Russische Trolle im Baltikum
8. Oktober 2017Es ist zehn Jahre her, dass Estland Ziel eines beispiellosen Cyber-Angriffs wurde. Banken, Behörden, Polizei und Regierung waren tagelang lahmgelegt. Zur selben Zeit kam es in den Straßen der Hauptstadt Tallinn zu gewaltsamen Auseinandersetzungen - weil ein sowjetisches Kriegsdenkmal verlegt werden sollte. Hunderte, darunter auch extra angereiste Demonstranten aus Russland, warfen der estnischen Regierung Blasphemie vor.
Der Streit um die Verlagerung des Mahnmals und der sterblichen Überreste sowjetischer Soldaten sorgte für die größte Krise seit der Unabhängigkeit des Landes. In den Folgejahren stellte Russland immer wieder unter Beweis, wie es den Phantomschmerz nach dem Zerfall der Sowjetunion für seine Zwecke zu nutzen weiß. Die russische Annexion der Krim 2014 stellte dabei den vorläufigen Höhepunkt dar. Mit dem Aufkommen von Separatismus in der Region hat sich die Situation noch mal verschärft, doch die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen haben viel Erfahrung mit Desinformation, Fake-News und Hacker-Angriffen gesammelt.
Eine Trollfabrik finanziert durch den Kreml?
Russische Falschmeldungen werden inzwischen vor allem online verbreitet. Bestes Beispiel: Das vom Kreml unterstützte Nachrichtenportal Sputnik News. Seit 2016 wird es in allen drei baltischen Sprachen verbreitet. Wo genau sich die Büros der Agentur befinden, ist unklar - eine offizielle Anschrift gibt es nicht. Neben dem gezielten Aufmischen von Unterhaltungen in Diskussionsforen im Internet, dem sogenannten Trolling, versucht Sputnik News vor allem die Lücken zu füllen, die traditionelle Medien hinterlassen haben. Anklang findet das besonders bei der jüngeren, nicht russischsprachigen Generation im Baltikum.
Das Nato-StratCom-Zentrum mit Sitz in Riga hat untersucht, welchen Einfluss Social Media-Trolle auf die Bevölkerung in Lettland haben - laut Ergebnis ist dieser nur gering. Bedenklicher sei hingegen der immer häufigere Einsatz von sogenannten hybriden Trollen, also Programmen, die in sozialen Netzwerken mitmischten. Ihnen in den Weg stellen sich seit neustem die baltischen "Elfen" - eine Gruppe freiwilliger Internet-Nutzer, die Trolle aufspüren und so die russische Online-Propaganda bekämpfen wollen.
Ricardas Savukynas hat das Projekt in Folge der blutigen Proteste auf dem Maidan-Platz in Kiew ins Leben gerufen. "Die russische Propaganda funktioniert in drei Schritten", erklärt er im Gespräch mit der DW. Zuerst würde die Zielperson zum Opfer gemacht, dann würde polarisiert. Am Ende komme dann immer dieselbe Botschaft: dass die "ehemalige Sowjetunion besser war, unsere Regierung die Menschen bevormundet und so weiter", sagt Ricardas. Das Ganze ziehe sich über Jahre hinweg. "Unser Ziel ist es, das Ganze zu stoppen."
Hybride Trolle oder doch echte Menschen?
Ein Nato-Bericht über "Trolle als Mittel im Informations-Krieg" kommt zu dem Schluss, dass eine ernste Bedrohung vor allem dadurch entstehe, dass viele Menschen in Lettland sogenannte "hybride Trolle" für echte Russen hielten. Dadurch entstünde ein gegenseitiges Misstrauen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen in der lettischen Gesellschaft.
"Was wir immer häufiger erleben, ist die Anwerbung litauischer Muttersprachler im Ausland durch den Kreml. Sie sollen Kommentare verfassen, die sich von denen sogenannter Bots nicht unterscheiden lassen", sagt Ricardas Savukynas. "Dafür bekommen sie kleinere Geldbeträge". Herausgekommen ist das, weil Anwerber aus Versehen einige von Ricardas Elfen kontaktierten.
Im April dieses Jahres wurde die Nachrichtenagentur Baltic News Service (BNS) Opfer eines Hacker-Angriffs. Die Angreifer schoben dem Medium einen Bericht unter, wonach US-Truppen durch einen Senfgas-Angriff in Lettland vergiftet worden seien. Nach dem selben Muster waren in der Vergangenheit bereits falsche Vergewaltigungs-Geschichten verbreitet worden. Litauische Militär-Ausbilder sollten demnach von ukrainischen Soldaten in der Luhansk-Region zusammengeschlagen worden sein, nachdem sie zwei Minderjährige vergewaltigt hätten. "Unser russischsprachiger Service kam zu dem Schluss, dass die Nachricht zuerst auf Russisch und dann sehr schlecht auf Litauisch übersetzt wurde", sagt Vaidotas Bensiusis, Redakteur bei BNS.
Ein Kampf gegen Windmühlen
Auch wenn Lücken in der Cyber-Abwehr regelmäßig ausgebessert werden, ist es doch eine Herausforderung jeder Bewegung im Internet etwas entgegenzuhalten. Im litauischen Fernsehen läuft der Kampf gegen die Verbreitung von Fehlinformationen besser. Seit 2014 hat die Kommission für Radio und Fernsehen in Litauen immer wieder russische TV Sender gesperrt, weil diese Falschmeldungen verbreitet oder zu Hass oder Krieg aufgehetzt haben. Diese Herangehensweise funktioniert allerdings nur dann, wenn ein Staat den Falschmeldungen selbst etwas entgegenzusetzen hat. Nur in Estland gibt es ein russischsprachiges Programm, das sich an die 330.000 Menschen große Minderheit im Land richtet. Besonders an die ältere Generation, für die das Fernsehen die Hauptinformationsquelle darstellt.
Die Fähigkeit, Medien richtig einzuschätzen und zu nutzen, ist in Lettland und Litauen im EU-Vergleich auf einem sehr niedrigen Niveau. Das bietet Angriffsfläche. "Man sollte die Sensibilität der Menschen erhöhen, angefangen mit einem Mediennutzungs-Training im Schulalter", sagt Vaidotas Beniusis im DW-Gespräch. Nur so könne man verhindern, dass Menschen Opfer von bestimmten Nachrichten oder Meinungen würden.
Die wahre Gefahr der russischen Desinformation bestehe dann, wenn sie sich an die Ärmsten und Angreifbarsten in der baltischen Gesellschaft richtete. Jene Menschen, die sich vom Staat vernachlässigt, von den Medien nicht ernst genommen und von der Öffentlichkeit ignoriert fühlen. "Das Wichtigste im Kampf gegen Propaganda ist der Kampf gegen die Probleme unseres Landes", sagt der Aktivist Ricardas Savukynas. "Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie fähig sind, ihre Probleme zu lösen, können sie niemals zu Opfern gemacht werden."