte jedoch, es gebe keine ausreichenden Beweise dafür, dass zwei Jahre ausreichen würden, um in den meisten Sportarten Fairness in der weiblichen Kategorie zu gewährleisten. "Es wäre eine einfache Lösung, wenn man die Regelung einfach auf zwei Jahre statt auf ein Jahr ändern könnte. Aber auch das halte ich nicht für eine praktikable Lösung."
Haben Transmänner einen Vorteil im Spitzensport?
"In unserer Studie haben wir festgestellt, dass Transmänner tatsächlich dominieren", sagte Roberts und bezog sich dabei auf seine Studie über Transmenschen im US-Militär. Nach einer einjährigen Behandlung mit maskulinisierenden Hormonen gab es keinen Unterschied bei den Liegestützen oder Laufzeiten. Doch konnten Transmänner in einer Minute mehr Rumpfbeugen absolvieren als Cis-Männer beziehungsweise Nicht-Transgender-Männer. "Aber niemand behauptet, dass Transmänner den Männersport dominieren werden", sagte Roberts
Während Transmänner zwar im Fitnesstest besser abschnitten, gibt es andere Aspekte - wie etwa die Körpergröße, die in der Pubertät ausgeprägt wird -, die Cis-Männern in anderen Schlüsselbereichen weiterhin Vorteile verschaffen.
"Die weibliche Pubertät verschafft einem keinen grundsätzlichen Skelettvorteil gegenüber einem durchschnittlichen Cis-Mann", sagt Roberts. "Mit Testosteron werden Unterschiede ausgeglichen, aber es gibt nicht diesen zusätzlichen anatomischen Vorteil, den eine Transfrau gegenüber einer Cis-Frau hat - ein Transmann wird diesen Vorteil gegenüber einem Cis-Mann nicht haben", ergänzt er.
Der Sportwissenschaftler Lundberg merkt an, dass die Teilnahme von Transmännern in Sportwettbewerben daher nicht ein so sensibles Thema ist wie bei den Frauen. "Selbst wenn [Transmänner] Testosteron bekommen, ist es keine Gefahr für die Fairness, wenn sie in die Männer-Kategorie wechseln", sagte er. Ein Problem wäre, wenn sie weiter bei den Frauen antreten wollen würden, auch wenn sie Testosteron bekommen - "denn dann wäre es Doping".
Dieser Artikel wurde aktualisiert.
Adaption aus dem Englischen: Uta Steinwehr