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Kunst

Facing India: Indische Künstlerinnen in Wolfsburg

Sertan Sanderson
1. Mai 2018

Indiens Frauen haben einen schweren Stand. Im Kunstmuseum Wolfsburg zeigen erstmals in Deutschland sechs Künstlerinnen ihren Blickwinkel auf ihr Land. "Facing India" ist auch ein Protest gegen die Männergesellschaft.

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Kunstmuseum Wolfsburg, Ausstellung "Facing India"
Bild: Bharti Kher/Perrotin/Marek Kruszewski

Ausgerechnet in der "Autostadt" Wolfsburg weht zur Zeit ein warmer Wind aus Asien. Man sieht Frauen in bunten Saris auf den sonst eher farblosen Einkaufsstraßen, statt Abgasskandal und Dieselverbot sorgen hinduistische Veden und Göttinen für Gesprächsstoff.

Das Kunstmuseum Wolfsburg beschäftigt sich in einer aktuellen Ausstellung ausführlich mit dem Thema Weiblichkeit und Feminismus. Sechs indische Künstlerinnen gehen im Rahmen der Ausstellung "Facing India" der Frage nach der Stellung der Frau in ihrem Heimatland nach. Welche Konflikte beeinflussen noch immer den Alltag der Frauen in Indien? Welche Rolle nehmen Frauen im 21. Jahrhundert zwischen Tradition und Fortschritt ein? 

Grenzen und Grenzüberschreitung

Der rote Faden der Ausstellung ist das Thema "Grenzen" und die damit verbundenen Grenzüberschreitungen, die sich in vielen der 94 multimedialen Exponate wiederspiegeln. "Eine pluralistische Gesellschaft wie die in Indien ist besonders dazu prädestiniert, sich mit Grenzen beschäftigen zu müssen", erklärt die Künstlerin Reena Saini Kallat. "Grenzen tragen schließlich enorm dazu bei, Identitäten zu bilden."

Reena Saini Kallat
Reena Saini Kallat beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit dem Thema "Grenzen"Bild: DW/S. Sanderson

In ihre Arbeiten beschäftigt Kallat sich sowohl mit indischen als auch globalen Grenzen. Den Kaschmir-Konflikt und die damit verbundenen Grenzverschiebungen zwischen Indien und Pakistan spricht sie in einer eingängigen Fotoreihe an. Seit 1947 gab es in dem Grenzgebiet fünf Kriege im Zuge der Teilung Indiens nach der britischen Kolonialherrschaft. 

Kallat thematisiert auch die Flüchtlingskrise - in einer 14 Meter breiten Installation, in der aus Stromkabeln eine bunte Weltkarte gewoben wird, auf der Migrationswege wiederum mit Stacheldraht abgebildet werden."Grenzen bestehen nicht nur nach außen. Wir merken immer mehr, dass Grenzen auch in uns existieren", so Reena Saini Kallat.

Kunst in der Küche

Prajakta Potnis beschäftigt sich hingegen mit heimischen Grenzen. Die in Mumbai geborene Künstlerin erläutert enthusiastisch, dass sie auf der Suche nach einer neuen Ausdrucksform die Küche für sich entdeckt habe: "Für mich ist die Küche meine Kulisse. In Indien ist die Küche schon fast ein spiritueller Ort. Man darf zum Beispiel nicht mit Straßenschuhen in die Küche. Oder eine Frau darf die Küche nicht während ihrer Periode betreten. Die Küche hat mich schon immer fasziniert."

In ihren Fotografien inszeniert Potnis Rolltreppen und weitere alltägliche Gegenstände in unerwarteten Küchenecken wie zum Beispiel in Kühlschränken, Gefrierfächern und Waschtrommeln. Auf diese Weise will sie alltägliche, unüberlegte Grenzüberschreitungen in der indischen Gesellschaft darstellen: "Bei uns stoßen das Private und das Öffentliche ständig aneinander. Der Begriff Privatsphäre ist den meisten Menschen hier noch fremd."

Kreuzzug gegen die Zensur

Die Ausstellung bietet einen faszinierenden Einblick in das feminine und auch feministische Indien, von dem man im Westen nur  selten etwas hört. Die Rolle der Frau ist nach wie vor ein schwieriges Thema auf dem Subkontinent. Auch wenn Frauen vor dem Gesetz gleichgestellt sein mögen, werden sie nach wie vor oft als Menschen zweiter Klasse behandelt.

Ausstellung "Facing India" im Kunstmuseum Wolfsburg |
Bharti Khers Skulptur "And all the while the benevolent slept"Bild: Bharti Kher/Perrotin

Das Patriarchat in Indien findet sich auch in der Politik wieder: Die Regierung unter der Leitung von Premierminister Narendra Modi verfolgt immer konservativere Ziele, stärkt den Nationalismus und zensiert dabei auch Medien und Künstler.

Die Künstlerin Mithu Sen umgeht die Zensur gekonnt: auf ersten Blick sind ihre Abbildungen unscheinbare Darstellungen, doch mit Hilfe einer Taschenlampe kann man Einritzungen auf dem Bilderglas erkennen, die weitere Bedeutungsebenen öffnen. Aus Blumen wachsen plötzlich Skelette, aus ein paar wenigen Farbklecksen ergibt sich ein schwules Liebespaar. Dadurch entsteht eine Art Geheimsprache - und wieder wird eine Grenze überschritten. "Eine Grenze kennzeichnet Andersartigkeit. Sie wird gezogen, um ein Getrenntsein zu symbolisieren, doch hält der Raum des Dazwischen, in dem dieses Konzept dargestellt wird, vielfältige Möglichkeiten bereit", erläutert die Künstlerin.

Mithu Sens Arbeit beschäftigt sich auch mit sozialen Themen wie Geschlechterrollen und Sexualität, wobei die 39-Jährige jegliche Formen der Kategorisierung aus Prinzip ablehnt. Der eine oder andere Phallus ist bei ihr auch mit dabei, um quasi dem Patriarchat den Stinkefinger zu zeigen. "Ich spiele mit der emotionalen Desorientiertheit anderer Menschen und führe sie neckend-provokant an einen Ort, an dem sich die bestehenden sozialen Regeln auflösen", erklärt sie.

Kunstmuseum Wolfsburg
Ausstellung "Facing India" im Kunstmuseum WolfsburgBild: DW/S. Sanderson

Ein Land im Wandel

Die Ausstellung "Facing India" im Kunstmuseum Wolfsburg hält den gesellschaftlichen Umbruch Indiens fest. Auf dem Weg vom Schwellenland zur Weltmacht nimmt die Bedeutung von Frauen in Indien zwar langsam zu, dennoch sind Frauen nach wie vor benachteiligt und bevormundet in einem Land, das lieber Curry statt Kunst in der Küche sieht.

Doch fernab von Klischees und Schlagzeilen bietet die Ausstellung auch tiefgründige Einblicke in das wahre Indien und das dortige dynamische Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Und somit ergibt sich als Fazit ein optimistischer Ausblick: Indien befindet sich mitten im Wandel, und zum ersten Mal können Frauen daran auch teilhaben.

Die Ausstellung "Facing India" ist bis zum 07.102018 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.