Faire Fashion als Protest
14. Januar 2014Ein Laden am Stadtrand von Bonn. Opal, rosenholz, rabenschwarz sind hier die Farben der Saison. Eine Kundin sucht einen Winterpullover. Designerin Annette Hoffmann legt ihr ein Stück aus flauschiger Wolle in die Hände, echt Alpaka. Und: echt fair gehandelt.
Die Berichte über die Produktionsbedingungen in der Textilindustrie sind ein Grund, warum die Kundin, eine Dame Mitte fünfzig, den Laden aufgesucht hat: "Die Nachrichten über die Ausbeutung von Menschen sind so deutlich, dass man als Verbraucher darüber nachdenken muss, welche Quellen man für seine Bekleidung findet."
Abwanderung der Infrastruktur
Die Ware des Labels wird fair produziert - in Peru, Polen und Portugal. "Wir hätten gern in Deutschland produziert", sagt Hoffmann. Doch für kleine Labels, die geringe Stückzahlen nähen lassen möchten, gebe es keine Infrastuktur. "Die Textilhersteller haben ja ihren ganzen Maschinenpark nicht mehr hier."
Wer über die halbhohen Kleiderstapel in das deutsche Frühjahrswetter hinausblickt, sieht den Namen des Labels als weißen Schriftzug quer über die Schaufensterscheibe gezogen, "Alma und Lovis", dahinter eine Wohnstraße mit gelbgrauen Mietshäusern - und den feuchten Straßenasphalt.
Zwischen Mangobäumen und Krawallen
Dennis Schrey schaut durch sein Fenster auf Mangobäume. Elektrizitätsleitungen baumeln vor der Hausnummer Vier der "Street 462" in Pnom Penh. Zehntausend Kilometer östlich von Bonn sitzt der Koordinator der Konrad-Adenauer-Stiftung in seinem Büro.
Mit scharfer Munition und mit Metallrohren war die Polizei in Kambodschas Hauptstadt in den letzten Wochen auf randalierende Textilarbeiter losgegangen, hatte Protestcamps geräumt, zuletzt ein Streikverbot verhängt. Die Gewerkschaften sprachen von weit über einer halben Million Menschen, die entweder im Streik oder wegen der Streikgefahr aus ihren Arbeitsstätten ausgesperrt waren.
Der Grund: Hungerlöhne in der Textilindustrie. "In Südostasien ist es sehr, sehr schwierig, mit 60 US-Dollar eine Familie zu ernähren", so Schrey. Und natürlich entsprächen eine Sechs-Tage-Woche und Arbeitszeiten zwischen zwölf und 14 Stunden nicht internationalen Standards - "hier aber ist das die Regel". Die Dimension, die die Proteste erreicht hatten, hat ihn dennoch erschreckt..
Textilindustrie als Ausweg aus der Armut
Und doch. Zunächst hatten die Textilfabriken, die überwiegend westliche Firmen bedienen, nicht nur Elend in die Städte gebracht - sondern auch Arbeitsplätze und einen Ausweg aus der Armut, betont er.
Für asiatische Schwellenländer ist die Textilindustrie in der letzten Dekade zum wichtigsten Wirtschaftszweig geworden, bestätigt auch Joachim von Braun, Gründungsdirektor des Bonner Zentrums für Entwicklungsforschung: "In Bangladesch zum Beispiel ist das Exportvolumen der Textilindustrie im vergangenen Jahr auf ca. 20 Milliarden Dollar angewachsen." Das entspricht einer Wachstumsrate von fast 30 Prozent..
Größter Exportsektor
Die Textilindustrie ist der größte Exportsektor in Ländern wie Bangladesch, Kambodscha oder Indien. Die Schattenseite: Mit der explosionsartigen Nachfragesteigerung der Industrieländer nach billiger Bekleidung entstanden Monostrukturen - und eine ausbeuterische Arbeitskultur, gegen die Anannya Bhattacharjee mit ihrer indischen Gewerkschaft seit drei Jahren kämpft.
"Manchmal wird illegal Geld vom Lohn einbehalten. Das Management behauptet dann, dies seien Abgaben für die Renten- oder Sozialversicherungen." Beim Arbeiter lande das Geld dann allerdings nie.
Frauen bekämen keinen Mutterschaftsurlaub, seien nicht gegen sexuelle Übergriffe geschützt. Und Gewerkschaftsmitglieder würden unter Vorwänden entlassen.
Bhattacharjee klingt ruhig - und bitter. Eine bessere Kontrolle der Produktionsbedingungen ist nur ein Schritt, den sie von deutschen Unternehmen erwartet.
Transparenz und faire Preise
Indische Arbeiter bekommen derzeit nur 25 Prozent des Mindestlohnes, sagt sie. Eine Preissteigerung für Zwischenhändler in Südostasien wäre nötig - und in den Industrieländern kaum spürbar.
"Wir schätzen, dass ab einer Preiserhöhung von 15 Cent pro T-Shirt sichergestellt werden könnte, dass die Arbeiter fair bezahlt würden", hat Kirsten Clodius vom Gütesiegel "Clean Clothes Campaign" ausgerechnet.
Bei einer Jeans gehe es um 25 Cent. "Die Bereitschaft wäre sicherlich da", glaubt Clodius - allein die Korruptionsgefahr schrecke Kunden ab. Die Produktionskette bleibt bei großen Unternehmen so undurchsichtig, dass das Geld nicht immer am Ende ankommt.
100 Euro fürs gute Gewissen
Der weiche graue Pullover aus Alpaka kostet bei "Alma und Lovis" etwas über einhundert Euro, mehr als im Kaufhaus. Dafür besichtigen die Designerinnen die Fabriken vor Ort, sprechen mit den Näherinnen. Jenen, die über das Internet oder per Mundpropaganda in den Bonner Vorort finden, ist es das wert.
"Den Tipp habe ich von meiner Schwiegertochter", sagt eine Kundin, "und ich bin dankbar, dass es Läden gibt, die sich auf diese Thematik so einstellen."