Wie groß ist die Infektionsgefahr draußen?
12. April 2021Wie wahrscheinlich ist es, sich draußen mit dem Coronavirus zu infizieren?
Die Wahrscheinlichkeit sich im Freien mit dem Virus zu infizieren, ist deutlich geringer als in geschlossenen Räumen - sowohl bei der ursprünglichen Variante des Coronavirus als auch bei den Mutationen. Führende Aerosolforscher sagen sogar: "Die Übertragung der SARS-CoV-2 Viren findet fast ausnahmslos in Innenräumen statt. Übertragungen im Freien sind äußerst selten und führen nie zu 'Clusterinfektionen' (gemeint sind Ansteckungen von mehreren Personen gleichzeitig, Anm. d. Red.), wie das in Innenräumen zu beobachten ist", schreiben fünf führende Mitglieder der Gesellschaft für Aerosolforschung (GAeF) in einem offenen Briefan die deutsche Bundesregierung und Ministerpräsidenten der Bundesländer.
Die Argumentation der Forscher: Aerosole hielten sich in geschlossenen und besonders in engen Räumen viel länger als an der frischen Luft. "In der Fußgängerzone eine Maske zu tragen, um anschließend im eigenen Wohnzimmer eine Kaffeetafel ohne Maske zu veranstalten, ist nicht das, was wir als Experten unter Infektionsvermeidung verstehen", heißt es in dem Brief, der jedoch eher als Debattenbeitrag zu verstehen ist und keine neuen Daten aus Studienergebnissen enthielt.
Auf DW-Anfrage wollte sich das Robert-Koch-Institut (RKI), das als Bundesbehörde auch die Infektionsorte in Deutschland auswertet, nicht zu dem Brief der Forscher äußern. Es gehe aber in dieser Debatte nicht nur um die Infektionsgefahr draußen in Parks oder Fußgängerzonen, sondern auch um die Wege dorthin - beispielsweise per Bus und Bahn. Grundsätzlich schreibt aber auch das RKI im Steckbrief zum Coronavirus: "Übertragungen im Außenbereich kommen insgesamt selten vor. Bei Wahrung des Mindestabstandes ist die Übertragungswahrscheinlichkeit im Außenbereich aufgrund der Luftbewegung sehr gering."
Warum ist die Infektionsgefahr draußen geringer?
Aerosole, also ganz kleine Tröpfchen in der Luft, spielen eine entscheidende Rolle bei der Übertragung des Coronavirus. Diese Aerosole werden laut Experten draußen schneller ungefährlich. "Das hat damit zu tun, dass die Luftzirkulation im Freien sehr viel größer ist. Es gibt Windverwehungen, und dadurch kommt natürlich sehr schnell ein Verdünnungseffekt zum Tragen", erklärt Nico Mutters, Leiter des Instituts für Hygiene und Öffentliche Gesundheit am Universitätsklinikum Bonn, der DW.
Auch Birgit Wehner, Aerosolforscherin am Leibniz-Institut für Troposphärenforschung, sagt, dass Tröpfchen, die ausgeatmet würden, draußen schneller abtrocknen und dann auch schneller verdünnt würden. In einem früheren Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung, das auch Wehner unterzeichnete, heißt es aber, dass vor allem in größeren Menschenmengen mit geringen Abständen auch im Freien eine Ansteckung nicht ausgeschlossen sei.
Also muss auch im Freien die Regel von 1,50 Meter bis zwei Meter Abstand eingehalten werden. "Wenn Sie diesen Abstand nicht einhalten und wenn Sie sich face-to-face anschauen und laut reden, singen, schreien, spucken, dann können Sie sich statt durch aerogene Infektionen durch Tröpfcheninfektion anstecken, also quasi anspucken", sagt der Virologe Alexander Kekulé im DW-Interview. Kekulé ist in den Medien bekannt für seine Kritik an den Maßnahmen der Regierung - laut Kekulé müsse man mit dem Virus klarkommen, ohne das Leben zu sehr zu beschränken.
Die gängige Abstandsregel gilt dem Virologen zufolge auch für die Mutation. Kekulé betont: "Die Mutanten fliegen nicht weiter, das ist ganz wichtig zu sagen." Sie seien ein bisschen ansteckender, aber das mache für die Gegenmaßnahmen keinen Unterschied.
Auch auf Küsse oder Umarmungen sollte man deswegen lieber verzichten. Bei normalen Bewegungen - wie kurzem Vorbeilaufen - drohe im Freien so gut wie keine Gefahr.
Auch Studien bestätigen, dass die Gefahr, sich im Freien anzustecken, sehr gering ist. Eine Untersuchung aus China besagt beispielsweise, dass sich von 7324 gemeldeten Infektionen nur eine im Freien ereignet habe. In Deutschland geben die vom RKI erfassten Daten zu Ausbrüchen (zwei Infektionen und mehr) keine verlässliche Aussage zum Unterschied zwischen Ansteckungen in Innenräumen oder im Außenbereich. Da längst nicht alle Infektionsorte herausgefunden werden können, lassen sich nur grobe Erkenntnisse ableiten, etwa dass aktuell die meisten Infektionen in Privathaushalten im beruflichen Umfeld sowie in Kindergärten stattfinden.
Inwiefern spielt Wind eine Rolle beim Übertragen des Virus?
"Je windiger es ist, desto mehr wird die Aerosolwolke, die man produziert, natürlich weggeweht", erklärt der Aerosolforscher und Physiker Gerhard Scheuch.
