Faktencheck: Keine Anzeichen für "Wahlbetrug"
26. September 2021Nein, kein "Wahlbetrug", wenn Vorhängeschloss an Wahlurne offen
Die Aufregung im Netz war groß: Armin Laschet brach das Wahlgeheimnis, weil er bei der Stimmabgabe seinen Stimmzettel falsch gefaltet hatte. Doch aufmerksamen Beobachtern fiel auf Fotos der Situation noch etwas anderes auf: Das Vorhängeschloss an der Urne war nicht richtig geschlossen. Manche Nutzer forderten den Bundeswahlleiter zu einer Stellungnahme auf, andere sprachen von einem angeblichen Wahlbetrug.
Müssen Wahlurnen mit einem geschlossenen Vorhängeschloss verschlossen sein? Nein. "Die Wahlurnen müssen verschlossen sein, aber es ist nicht rechtlich festgelegt in welcher Form sie verschlossen sein müssen", stellt Florian Burg, Pressesprecher des Bundeswahlleiters auf DW-Anfrage fest. Vorhängeschlösser seien nicht zwingend vorgesehen, insofern stellen geöffnete Schlösser auch keinen Verstoß dar, so Burg. In § 51 der Bundeswahlordnung heißt es: "Die Wahlurne muss mit einem Deckel versehen sein. (...) Sie muss verschließbar sein."
Ein altes Siegel sorgt für Verwirrung
Gleiches gilt auch für Siegel: Wahlurnen müssen nicht versiegelt sein. Ein Nutzer hatte ein Foto eines gebrochenen Wahlsiegels auf Twitter veröffentlicht und dies als "Wahlbetrug" gewertet. Dem widersprach Florian Burg: "Es gibt keine Einheitswahlurne. Insofern ist nur geregelt, wie groß sie sein muss, aber nicht wie sie verschlossen sein muss. Siegel sind keine Vorgabe." Dies ist auch auf der Webseite des Bundeswahlleiters nachzulesen.
Der Vorwurf bezieht sich laut Tweet auf ein Wahllokal in der Stadt Preußisch Oldendorf im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Auf DW-Anfrage bestätigte Bürgermeister Marko Steiner, dass das Team in dem Wahllokal auf ein gebrochenes Siegel aufmerksam gemacht wurde und dem nachgegangen sei. Das Ergebnis: Es handele sich um altes Siegel einer vorherigen Wahl, das "aus welchen Gründen auch immer" nicht entfernt worden sei, sagte Steiner. Von welcher Wahl genau das Siegel stammt, konnte die Stadt nicht mehr herausfinden.
Wie der Sprecher des Bundeswahlleiters sagt auch Bürgermeister Steiner: "Laut Verordnung muss die Wahlurne verschlossen sein. Das ist bei uns üblicherweise mit einem Schloss." Auf den Fotos des Nutzers ist ein kleines Vorhängeschloss zu sehen. Der Wahlvorstand habe der Stadt noch einmal bestätigt, dass er die Urne vor Beginn der Wahl überprüft habe, ergänzt Steiner. Sie sei leer gewesen, danach sei sie mit dem Schloss verschlossen worden. Nach Angaben des Bürgermeisters hat der Wahlvorstand den Schlüssel verwahrt, bis die Wahllokale geschlossen wurden. Von einem Wahlbetrug kann also auch in diesem Fall keine Rede sein.
Fehlende Wahlzettel
Ein weiterer Aufreger am Wahlabend: Hunderte Berlinerinnen und Berliner warteten auch nach 18 Uhr noch darauf, ihre Stimmabe abgeben zu können, weil die Wahlzettel in einigen Wahllokalen ausgegangen waren. Wegen des Berlin-Marathons war es dann wohl auch noch schwierig für Nachschub zu sorgen.
Einige User sahen darin einen Fall von Wahlbetrug. Wenn nicht genug Wahlzettel vorhanden seien, könnten nicht alle ihre Stimmen abgeben und die Nachbeschaffung der Zettel könne so lange dauern, dass die Stimmabgabe dann nicht mehr gezählt werden könne.
Falsch. Auch wartende Personen außerhalb des Lokals dürfen noch wählen - auch noch nach dem Ende der Wahlzeit um 18 Uhr, stellte Florian Burg klar. "Wenn man noch in der Schlange steht, wird man noch reingelassen. Alle, die in der Schlange stehen, dürfen noch wählen. Die Schlange zählt zum Wahlraum." Auch diese Regelung ist in der Bundeswahlordnung schriftlich festgehalten.
Verschiebungen durch Briefwahl kein Anzeichen für Wahlbetrug
Bereits im Vorfeld der Wahl äußerten Vertreter der AfD Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Briefwahl und griffen dabei ein Narrativ auf, das bereits Donald Trump und die Republikaner im US-Wahlkampf 2020 verbreitet hatten. So überraschte es nicht, dass auch nach der Wahl im Netz Manipulationsvorwürfe rund um die Briefwahl laut wurden - wie zuvor aber ohne jegliche Belege. Ein Nutzer auf Telegram führte beispielsweise das Abrutschen der AfD zwischen zwei Prognosen auf Ungereimtheiten bei der Briefwahl zurück: "Das war in Amerika genauso, die Briefwahlen stehen für Betrug", schreibt der anonyme Account auf Telegram.
Falsch. Die Auszählung der Briefwahlunterlagen wird nach der Bundeswahlordnung durch Briefwahlvorstände vorgenommen und ist durch mehrere Maßnahmen vor Manipulation geschützt, wie unser DW-Faktencheck zur Briefwahl ausführt. Die Briefwahl kann dabei durchaus zu Verschiebungen der Gewichte führen. Die AfD fuhr eine eigene Wahl-Kampagne gegen die Briefwahl ("Steck ihn selber rein!") und forderte ihre Anhänger zur Vor-Ort-Wahl auf. Ein geringerer Anteil AfD-Wähler unter den Briefwählern war somit von Beobachtern erwartet worden.
Doch, die AfD war in Göttingen wählbar
Auch in der Stadt Göttingen kam es zu Manipulationsvorwürfen: Hier fehlte auf den Zetteln für die Auszählung der Bundestagswahl 2021 die AfD. Das bedeutet nicht, dass Wähler die AfD nicht auf ihrem Stimmzettel finden konnten, wie manche User kritisierten: "Viele konnten gar nicht wählen weil sie AFD wählen wollten aber diese in mehreren Städten nicht auf dem Wahlzettel standen. In Göttingen z. B." Falsch. Die AfD war auch in Göttingen wählbar.
Aber es bleibt ein Fehler auf den Auszählungslisten: Hier war die AfD zunächst nicht gelistet. Die Anzahl der Stimmen für die Partei hätten dadurch nicht in die Ergebnisliste eingetragen werden können. Laut Erik Feßler, dem Wahlleiter der Stadt, wurde der Fehler früh bemerkt, und die Auszählungslisten konnten noch vor 18 Uhr in allen 111 Wahllokalen ausgetauscht werden. Also vor Ende der Stimmabgabe, und rechtzeitig zur Auszählung. Die Stimmen für die AfD wurden also erfasst.
Mitarbeit: Anna Bakovic, Gudrun Haupt
Dieser Artikel wurde aktualisiert.