Fahrrad-Boom durch Corona
3. Juni 2021Sie sind aus dem öffentlichen Straßenbild Deutschlands längst nicht mehr wegzudenken: Fahrräder. Vor allem in den Innenstädten deutscher Metropolen bestimmen sie immer stärker das Straßenbild. Blickten Fahrrad-Fans noch vor einigen Jahren sehnsüchtig auf Städte wie Amsterdam oder Kopenhagen, in denen das Fahrrad schon lange fest zum Straßenverkehr gehörte, ist das jetzt in Deutschland ähnlich.
Kein Infektionsrisiko auf dem Fahrrad
Die Pandemie hat dem Fahrrad in Deutschland einen Schub nach vorn gebracht. 2020 wurden nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbandes rund eine Million Räder mehr verkauft als im Jahr davor, eine Steigerung von rund 35 Prozent. Fast 1000 Euro geben die Deutschen im Schnitt für ein neues Fahrrad aus, mehr als doppelt so viel wie noch im Jahr 2010. Ein stolzer Preis, der sich auch durch die gestiegene Anzahl der teureren E-Bikes erklären lässt.
Während der Beschränkungen durch die Corona-Krise sind viele Menschen vor allem von den öffentlichen Verkehrsmitteln auf das Rad umgestiegen. Denn auf dem Sattel ist das Infektionsrisiko gering. Und während Kinos und Restaurants geschlossen hatten und Kulturveranstaltungen nicht stattfinden konnten, war eine Fahrradtour stets möglich.
Scheuer setzt jetzt auch auf das Rad
Rechtzeitig vor dem "Internationalen Tag des Fahrrades" an diesem 3. Juni hat auch die Politik reagiert. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) stellte im April seinen "Radverkehrsplan 3.0" vor und sagte: "Wir wollen Deutschland zum Fahrrad-Land machen. Corona hat nicht viel Positives, aber eine positive Entwicklung sehen wir: Einen Boom beim Fahrrad." Scheuer plant jetzt, den Neukauf etwa eines teuren E-Bikes ebenso steuerlich zu fördern wie Bahnfahrkarten. Der CSU-Minister, den Kritiker bislang eigentlich eher mit der Förderung des Autoverkehrs verbanden, will nun den Radverkehr in Deutschland bis 2030 verdoppeln. Die Menschen sollen dann täglich im Schnitt rund drei Kilometer mit dem Fahrrad fahren, im Moment werden etwa anderthalb zurückgelegt. Bis 2023 will der Bund 1,46 Milliarden Euro in den Radverkehr investieren.
Autos, Fußgänger, Radfahrer - überall Konflikte
Das kann allerdings zu Konflikten führen, wenn sich Autos und immer mehr Fahrräder die Straßen teilen sollen. Leidtragende sind oft Fußgänger, wenn immer mehr Radfahrer die Gehsteige benutzen. Viele Städte und Kommunen planen eigenständige, aber teure Radwege, mit großen Fahrradparkhäusern an den Bahnhöfen, wie es sie etwa in Münster schon gibt. Dazu sind viele Radbrücken über verkehrsreiche Straßen geplant oder gar Fahrrad-Highways, wie etwa im Ruhrgebiet zwischen Mühlheim an der Ruhr und Essen. Langfristig soll diese Fahrradautobahn mit breiten Streifen in beiden Richtungen rund zehn Städte verbinden und über 100 Kilometer lang sein.
Autos und Fahrräder teilen und leihen
Alles schöne Ankündigungen, aber der renommierte Mobilitäts-Forscher Andreas Knie denkt schon weiter. Nicht allein der Neubau teurer Fahrradstraßen aus den Außenbezirken in die Stadt, wie sie etwa Berlin plant, sei die Antwort, sondern ein Konzept, das Knie "geteilte Mobilität" nennt. Knie selbst besitzt weder Fahrrad noch Auto und erklärt am Beispiel des Autos im Gespräch mit der DW: "Wir werden viel mehr mobile Arbeit haben und wir werden lernen, auch in ländlichen Räumen die Autos zu teilen." Und Fahrräder zu mieten, anstatt zu besitzen.
Unfälle an Verkehrsknotenpunkten
Bis es soweit ist, werden sich Fahrrad-Fans und Autofahrer immer wieder um Parkplätze und Anteile an der Straße streiten. Teils mit fatalen Folgen - vor allem für die Radfahrer.
Vor allem an viel befahrenen Verkehrsknotenpunkten kommt es zu Unfällen, wie jetzt eine Studie der "Organisation Unfallforschung der Versicherer " ergab. 66 Prozent aller Unfälle mit Verletzten oder gar getöteten Fahrradfahrern in Deutschland ereignen sich an großen Straßenkreuzungen. Bis Deutschland richtig fahrradfreundlich ist, wird noch viel Zeit vergehen.