"Wir kriegen nicht morgen die Luft sauber"
23. Februar 2018DW: Polen ist vom EuGH verurteilt worden, weil es nicht für saubere Luft sorgen kann. Gegen Deutschland läuft zunächst erst einmal "nur" ein Vertragsverletzungsverfahren. Sehen sie dennoch Parallelen?
Alexander Thiele: Ja absolut. Es geht ja um die gleiche Richtlinie, die auch von deutscher Seite relativ unumstritten nicht eingehalten wird. Die entscheidende Frage, über die das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig noch entscheiden muss, ist: Was müssen wir tun, damit die Maßnahmen eingehalten werden?
Müssen wir möglicherweise zu Fahrverboten greifen oder vielleicht zu noch drastischeren Maßnahmen? Und natürlich ist, was die Luftreinhaltung angeht, immer ein ökonomischer Faktor dabei. Die Ökologie ist schön, aber die Ökonomie ist etwas, was die Mitgliedsstaaten natürlich hochhalten. Und wo sie immer gewisse Bauchschmerzen haben, zu weit zu gehen. Dieses Problem tritt in vielen Staaten auf, Polen ist da keine Ausnahme.
Wenn das Bundesverwaltungsgericht demnächst grünes Licht für Fahrverbote geben sollte, würde das Deutschland eine Anklage vor dem EuGH ersparen?
Wir stehen vor einem Dilemma. Wir kriegen nicht morgen die Luft sauber. Zu beschließen, dass die Luft sauber sein soll, macht sie noch nicht sauber. Wir haben es selber verschlafen. Den Schuh müssen wir uns einfach anziehen.
Wir sind jetzt in einer Situation, wo das Recht etwas verlangt, was aber praktisch nicht umsetzbar ist. Mit der Konsequenz: Wenn man darauf pocht, die selbst gesetzten Richtlinien einzuhalten, dann begibt man sich in eine Unmöglichkeit. Das könnte dann wiederum dazu führen, dass die Europäische Union dumm da steht als jemand, der auf etwas pocht, was gar nicht geht. Der Schuldige ist aber nicht die Europäische Union, die darauf beharrt, die gemeinsam beschlossenen Richtlinien umzusetzen.
Wenn es Fahrverbote gibt, ist der Schuldige der Mitgliedsstaat, der das nicht rechtzeitig in Angriff genommen hat. Die Kommission ist ja schon sehr großzügig, die Fristen waren eigentlich schon bis 2014 einzuhalten, was die Stickoxide angeht. Das kommt jetzt nicht plötzlich.
Das Problem ist also, dass Realität und juristische Zielsetzung auseinanderklaffen...
Als Jurist möchte ich mir diesen Schuh jetzt nicht anziehen. Die Richtlinie fällt ja nicht vom Himmel, die Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten ja selbst beschlossen. Und es stünde ihnen auch frei, sie wieder zu verändern. Sie könnten sie ja einfach anpassen. Sie könnten die Kommission beauftragen, eine neue Richtlinie vorzuschlagen mit "besseren" Grenzwerten, also mit längeren Fristen. Das wollen sie natürlich auch nicht tun. Sie haben sich einerseits selbst dieses Problem geschaffen, dadurch, dass sie sich diese Richtlinie, wie ich finde, richtigerweise gegeben haben. Und dann haben sie das Problem auch selbst geschaffen, indem sie sich nicht daran gehalten haben.
Dr. Alexander Thiele ist Staatsrechtler an der Georg-August-Universität Göttingen.
Das Interview führte Cathrin Hennicke.