Immer wieder werden in den Sozialen Netzwerken auch Fotos geteilt, auf denen zahlreiche Gruppen auf einer Wiese sitzen. Doch auch hier gibt Birgit Wehner Entwarnung: Dass ein starker Wind die Aerosole so weitertragen könnte, dass sich eine andere Gruppe anstecken könnte, sei sehr unwahrscheinlich. Solange der Mindestabstand gewahrt würde.
Scheuch hält dieses Szenario sogar für "absolut ungefährlich". Im DW-Interview sagte er: "Allein durch die Körperwärme wird ein gewisser Luftstrom erzeugt, der meistens wie ein Kamin nach oben geht." Denn meistens sei die Körpertemperatur von etwa 37 Grad höher als die Außentemperatur. "Dann steigt die wärmere Luft nach oben und dann steigt auch diese Aerosolwolke nach oben."
Auch eineiranische Studie zeigte keine Hinweise darauf, dass COVID-19 über Wind übertragen wird.
Macht es einen Unterschied, wenn es warm oder kalt draußen ist?
Diese Frage ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Amerikanische Forscher untersuchten beispielsweise Ansteckungen in warmen, kalten, trockenen und feuchten Regionen in China und fanden keinen Zusammenhang zwischen Klimabedingungen und der Zahl von Ansteckungen.
Eine österreichische Studie bestätigt aber, dass UV-Strahlung Viren vernichte. "Auf die direkte Ansteckung von Mensch zu Mensch habe die UV-Strahlung vermutlich aber nur geringfügige Auswirkungen", betonen die Forscher dennoch, da die Ansteckung innerhalb von Minuten geschehen könne.
Auch die Aussagen der von der DW befragten Experten gehen hier auseinander. Nico Mutters sagt, man könne nicht pauschal sagen, dass in warmen Jahreszeiten draußen weniger Ansteckungsgefahr bestehe als in kalten. "So besteht zwar allgemein im Sommer eine höhere UV-Strahlung, aber noch höhere Werte werden durch die Reflexion am Schnee beispielsweise beim Skifahren erreicht. Sie sehen also, ob es warm oder kalt ist, hat nicht pauschal eine starke Auswirkung auf die Übertragungswahrscheinlichkeit", erklärt Mutters. Zudem gebe es weltweit viele Ansteckungen, egal, ob in warmen oder in kalten Regionen.
Der Virologe Alexander Kekulé ist da anderer Meinung. Die Infektionen, auch in warmen Ländern, würden ja nicht alle draußen geschehen, sondern drinnen. "Gerade weil man sich dort oft drinnen aufhält, mit Klimaanlagen und Ventilatoren", sagt Kekulé.
Sind Sportler potenziell ansteckender?
Auch bei Begegnungen mit Sportlern im Freien reicht es laut Experten aus, den Mindestabstand einzuhalten - auch wenn Sportler tiefer ein- und ausatmen und dabei mehr Partikel abgeben.
"Wenn ein Jogger einfach nur kurz an einem vorbeiläuft, selbst mit geringem Abstand, ist das Risiko sehr gering", sagt Aerosolforscherin Birgit Wehner der DW.
Das bestätigt auch Gerhard Scheuch. Auch beim Sport brauche man mehrere Minuten engeren Zusammenstehens, damit man sich infizieren könne. Deswegen sehe er auch bei Kontaktsport wie Fußball oder Basketball draußen kein Problem. "Das Problem entsteht, wenn man Kabinen zum Umziehen benutzt oder man muss Toiletten benutzen. Das sind die gefährlichen Bereiche. Da muss man darauf achten, dass diese Bereiche gut gelüftet werden", erklärt Scheuch. Ansonsten könne man draußen mit dem notwendigen Abstand die Maßnahmen lockern, so der Aerosolforscher.
Eine niederländische Studie hatte vergangenes Jahr dagegen besagt, dass man zu Sportlern deutlich mehr Abstand halten müsse- bei Radfahrern sollten Abstände von bis zu 20 Metern gehalten werden. Diese Studie ist allerdings umstritten: Sie wurde in einem Windkanal gemacht und nicht unter realen Bedingungen.
Ist die Begegnung mit Rauchern gefährlicher als mit anderen Personen?
Bisher gibt es noch keine Studien, die das Passivrauchen in Verbindung mit einer größeren Infektionsgefahr untersuchen. Vergangenes Jahr sorgte aber die spanische Regierung für Schlagzeilen, da sie das Rauchen auch auf freien öffentlichen Plätzen verbot. Dies galt aber nur für die Orte, an denen ein Abstand von zwei Metern nicht eingehalten werden konnte.
Wenn der Abstand eingehalten werde, seien Raucher nicht potenziell ansteckender als Nichtraucher, sagt der Aerosolexperte Scheuch. "Das Rauchen fördert nicht mehr Viren nach draußen", erklärt er. Auch der Mediziner Mutters sagt, dass Raucher nicht per se kranker seien als andere - und auch nicht potenziell ansteckender.
Einzig fest steht dem Robert-Koch-Institut zufolge, dass Raucher ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf von COVID-19 haben.
Ist es sinnvoll, draußen eine Maske zu tragen?
Im Freien ist es sinnvoll, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, wenn der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann. Vor allem dann, wenn Menschen enger zusammenstehen und man in großen Menschenmassen nicht ausweichen kann.
Mutters sagt, dass bei wenig Abstand bei Konzerten beispielsweise Masken auf jeden Fall Sinn machen würden. Auch Wehner erklärt: "Wenn man an einer Haltestelle steht, in einer Schlange ansteht und sich unwohl fühlt, dann ist eine Maske natürlich gut."
Dieser Artikel wurde zuletzt am 12. April 2021 aktualisiert.